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       # taz.de -- Bahnprojekte in Brasilien: Hafenanbindung ohne Hafen
       
       > Brasiliens Eisenbahn ist für politisch gefärbte Megaprojekte bekannt, die
       > nie gebaut werden. Nun geht es um knapp 2.400 Kilometer – mit einem
       > Haken.
       
   IMG Bild: Hier wurde noch gebaut: Bahn-Baustelle in Bahia im Jahr 2011
       
       Salvador da Bahia taz | In Bahia betitelt sich jeder zweite Imbissinhaber
       als „König des Burgers“, so sehr mögen die Menschen hier das Dramatische.
       Eine geplante Eisenbahnverbindung von Bahias Atlantikküste bis nach Peru
       wird da leicht zur „Neuen Route für den Fortschritt“.
       
       So lautet einer der Zeitungstitel nach der Ankündigung durch die
       brasilianische Planungsministerin Simone Tebet im Juli auf dem
       BRICS-Gipfel. Die offiziellen Angaben: 2.396 Kilometer Schienen von Ilheus
       bis zum Hafen Chancay in Peru, unter anderem für den [1][Transport von
       Getreide und Eisenerz].
       
       Ein Glück für die Regierung, dass die Menschen vergesslich sind. Denn mit
       fast gleichem Wortlaut hatte sie eine ähnliche Nachricht bereits vor elf
       Jahren verbreitet. Damals wollten China und Peru eine Mega-Eisenbahn bauen,
       als Anschluss zu einem nördlich gelegenen brasilianischen Hafen. Geworden
       ist aus dem Projekt nichts. Die Neuauflage von 2025 bringt ein paar
       Veränderungen, aber ihre Umsetzung ist ebenso unwahrscheinlich.
       
       Die jetzt geplante interozeanische Eisenbahn soll das
       Nord-Süd-Eisenbahnnetz mit den Regionen im Osten, Westen und dem Mittleren
       Westen [2][Brasiliens] verbinden und von Porto Sul im Norden der
       brasilianischen Kleinstadt Ilheus bis nach Chancay in Peru führen. Wobei
       der vorgesehene Startpunkt, der Porto Sul, bislang gar nicht existiert.
       
       Er sollte ursprünglich gebaut werden, um von dort vor allem Eisenerz aus
       der Mine „Pedra de Ferro“ zu verschiffen. Deren Entdecker hatte die Firma
       Bamin zur Förderung des Metalls gegründet. Wenig später verkaufte er die
       Mehrheit an die indische Zamin-Gruppe. Studien hatten inzwischen gezeigt,
       dass viel weniger – und qualitativ geringerwertiges – Eisenerz hätte
       gefördert werden können als erwartet.
       
       ## Milliardenzuschüsse – trotzdem gescheitert
       
       Also gab Zamin das Paket aus Mine, den ersten 1.500 Kilometern der jetzt
       geplanten Strecke – der sogenannten Fiol (Ferrovia de Integração Oeste
       Leste) – und das Hafenprojekt an die kasachische Gruppe ERG weiter, die die
       Bamin bis heute kontrolliert. Trotz Milliardenzuschüssen aus der
       brasilianischen Staatskasse ging die Rechnung nicht auf.
       
       Mit Unterstützung der brasilianischen Regierung versuchte die ERG deswegen
       seit 2023, das Pleiteprojekt an den brasilianischen Bergbaugiganten Vale zu
       verkaufen. Doch Vale lehnte ab: Das Projekt sei nicht durchführbar.
       Inzwischen stehen die Bauarbeiten still, 300 Arbeiter wurden entlassen.
       Trotzdem sprechen sich Lokalpolitiker weiterhin vehement für das Projekt
       aus.
       
       Jetzt sollen die Chinesen einspringen und zumindest das Hafenprojekt und
       das bereits begonnene erste Stück der Bahnstrecke als Teil der
       interozeanischen Eisenbahnlinie übernehmen. Logistik passt in deren neue
       Seidenstraßen-Logik und der von ihnen finanzierte Hafen Chancay in Peru
       könnte mehr Frachtvolumen gut gebrauchen.
       
       Allerdings: Die Eisenbahnlinie von Ilheus bis ins 1.500 Kilometer entfernte
       Figueiropolis ist noch lange nicht fertig. Der Bau am ersten Abschnitt
       stagniert, der zweite Abschnitt wird im Zeitlupentempo mit
       Regierungsgeldern vorangetrieben und für den dritten muss erst ein neues
       Konzept erstellt werden, ebenso wie für den gesamten restlichen
       Streckenverlauf über die Anden bis an den Pazifik. Was das alles kosten
       soll, ist völlig unklar. Medien nennen Summen zwischen 5 und 100 Milliarden
       US-Dollar.
       
       ## Kostenfrage offen
       
       „Die Kosten sind zu diesem Zeitpunkt nicht abzuschätzen“, sagt der
       Wirtschaftswissenschaftler Claudio Frischtak. Er hat im März eine kritische
       Analyse über das Fiol-Bahnstreckenstück und Porto Sul veröffentlicht und
       urteilt: „Der Porto Sul ist sinnlos. Wir haben bei Salvador die
       Allerheiligenbucht mit mehreren Häfen und den Hafen von Salvador. Diese
       Häfen sind exzellent – und bereits gebaut“.
       
       Der erste Abschnitt der Bahnstrecke könnte, argumentiert er, mit einer
       Verbindung zu diesen Häfen verknüpft werden. Die Strecke bis nach Salvador
       misst weniger als 400 Kilometer und muss keine Bergketten überwinden wie
       die mindestens 2.000 Kilometer lange Strecke vom Ende der Fiol bis nach
       Peru.
       
       Die brasilianische Eisenbahngesellschaft ANTT hat bislang nicht auf die
       Analyse reagiert. Brasilien, so Frischtak, habe eine lange Geschichte an
       Mega-Projekten mit politischer Färbung vorzuweisen, die entweder gar nicht
       oder erst Jahrzehnte später zu exorbitanten Kosten umgesetzt werden.
       
       Sinnloses fertig zu bauen, scheint einfacher, als zuzugeben, dass ein
       Projekt von Anfang an nicht durchdacht war. Doch die groß angekündigte
       interozeanische Bahnstrecke müssen die Brasilianer vielleicht nicht einmal
       selbst canceln: Wer sich die Vereinbarung zwischen Brasilien und China
       genauer ansieht, merkt, dass die Chinesen sich nicht etwa zum Bau, sondern
       nur zu einer Durchführbarkeitsstudie verpflichtet haben, für die sie sich
       fünf Jahre Zeit lassen können. Fünf Jahre sind lang genug, um ein Projekt
       in Vergessenheit geraten zu lassen, nicht nur in Bahia.
       
       23 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Christine Wollowski
       
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