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       # taz.de -- Die Wahrheit: Erbauung durch Frohsinn
       
       > Die große Dreißigerjahre-Schau im Zweiten Deutschen Fernsehen: Ein
       > Festival der braunen Laune mit allem Guten aus dem wiederentdeckten
       > Jahrzehnt.
       
   IMG Bild: Einfach unsterblich und mit 121 Lenzen live dabei: Jopi Heesters
       
       Fast einhundert Jahre lang waren sie das hässliche Entlein unter den
       Jahrzehnten. Dem neuen Zeitgeist sei Dank: Endlich ist der Blick auf die
       Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts positiv, sodass auch sie abgefeiert
       werden können wie die Siebziger, die Achtziger und die seligen Zonenzeiten.
       
       In einer bunten Unterhaltungsgala zeigte uns das ZDF jetzt – war es nicht
       letzten Samstag und direkt aus Nürnberg? –, dass gar nicht alles so grau
       gewesen ist. Damals, als das Farbfernsehen noch nicht erfunden war. Der
       Moderator des Abends, Ken Jebsen, feierte ein gelungenes Comeback.
       Stilsicher eröffnete der viel zu lang Geschmähte in wadenlangen
       Knickerbockern, braunem Sportjackett und fescher Schiebermütze den bunten
       Abend in Ufacolor.
       
       Das Konzept derartiger Sendungen ist hinreichend bekannt und versprach
       daher lustige Filmchen und Gassenhauer aus der besten Zeit der
       großdeutschen Unterhaltung sowie launige Studiogäste, mit denen man
       überhaupt nicht rechnete, weil man sie seit Langem für tot gehalten hatte.
       
       Da aber im Deutschland der Dreißigerjahre nicht alles so golden war wie in
       der Dekade zuvor, gab es im Vorfeld der „Großen Dreißigerjahre-Schau“
       gehörigen medialen Trubel. Die üblichen Bedenkenträger befürchteten eine
       „Verharmlosung der Diktatur“, was man auf dem Mainzer Lerchenberg
       selbstverständlich empört zurückweisen musste. Insgeheim freute man sich
       aber über die unverhoffte Zusatzpropaganda.
       
       ## Beschwingtes Publikum
       
       Und Moderator Jebsen bescherte es gleich den ersten Lacher des
       likörbeschwingten Publikums: „Liebe Volksgenossinnen und Volksgenossen hier
       auf dem Zeppelinfeld, daheim und in den Fernsehstuben, es war nicht alles
       gut damals – es gab auch schlechte Filme. Wer konnte schon ahnen, dass
       hinter ‚Münchhausen‘ dieser Kästner steckte?!“
       
       Zwar kam dieser Film erst 1943 in die Kinos, das wusste selbst Jebsen. Doch
       würden sich ja auch viele Vierzigjährige noch lange in ihren Dreißigern
       wähnen. „Für immer 39!“, pflichtete Spitzengast Till Rammstein Lindemann
       bei. Der präsentierte seine persönlichen Lieblingsszenen aus Leni
       Riefenstahls „Triumph des Willens“, dem, so Lindemann, „vielleicht größten
       deutschen Film aller Zeiten. Es ist eine Schande, dass es dafür keinen
       Oscar gegeben hat.“
       
       Die neben ihm auf dem Sofa sitzende Kabarettistin Lisa Eckhart bemerkte
       dazu spitz, man wisse ja, wer in solchen Gremien das Sagen habe. Der
       sächsische Mime Uwe Steimle zeigte sich kurz darauf erfreut, dass die
       „Epoche der Verlogenheit“ endlich vorbei sei.
       
       Unter dem launigen Motto „Von Heinz Rühmann bis zur Autobahn“ wurde ein
       Feuerwerk guter deutscher Befindlichkeit abgebrannt. Noch einmal etwa sahen
       wir Höhepunkte der Olympischen Spiele von 1936. „Immerhin haben wir den
       Schwatten Jesse Owens vier Goldmedaillen gewinnen lassen“, stellte direkt
       und in Farbe der 104-jährige Ernst Schocke fest, damals Kartenabreißer am
       Osttor. Aus dem Hintergrund rief die Österreicherin Eckhart: „Da sieht
       man’s wieder: Rassistisch seid ihr Deutschen nie gewesen!“
       
       Die Gästeliste dieses Friede-Freude-Eierkuchen-Abends war wahrlich
       illuster. Zeitzeuge Jürgen Habermas erzählte munter von seinen Jahren in
       der Hitlerjugend: „Von der Kameradschaft her absolut einwandfrei.“ Die
       98-jährige Hildegard Schulze wurde als letzte lebende „Vorkosterin des
       Führers“ vorgestellt und präsentierte dessen Leibgericht: Quetschkartoffeln
       mit brauner Soße, zubereitet von Attila Hildmann. Dessen Kochbuch
       „Quark.Macht.Stark. Meine neue deutsche Volksküche“ ist derzeit ein wahrer
       Kassenschlager.
       
       Ein Höhepunkt jagte den nächsten auf dem Schirm. Erfolgsgranate Til
       Schweiger fuhr einen „KdF-Wagen“ auf die Bühne und kündigte seinen neuen
       Streifen „Porsche, Porsche“ an. Erinnert wurde zudem an die Erfindung des
       Massentourismus durch die Organisation „Kraft durch Freude“, mit der
       erstmals scharenweise Deutsche ins Ausland gebracht wurden. Und das noch
       vor Kriegsbeginn. Im Anschluss daran sang Till Lindemann im Duett mit dem
       Sprechgesangsass Kollegah: „Kraft durch Freude schickte mich ins
       Finnenland, / wo ich Freude an der Kraft von Reinhild fand.“
       
       ## Beobachtungen im Bunker
       
       Danach überraschte wohl alle der Auftritt von Johannes Heesters, den die
       meisten für tot gehalten hatten. Und wahrscheinlich war es wirklich nur ein
       Hologramm, das so manchem Nachgeborenen die Schau zu stehlen verstand, wie
       etwa beim Streit über das Lieblingslied des Führers. Jopi Heesters meinte,
       es müsse „Davon geht die Welt nicht unter“ sein. Vorkosterin Schulze
       hingegen bestand darauf, im Bunker beobachtet zu haben, wie Adolf Hitler
       ein paar Tränen vergossen habe beim Tonfilmschlager „Wie schön wär’ heut’
       für mich die Welt“.
       
       Perlen großdeutscher Unterhaltung flimmerten sodann in Einspielfilmen in
       unser Gedächtnis: Heinrich George, Marika Rökk und Zarah Leander sowie die
       legendäre „Reichswasserleiche“ Kristina Söderbaum. Unter dem Gelächter des
       aus dem ganzen Reichsgebiet angereisten Publikums schlug Ken Jebsen eine
       Brücke zu einem Gespräch über den deutschen Mütterdienst. Eine gewisse Ilse
       Schuchmankowski, Tochter einer Trägerin des zwölffachen Mutterkreuzes,
       schwärmte von der damaligen Frauenpolitik. „Damals war es noch eine Ehre,
       Deutsche gebären zu dürfen!“
       
       Eine vom Publikum laut beklatschte Aussage, die schließlich in
       anschwellender Ballettmusik unterging. Auftritt der legendären
       Goebbels-Girls, jener altgedienten KdF-Revuetanzgruppe – ein wenig
       gewöhnungsbedürftig, da die einzige noch lebende Ex-Elfe nicht ohne ihren
       Rollator mit Panzerketten auskam und auf der großen, einst von Albert Speer
       entworfenen Zeppelintribüne doch reichlich verloren wirkte.
       
       Leichte Irritationen gab es im ZDF zudem, als einer der Verlierer des
       Führer-Ähnlichkeitswettbewerbs nicht müde wurde zu behaupten, er sei der
       echte Adolf Hitler und müsse daher die Reise auf der „MS Horst Wessel“ zu
       den norwegischen Fjorden gewinnen, sonst lasse er das Publikum geschlossen
       „deportieren“.
       
       Zum Ausklang des munteren TV-Abends gab es dann Marschmusik, bevor Helene
       Fischer in einem Röhmrad hereingerollt kam und schwungvoll den
       Soldatenschmachtschlager „Lili Marleen“ intonierte. Ja, mit diesen 88
       Minuten Kurzweil ist es dem ZDF gelungen, wahre Erbauung durch Frohsinn in
       unsere Stuben zu bringen. Nächste Woche zeigt der Sender dann wohl „Die
       bombige Vierzigerjahre-Schau“ unter dem Motto „Ein Kessel Stalingrades“.
       Sicher wieder ein Knaller für die deutsche Volksgemeinschaft.
       
       18 Aug 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thilo Bock
       
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