# taz.de -- Zeitgenössische Kunst trifft Rokoko: Sind die Pferde ins Schloss gezogen?
> Zwischen Putten und bäuerlichen Szenen präsentiert „Rohkunstbau“
> zeitgenössische Kunst im Barockschloss Altdöbern in der Lausitz.
IMG Bild: Birgit Dieker, All her Colours (2025), Kleidung, situationsspezifische Installation, Courtesy the artist, VG Bild Kunst
Das ist staunenswert: mit kostbaren Schnitzereien und Wandgemälden
verzierte Pferdeboxen in einem Stall. Dieser skurrile Höhepunkt
repräsentativen Willens findet sich im Süden Deutschlands, beim Schloss und
Zisterzienserkloster Salem. Die Pferde auf den Bildern sind in antiken
Ruinen inszeniert.
Nicht weniger seltsam ist jetzt das dunkle Pferd aus Polyurethan, das der
Frankfurter Bildhauer Marcel Waldorf zwischen die holzvertäfelten Wände
eines kleinen Raumes im Schloss Altdöbern in der Lausitz gelegt hat. An
anderen Stellen des barocken Schlosses, wie im prächtig ausgemalten
Treppenhaus, finden sich Pferdeäpfel in den Ecken.
Ist das Pferd ins Schloss gezogen, als es Ruine war und leer stand? Ist es
ein entfernter Verwandter der Reitpferde der ehemaligen Schlossherren? Auf
jeden Fall scheint es einer Geschichte entlaufen zu sein, die in diesem
Landstrich, der zu seinen besten Zeiten dem sächsischen Hof in Dresden
näher war als den Preußen in Berlin, stattgefunden haben könnte.
Die Skulptur gehört zum [1][Ausstellungsprojekt „Rohkunstbau“], das seit
drei Jahrzehnten durch verschiedene Schlösser in Brandenburg gezogen ist
und jetzt zum fünften Mal in Schloss Altdöbern zu Gast ist. Jedes Mal ist
die [2][Sanierung des barocken Gebäudes], das jahrzehntelang verfallen war
und beraubt des Schmucks, des Stucks und der Fußböden, ein Stück weiter
fortgeschritten und die Wiederherstellung seiner Ausstattung mit den
Künsten des sächsischen Rokokos weiter gediehen.
## Hybride Figur aus Wurzel und Mantel
Das Verschwenderische des Raumdekors verlangt starke Setzungen. Es ist
nicht zuletzt die Spannung zwischen rekonstruiertem Ambiente und
zeitgenössischer Kunst, die „Rohkunstbau“ attraktiv macht.
Die Bildhauerin Birgit Dieker arbeitet mit Textilien, Altkleidern und ihren
Gebrauchsspuren. Ihre Skulptur „All her Colours“, aus vielen Schichten
Stoff gebaut, wölbt sich wie ein Mantel mit Kapuze über einem schwarzen
Stamm mit Wurzeln, ebenfalls detailreich aus Stoffen geformt. Das
Gewachsene und das Menschengemachte bilden zusammen eine hybride Figur.
Umgeben ist sie von bukolischen Szenen in den alten Wandbildern. Was dort
noch als Harmonie inszeniert ist, muss in Diekers Arbeit die Balance immer
wieder neu tarieren.
Das Schloss ist von einem Landschaftsgarten umgeben. Neben der Zufahrt
prangt eine Pyramide, gebaut aus ausrangierten Leuchtbuchstaben. Es ist ein
fröhlicher Haufen in seiner Buntheit; obwohl man weiß, dass die Leuchten
oft auf eine Geschäftsaufgabe zurückgehen. Die Künstlerin Dafni
Barbageorgopoulou, die wie die meisten der 18 an dieser Ausstellung
beteiligten Künstler:innen in Berlin lebt, hat ihr den Titel „Discharge“
gegeben. Sie bildet hier ein Echo der Großstadt, die weit entfernt scheint.
In einem Raum mit weitem Blick in den Garten sind ringsum Putten
aufgestellt, die verschiedene bäuerliche Handwerke repräsentieren, Spuren
von Zerstörung und Restaurierung zeigen. Sie bilden jetzt den Hofstaat um
eine [3][Skulptur von Erwin Wurm] aus Aluminium. Auf zwei Beinen steht sie
auf dem Sockel, zwei Beine streckt sie in die Luft, dick verpackt in
gestepptem Daunenzeugs. Ihre Fitness ist so verzweifelt wie kopflos.
## Gespür für den Eigensinn
[4][Christoph Tannert, der in Berlin bis letztes Jahr den Stipendiatensitz
Künstlerhaus Bethanien geleitet hat], ist der diesjährige Kurator von
Rohkunstbau. In den 1990ern Jahren war der Kunsthistoriker ein wichtiger
Begleiter der aus der DDR kommenden Künstler:innen, mit großem Gespür für
künstlerischen Eigensinn und Ideologieferne.
Wenn er der Ausstellung jetzt den Titel „Ästhetische Wiederbewaffnung“
gegeben hat, dann in bewusster Abwendung von agitatorischen Konzepten,
einer Kunst, die ihre Botschaft schon kennt, bevor sie überhaupt entstanden
ist. Die Mittel der „Ästhetischen Wiederbewaffnung“ sind Verführung,
Überschwang, morbide Schönheit, dramatisches Spiel, witzige Fiktionen,
märchenhafte Elemente. Für die Bühne des Schlosses hat Tannert theatrale
Positionen gewählt, starke Hingucker, die nichts dagegen haben, auch als
Unterhaltung und Narration gelesen zu werden. Auch wenn sie einen
kritischen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse im Gepäck haben.
Von Frank Seidel gibt es zwei düstere Gemälde, 2015 entstanden, als
Russland die Krim besetzte, ein im Westen unterschätzter Krieg, wie man
heute weiß. Gesichter wie Totenschädel schauen aus schwarz verlaufender
Farbe, die ein ungewisses Terrain bildet, in „Großer Vaterländischer Krieg“
und „Zurück auf Start“. Die Bilder sind ebenso eine expressive, symbolische
Geste, die das [5][Todbringende hinter der Kriegspropaganda] markiert, als
auch die Wiederkehr eines barocken Momento mori.
Der Besuch der Ausstellung ist übrigens für die Anwohner im Dorf Altdöbern
die einzige Möglichkeit, das Schloss zu besichtigen. Denn in der Regel ist
es geschlossen und harrt noch einer zukünftigen Nutzung.
2 Aug 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.rohkunstbau.net/
DIR [2] https://www.rbb-online.de/doku/das/das-comeback-eines-schlosses-pomp-und-parkmusik-in-altdoebern.html
DIR [3] /Herr-Wurm-aus-Wien-macht-Kunst-mit-VW/!5200728
DIR [4] /Kunst-mit-Sound-zu-50-Jahre-Bethanien/!6025252
DIR [5] /Ukrainische-Filme-ueber-den-Krieg/!6067277
## AUTOREN
DIR Katrin Bettina Müller
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