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       # taz.de -- Demonstrationen nach Massakern an Drusen: Solidarisch mit Suwaida
       
       > Hunderte fordern in Berlin Schutz für die drusische Minderheit in Syrien.
       > Die Proteste zeigen auch die Zerrissenheit der deutsch-syrischen
       > Diaspora.
       
   IMG Bild: Mit ihrem Auftakt vor dem Auswärtigen Amt drängen die Demonstrant*innen auf Hilfe von der Bundesregierung
       
       BERLIN taz | Mitten im Demozug läuft eine junge Frau mit ernstem
       Gesichtsausdruck. Ihre Haare hat sie zum Zopf gebunden. Sie trägt ein
       kurzes schwarzes Kleid, um den Hals trägt sie eine Kette mit einem
       fünfzackigen Stern. Mit der einen Hand schwenkt sie eine Flagge, die sie an
       einen zugeklappten Regenschirm gebunden hat. Wie der Stern an ihrer Kette
       zeigt sie die Farben der Drusen: Fünf horizontale Streifen in Rot, Gelb,
       Grün, Blau und Weiß. „Nieder, nieder mit Jolani“, ruft sie. Auch bei den
       Slogans, die die Demonstrant*innen auf Arabisch rufen, stimmt sie
       lautstark mit ein.
       
       „Ich bin Rettungssanitäterin und Sozialarbeiterin. Ich helfe Menschen in
       Not. Aber meiner Familie in Suwaida kann ich gerade nicht helfen“, sagt
       sie. „Ich fühle mich hilflos.“ Sie heißt Silva Fakher und ist vor zehn
       Jahren, mit Anfang 20, nach Berlin gekommen, als Einzige aus ihrer Familie,
       erzählt sie. Nachdem es Mitte Juli die ersten Nachrichten von Gewalttaten
       aus Suwaida gegeben hatte, habe sie ihre Angehörigen und Freunde tagelang
       nicht erreicht. Es gab kein Netz und keinen Strom. Und die Lage sei weiter
       unsicher. „Meine Welt geht gerade unter“, sagt Fakher.
       
       Seit [1][fast zwei Wochen demonstrieren in Berlin fast täglich Menschen]
       für die Rechte der Drus*innen in der Region Suwaida rund um die
       gleichnamige Stadt im Süden Syriens. Am 13. Juli waren [2][Kämpfe zwischen
       der drusischen Minderheit und sunnitischen Beduinen ausgebrochen]. Zuvor
       hatten Menschenrechtsaktivist*innen von Massakern berichtet, für die
       sie auch die Armee des Präsidenten verantwortlich machen. Mehr als 1.300
       Menschen wurden demnach getötet, darunter etwa 200 durch „Hinrichtungen auf
       der Stelle“. Die [3][israelische Armee bombardierte Ziele] im Süden Syriens
       und auch in Damaskus, mit dem erklärten Ziel, die Drusen zu schützen.
       
       Am Samstag vor einer Woche verkündete der US-Sondergesandte für Syrien eine
       Waffenruhe zwischen Israel und Syrien, die von den USA und der Türkei
       unterstützt wird. Sie scheint weitgehend zu halten, [4][ein wenig hat sich
       die Lage in Suwaida beruhigt]. Doch die Versorgung ist prekär. Es gibt
       keinen Strom, kein Handy-Netz, kaum Wasser oder Lebensmittel. Über 145.000
       Menschen sind laut den Vereinten Nationen vertrieben. Von der Gewalt
       betroffen sind schätzungsweise 220.000 Menschen.
       
       ## Familienangehörige verloren
       
       Vor dem Auswärtigen Amt versammeln sich am Freitagnachmittag laut Polizei
       knapp 300 Menschen. Einige der Demo-Teilnehmer*innen haben
       Familienangehörige in Suwaida verloren, erzählen sie, diese sollen teils in
       ihren eigenen Häusern ermordet worden sein. Dörfer seien abgebrannt. Die
       Menschen seien ohne Gesundheitsversorgung, es mangele an allem.
       
       Mit den Demos wollen sie erreichen, dass die Bundesregierung die Massaker
       als Völkermord anerkennt. Sie fordern humanitäre Versorgung, sichere
       Fluchtkorridore über Jordanien, dass Deutschland Menschen aus der Region
       aufnimmt und eine Distanzierung der Bundesregierung von der syrischen
       Übergangsregierung. Und sie wollen, dass [5][eine unabhängige Kommission
       aufklärt, was genau in Suwaida] passiert.
       
       Einer der Redner bei der Auftakt-Kundgebung ist Tareq Alaows,
       flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, der selbst Familie in Suwaida
       hat. [6][Zwei seiner Onkel und ein Cousin seien dort ermordet worden], sagt
       er. Am Ende seiner Rede zieht er einen Rasierapparat aus der Tasche. „Auch
       wenn sie uns ihre Mörder schicken, auch wenn sie uns hier in Deutschland
       bedrohen: Sie können uns unsere Würde nicht nehmen, sie können uns unsere
       Existenz nicht nehmen“, ruft er und beginnt, sich Teile seines Barts
       abzurasieren.
       
       Mit dieser Geste spielt er an auf Berichte und Videos, nach denen die
       Angreifer älteren Drusen die Bärte gewaltsam abgeschnitten haben sollen, um
       sie zu demütigen. Die Demoteilnehmer*innen antworten ihm mit
       zustimmenden Rufen, Sprechchören und Tanz, viele filmen die Szene.
       
       ## Scherensymbol als Drohgeste
       
       Die Schere als Symbol taucht inzwischen viel in Social Media [7][und auch
       auf Demos in Deutschland auf]. Bei Kundgebungen in der vergangenen Woche in
       Düsseldorf und am Samstag vor einer Woche in Berlin vor dem Roten Rathaus
       sollen Demonstranten mit den Händen das Scherenzeichen gezeigt haben, um
       Drus*innen zu verhöhnen und zu bedrohen.
       
       Der Verein Democ, der demokratiefeindliche Bewegungen beobachtet und
       analysiert, hatte [8][Videos von der Kundgebung in Berlin] veröffentlicht,
       die unter dem Motto „Aktuelle Angriffe auf Syrien“ angemeldet worden war.
       Teilnehmer*innen hätten dort Parolen gegen Drusen, Alawiten und Israel
       skandiert und zu Mord und Vergewaltigung aufgerufen, schreibt Democ. Die
       Polizei, die zunächst keine besonderen Vorkommnisse erkennen mochte – wohl
       auch wegen zu wenig sprachkundigen Beamt*innen – wertet nun
       Videomaterial aus.
       
       Auf der Demo für „Solidarität mit Suwaida gegen den Völkermord“ schwenken
       Teilnehmer*innen am Freitag auch golden oder silbern verzierte
       Kaffeekannen und schenken sich gegenseitig Kaffee in kleinen Tassen aus.
       „Die Beduinen haben gesagt, sie wollen erst wieder Kaffee trinken, wenn sie
       alle Drusen umgebracht haben“, erklärt eine der Ordner*innen. Die
       Kaffeekannen seien ein Zeichen, dass sie sich nicht entwürdigen und
       angreifen ließen.
       
       Vom Auswärtigen Amt zieht die Demo unter den Linden entlang zum
       Bundeskanzleramt. Omar Al-Kadamani, einer der Hauptredner und
       Mitorganisator, richtet sich vom Lautsprecherwagen aus mehrmals an
       Passant*innen, um ihnen die Anliegen der Demo zu erklären. Auf beiden
       Seiten laufen Ordner*innen, die einen Zettel mit „Ask me“ (dt. „Frag mich“)
       auf ihre neongelbe Weste geklebt haben.
       
       „Ich bin als Druse geboren – aber offiziell gebe ich immer an, dass ich
       Atheist bin“, sagt ein Teilnehmer. Normalerweise gehe er nicht auf Demos,
       und im Alltag spreche er kaum über Politik, vor allem nicht mit anderen
       Syrier*innen. „Wir haben teils sehr unterschiedliche Ansichten, etwa zu
       Israel oder der aktuellen Politik“, sagt er. „Und ich merke auch Ablehnung,
       wenn ich zum Beispiel ein Schawarma kaufe und auf arabisch bestelle. Sie
       hören an meinem Akzent, dass ich aus Suwaida komme. Ich merke direkt an
       ihrem Tonfall und ihren Blicken, dass sie mich weniger freundlich
       behandeln.“ Für Syrien hoffe er auf Frieden und Demokratie. „Ich wünsche
       mir, dass es ein Land wird, in das Touristen gern reisen“, sagt er.
       
       ## Enttäuschung in der Community
       
       Die Demonstration zeigt auch, wie gespalten, uneinig und teils zerrissen
       die syrische Diaspora in Deutschland ist. Ein Demoteilnehmer sagt, dass er
       enttäuscht sei von der Politik Deutschlands und der EU, die das Regime
       schrittweise normalisiere. Und von den Versammlungen, die in Deutschland
       den aktuellen Machthaber Ahmad Al-Sharaa unterstützen. Enttäuscht sei er
       aber auch von Deutsch-Syrer*innen, die sich gar nicht oder nur sehr
       zurückhaltend und scheu zu den Massakern in Suwaida äußerten. Er studiert
       Elektrotechnik und hat sich für Integration engagiert.
       
       „Wir haben im Dezember alle zusammen den Sturz von Assad gefeiert“, sagt
       er. Viele dächten immer noch, dass sich die neuen Machthaber von innen
       ändern ließen, dass sich mit der Zeit die Demokratie durchsetze. „Aber wir
       haben jetzt gesehen, wozu diese Regierung fähig ist. Wir haben null
       Vertrauen. Der neue Islamo-Faschismus von Al-Sharaa ist noch schlimmer,
       weil er keine Landesgrenzen kennt.“
       
       Der [9][Erfolg der Islamisten in Syrien könne islamistische Bewegungen in
       Nachbarländern ermutigen]. „Und meiner Meinung nach auch in Europa. Das
       sieht man jetzt schon auf den Straßen“, meint der Student. „In Deutschland
       feiern Menschen jetzt Al-Sharaa. Das sind Islamisten, und auch vor solchen
       Menschen sind wir vor zehn Jahren geflohen“, betont er. Normalerweise sei
       er kein Fan von Kai Wegners Politik. „Aber dass er so klare Worte gefunden
       hat, das finde ich gut“, sagt er. Der [10][Regierende Bürgermeister (CDU)
       hatte gefordert, dass diejenigen, die Gewalt verherrlichten, abgeschoben
       werden sollten]. Die CDU will aktuell auch das Demonstrationsrecht in
       Berlin verschärfen und Versammlungen, die die „öffentliche Ordnung“
       gefährden, untersagen.
       
       Neben dem Studenten geht ein junger Mann mit einer gefalteten
       Deutschlandfahne in der Hand. „Die Veranstalter lassen sie mich nicht
       ausrollen“, sagt er und zeigt auf einen Pin an seinem Kragen, an dem sich
       die israelische und die deutsche Flagge kreuzen. Der sei ihm zumindest
       erlaubt. „Ich habe drusische Vorfahren und ich will meine Regierung
       auffordern, sich für die Sicherheit der Drusen einzusetzen“, sagt er. Er
       versuche nun, seinen Vater aus Suwaida zu evakuieren. „Gerade wir hier in
       Deutschland haben eine besondere Verantwortung, wenn Völkermord droht.“ Er
       sei SPD-Mitglied, weil „die Partei Islamismus kaum auf dem Schirm hat. Ich
       denke, ich kann da viel Wissen einbringen“, sagt er.
       
       ## Abiturprüfungen in Syrien
       
       Eine Gruppe junger Männer sagt, dass auch sie den Sturz von Assad gefeiert
       hätten. Sie leben seit rund 10 Jahren in Berlin, sagen sie, und engagieren
       sich gemeinsam politisch und leisten mit einem Verein auch politische
       Bildung. „Wir hatten Hoffnung auf einen Dialog, an dem auch die Diaspora
       beteiligt ist“, sagt einer. „Denn auch die spricht nicht mit einer Stimme.“
       Ihr Verein habe viele Nachrichten mit Ideen und Anregungen an die syrische
       Übergangsregierung geschickt, darauf aber keine Antwort bekommen.
       „Mittlerweile sprechen wir wieder von einem Regime“, sagt er. „Das ist
       nicht das, was wir uns für Syrien wünschen.“
       
       Was nun an der Küste und im Süden geschehen sei, beeinflusse auch die
       syrische Community in Deutschland. „Wenn auch hier zu Hass gegen Drusen
       aufgerufen wird, ist das ein Problem“, sagt er. „Denn Islamismus passt
       nirgendwo hin. Nicht nach Europa. Und auch nicht in den Nahen Osten.“
       
       „Gerade sind in Syrien Abiturprüfungen. Die Jugendlichen in Suwaida können
       nicht teilnehmen und dann auch nicht studieren“, sagt Rettungssanitäterin
       Silva Fakher. Mit ihren Gedanken sei sie die ganze Zeit bei ihrer Familie.
       Auch Student*innen in Damaskus seien angegriffen worden, einige
       vielleicht auch entführt, erzählt sie. Demonstrieren in Berlin reicht ihr
       nicht. „Ich habe mich als Freiwillige gemeldet bei den Maltesern, bei
       Ärzten ohne Grenzen, beim Technischen Hilfswerk, überall“, sagt sie. Hier
       könne sie sich gerade sowieso nicht auf die Arbeit konzentrieren, „bei den
       schrecklichen Dingen, die dort passieren. Ich bin bereit, vor Ort zu
       helfen. Aber noch habe ich keine Rückmeldung.“
       
       29 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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