URI: 
       # taz.de -- Ausstellung im Berliner Spreepark: Der Pollen ist politisch
       
       > Tagträumen bis zum Untergang: In der Ausstellung „Doom Snoozers“ sind
       > Menschen nicht mehr die mächtigste Spezies. Aber wer dann?
       
   IMG Bild: Ist das Kunst oder Utopie? Ein Schuppentier in der Ausstellung „Doom Snoozers“
       
       Es brennt! Schuld ist eine Horde gehässiger Bäume, die mit Molotowcocktails
       in den Ästen durch eine Kleinstadtsiedlung triumphiert und ein Haus nach
       dem anderen anzündet. Rache für den menschlichen Zerstörungswahn? Zum Glück
       nur im Miniaturmodell des Künstlerduos Böhler & Orendt, in dem Flammen aus
       Wolle und Häuser aus Pappkartons bestehen.
       
       „Doom Snoozers“ (übersetzt „Untergangsschlummernde“) heißt die Ausstellung
       der Künstler Matthias Böhler und Christian Orendt, die im restaurierten
       Backsteingebäude „Eierhäuschen“ im Ostberliner Spreepark gezeigt wird. Mit
       Drucken, kleinteiligen Skulpturen und Zeichnungen bauen sie eine
       dystopische Traumwelt, in der die Menschen längst nicht mehr die mächtigste
       Spezies sind.
       
       Stattdessen schlüpfen Besucher*innen in die Rollen nicht-menschlicher
       Wesen. Dabei hilft Jill – eine virtuelle Siebenschläferin, die eigentlich
       die meiste Zeit des Jahres in einer Erdhöhle verbringt. In der Ausstellung
       ist sie aber ziemlich aktiv und hat als persönlicher „Dream Guide“ zu jedem
       Werk eine kurze Geschichte parat.
       
       Ihre sanfte, künstlich anmutende Stimme erklingt über einen Kopfhörer,
       sobald man nah genug vor einem Werk steht: „Während du dich fragst, ob sie
       jetzt nicht doch ein bisschen zu weit gegangen sind, beginnt es, dich in
       der Krone zu jucken“. Plötzlich ist man eine*r von ihnen, Teil des
       Rachefeldzugs.
       
       ## Der Siebenschläfer führt die Snoozers
       
       Treffpunkt mit Jill ist der „Hutkiosk“ – ein wabenförmiger Betonpavillon
       mit überdimensionaler Baseballkappe als Dach und zugleich die erste Station
       für Besucher*innen: Hier können sie sich bunte, mit Kopfhörern verkabelte
       Baseballkappen schnappen, an deren Vorderseite ein runder Bildschirm
       angebracht ist. Aus diesem starrt einen Jill mit ihren schwarzen
       Kulleraugen und orangebraunen Borsten eindringlich an.
       
       Sie stellt sich vor, während man im Spiegel die Ausrüstung begutachten
       kann: „Ich helfe dir und den anderen Snoozers dabei, die realen
       Gegebenheiten, die ihr hier vorfindet, im Erlebnismodus des Träumens
       wahrzunehmen.“ Der gesamte Prozess hat etwas von Freizeitpark-Attraktion –
       und passt zum Ort. Denn der [1][Spreepark] war zu DDR-Zeiten ein
       Vergnügungspark – der einzig ständige auf ostdeutscher Seite.
       
       Im Jahr 2001 musste er schließen und die Natur überwucherte die
       übriggebliebenen Attraktionen. Lange Zeit galt das Areal als „Lost Place“,
       bevor die Stadt 2016 Pläne für den Wiederaufbau vorstellte. 2027 soll der
       Park als „grüner Freiraum“ mit dauerhaften Kunstinstallationen und
       temporären Ausstellungen neu öffnen. Neben Architekt*innen und
       Ingenieur*innen sind auch Künstler*innen wie Böhler und Orendt bei
       der Gestaltung beteiligt.
       
       „Sie wollen keinen Ausweg aus dem Dilemma zeigen, sondern komplexe
       Zusammenhänge erfahrbar machen“, beschreibt Kuratorin Ellen Blumenstein die
       Arbeit des Duos. Jills Erzählungen helfen, ihre Bilder zu einer
       Fantasiewelt zu verdichten. Das mache die Ausstellung auch für
       Kunstunerfahrene zugänglich, die zwischen Spreeufer und Plänterwald nur
       zufällig ins historische Gebäude stolpern, das gleichzeitig Ausflugslokal
       ist.
       
       ## Auch menschliche Kunstvermitlerinnen stehen bereit
       
       Ein Willkommensteam aus drei Kunstvermittlerinnen steht bei Fragen bereit,
       den Rest erledigt Jill mit ihren „DreamKeep-Experiences“ – bis auf das
       Tagträumen, aber das passiert ohnehin automatisch. Wie wäre es, als
       winziges Insekt über die Zukunft der Menschheit zu entscheiden? Unterhalb
       eines kleinen Erdhügels hecken grellgelbe Spinnenwesen bereits einen
       hämischen Plan dafür aus. In ihrem Bau produzieren sie ein Giftkonzentrat
       aus Pestiziden, getarnt als gold-schimmernde Wunderpille. Jill fragt: „Wie
       sollst du dich nur entscheiden?“
       
       Eine Etage tiefer wird heute abgestimmt: Sollen wir es dem Menschen mit
       seinen eigenen Waffen heimzahlen oder endlich die Spirale der Gewalt
       unterbrechen? Eins steht fest: „The Pollen is Political“ – so heißt es
       zumindest auf einem der blauen Mini-Wahlplakate, die an den Erdwänden des
       Insektenbaus hängen.
       
       Die verspielten, detailreichen Modelle von Böhler & Orendt erinnern an
       harmlose Bastelarbeiten, sind aber eigentlich geschrumpfte Projektionen
       unserer absurden, zerstörerischen Lebensweisen. Aus Vogelperspektive
       erkennt man eine Spezies, die glaubt alles im Griff zu haben, während die
       Welt längst in Flammen steht.
       
       Der Titel „Doom Snoozers“ bringt diesen Widerspruch auf den Punkt: Wir
       zerstören und schlummern dabei seelenruhig weiter. Wie die lebensgroßen,
       gesichtslosen Figuren, überzogen mit einer glänzend-weißen Klebschicht, die
       sich zwischen den Installationen abgelegt haben. Bleibt die Frage:
       Mitschlummern oder endlich aufstehen?
       
       25 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sanierung-des-Spreeparks/!5837521
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Emilia Papadakis
       
       ## TAGS
       
   DIR Bildende Kunst
   DIR Dystopie
   DIR Kultur in Berlin
   DIR Natur
   DIR Künstlerische Forschung
   DIR Spreepark
   DIR Berlin Ausstellung
   DIR Ausstellung
   DIR Bildende Künstler
   DIR Architektur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ausstellung „Vulture“ in Berlin: Kunst wie perfekte Kadaver
       
       Antwort auf dringliche Fragen der Gegenwart: Der Berliner Projektraum
       Scherben zeigt Werke von Sigmar Polke, Dylan Spasky und Mickael Marman.
       
   DIR Outdoor-Ausstellung zum Thema Wind: Mit der Landschaft verbunden
       
       Wind wird schnell zum Sturm, wenn es um Metaphern geht. Die Ausstellung
       „bewegter wind“ in Nordhessen setzt ihn dagegen als Komplizen von Kunst
       ein.
       
   DIR B.L.O.-Ateliers in Berlin-Lichtenberg: Als würde die Arbeit gleich weitergehen
       
       Zwei Jahre bleiben den B.L.O. Ateliers in Lichtenberg, um alle Gebäude zu
       sanieren. Ob der Kulturstandort bestehen kann, entscheidet die Deutsche
       Bahn.
       
   DIR Der Architekt Hinrich Baller: Als würden sie tanzen
       
       Mit Pastelltönen und eigenwilligen Formen mischte Hinrich Baller Berlin ab
       Ende der 1960er Jahre auf. Zur Erinnerung an den im Juli verstorbenen
       Architekten.