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       # taz.de -- Freitreppe am Berliner Schloss: Neue Freiheit am Fluss
       
       > Am Berliner Schloss soll eine Freitreppe hinunter zur Spree entstehen.
       > Sie könnte dazu anregen, am Wasser neu über die Stadt nachzudenken.
       
   IMG Bild: Unten am Fluss mit Schlossperspektive
       
       Berlin taz | Als ob sich das nicht ausschließen würde: Schloss und
       Freiheit. Und dann noch eine Treppe, die ins Nichts führt. Die einen halben
       Meter vor dem Wasser Halt macht. Sonst könnte man ja die Füße ins
       Spreewasser tauchen. So viel Freiheit soll am Berliner Stadtschloss aber
       wohl doch nicht sein. Auch nicht an einem Platz mit der historischen – und
       künftigen – Bezeichnung „Schlossfreiheit“.
       
       Immerhin, die Freitreppe wird gebaut. Der erste Spatenstich ist getan, in
       zwei Jahren soll Berlins neueste Attraktion vollendet sein: 37 Meter breite
       Stufen aus Sandstein und Granit (nicht ganz) hinunter zur Spree. Im Rücken
       das in die Stadtschlossfassade gezwängte Humboldt Forum, vor einem die
       Schlossbrücke sowie die geschichtslosen Fassaden der Neubauten am
       Schinkelplatz.
       
       ## Mehr Geschichte geht kaum
       
       Historischer geht’s kaum in Berlin, deshalb auch der Name „Schlossfreiheit.
       Freitreppe zur Spree“. Schlossfreiheit, das war ursprünglich eine Reihe
       putziger Häuschen vor dem Berliner Stadtschloss, die sich der Große
       Kurfürst zur Belebung der Gegend gewünscht hatte. Weil das Bauen auf
       sumpfigen Grund sehr kostspielig war, wurden den Bauherren gewisse
       Freiheiten und Befreiungen gewährt: daher der Name.
       
       Bald schon mussten die Häuschen wieder weg. Das wollte nach der
       Reichsgründung Wilhelm der Zweite so: Der Kaiser wünschte, seinem
       Großvater, dem ersten Wilhelmkaiser, ein großes Nationaldenkmal zu setzen.
       Hat er auch getan. Als das Denkmal kaputt war, 1950, auf SED-Geheiß, da war
       auch das Schloss weg.
       
       Jetzt ist es wieder da. Und auf dem Sockel für das Denkmal soll irgendwann
       die „Einheitswippe“ stehen, eine große begehbare Schale. Es ist ein Kommen
       und Gehen in Berlin. Vielleicht passt der Name Schlossfreiheit doch ganz
       gut. Freiheit im Sinne von: Scheiß auf die Tradition.
       
       Also nehmen wir uns die Freiheit, das Schloss hinter uns zu lassen und nach
       vorne zu schauen: Setzen wir uns doch schon mal auf eine der Sandstein- und
       Granittreppenstufen und lassen die Gedanken schweifen. Vielleicht vergessen
       wir dabei das Schloss im Rücken und die Schlossbrücke vor uns und
       konzentrieren uns ganz auf den Fluss. Vielleicht fällt uns dann auch ein,
       was so ein Fluss wie die Spree sein könnte: ein belebendes Element. Ein
       Spiegel, in den wir schauen können – und Grimassen schneiden, weil uns
       nicht ganz wohl ist bei dem Gedanken an das steinerne Bett, in das wir
       diesen Fluss gezwängt haben.
       
       ## Berlins Lebensader
       
       Warum fällt uns das gerade jetzt ein? Unten am Fluss? Down by the river?
       Weil wir die Grimassen nicht sehen könnten, wenn wir oben auf dem
       Schlossplatz oder auf der Schlossbrücke stehen?
       
       „Man sieht die Spree überall, aber man kann nicht zu ihr hinuntergehen“,
       hat Ephraim Gothe, der SPD-Baustadtrat von Berlin-Mitte bei der
       Grundsteinlegung für die Freitreppe gesagt. Und natürlich auch den
       unvermeidlichen Klassiker zitiert, von dem niemand weiß, auf wen er
       zurückgeht: „Berlin ist aus dem Kahn gebaut.“ Lebensader wäre die Spree
       demnach und war doch bis in die jüngste Zeit innerdeutsche Grenze, an der
       in Kreuzberg Kinder ertrinken mussten, weil die Westberliner Feuerwehr
       nicht eingreifen durfte.
       
       Ob einem das einfällt, wenn man die Treppe wieder hinaufsteigt und auf die
       Wippe klettert (wenn die je kommt)? Wenn 20 Leute darin auf der einen Seite
       stehen, 20 auf der anderen, bist du derjenige, der alles ins Rutschen
       bringen kann. Das soll an die friedliche Revolution erinnern, klingt aber
       eher nach Spielplatz. Man braucht wohl viel Beinfreiheit, um solch einen
       Unsinn zu bauen. Auch wenn er anstelle eines ehemaligen Nationaldenkmals
       steht.
       
       ## Flüsse öffnen Perspektiven
       
       Dann lieber wieder die Treppe hinunter. Und vom letzten Treppenabsatz den
       letzten halben Meter in die Spree springen. Die Lebensader wiederbeleben.
       Im Wasserkörper im steinernen Bett den eigenen Körper spüren. Die anderen
       Flusskörper grüßen, die vom neuen Flussbad Richtung Museumsinsel schwimmen.
       
       Was flüstert die Spree in diesem Moment? Freut sie sich über ihre Gäste?
       Über die neue Aussicht, die die Treppe auch ihr eröffnet, weil sie nicht
       immer nur auf meterhohe Mauern schauen muss?
       
       Oder ist sie eingeschüchtert von den steinernen Monumenten des
       Unesco-Welterbes Museumsinsel? Denkt sie vielleicht daran, wo sie herkommt,
       und dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie in die Havel verschwindet
       – und damit von der Bildfläche?
       
       An Flüssen (und darin) erzählt die Stadt vielleicht andere Geschichten als
       hoch an ihren Ufern. Dort sieht man, abgetrocknet und umgezogen, wieder das
       Humboldt Forum und denkt sich: Warum eigentlich Schlossfreiheit? Müsste das
       hier nicht alles Flussfreiheit heißen?
       
       12 Aug 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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