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       # taz.de -- Abschiebungen nach Afghanistan: Organisierte Verantwortungslosigkeit
       
       > Die Bundesregierung erweckt den Anschein von Geschäftigkeit bei der
       > Aufnahme gefährdeter Afghan*innen in Deutschland. De facto tut sie
       > nichts.
       
   IMG Bild: Islamabad, Pakistan, 10. August: afghanische Geflüchtete suchen vor Ablauf ihrer Frist zur Ausreise Schutz in einem Park
       
       Seit Tagen stürmt die Polizei in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad
       Gästehäuser und verhaftet dort Afghan*innen, die eine Aufnahmezusage für
       Deutschland haben. [1][Hunderte wurden in Abschiebelager gebracht und
       mindestens 35 nach Afghanistan abgeschoben]. Es handelt sich um Menschen,
       die wegen ihres politischen und gesellschaftlichen Engagements oder ihrer
       sexuellen Identität [2][im Land der Taliban] extrem gefährdet sind und
       deswegen in Deutschland Schutz zugesagt bekommen haben. Die Abschiebungen
       kommen nicht überraschend. Pakistan hat seit Jahresbeginn tausende
       Afghan*innen rigoros abgeschoben, selbst solche, die beim
       UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR als Geflüchtete registriert waren.
       
       Schon vor einem Jahr drängte die pakistanische Regierung darauf, dass
       Afghan*innen in einem humanitären Aufnahmeprogramm eines anderen Landes
       auch tatsächlich dorthin ausreisen müssen. Und was macht die
       Bundesregierung? Sie spricht mit hochrangigen Vertretern der pakistanischen
       Regierung – sagt das Auswärtige Amt. Sie prüft die Gültigkeit jeder
       einzelnen Aufnahmezusage – sagt Innenminister Alexander Dobrindt.
       Tatsächlich schafft die Regierung die Menschlichkeit ab.
       
       Als die alte Regierung noch Afghan*innen aus den deutschen
       Aufnahmeprogrammen per Charter nach Deutschland holte, protestierte die
       Union lautstark. Inzwischen sagt Außenminister Johann Wadephul, dass
       Afghan*innen mit einer gültigen Aufnahmezusage selbstverständlich nach
       Deutschland geholt werden. [3][Aber der Innenminister lässt prüfen und
       prüfen und prüfen und prüfen.] In den Sozialwissenschaften gibt es dafür
       den Begriff der organisierten Verantwortungslosigkeit.
       
       Damit ist gemeint, dass zwar viel getan und der Anschein von Geschäftigkeit
       erweckt wird, aber tatsächlich nichts dabei herauskommt. Man folgt Regeln
       und komplexen Vorschriften, die alle beachtet werden wollen, [4][und am
       Ende passiert – nichts.] Jedenfalls nicht das, worum es eigentlich geht.
       Immer gibt es noch etwas zu überprüfen, noch ein Verfahren einzuhalten.
       
       ## Den Taliban ausgeliefert
       
       Der Effekt ist, dass so viele Akteur*innen an einer Angelegenheit
       beteiligt sind, dass niemand mehr konkret für etwas verantwortlich ist. Die
       Verantwortung zersplittert im Wust der (Un-)Zuständigkeiten. Anstatt die
       gefährdeten Afghan*innen nach Deutschland zu holen und ihnen eine
       sichere Zuflucht zu bieten, sind sie den Abschiebungen und damit den
       Taliban ausgeliefert. Die organisierte Verantwortungslosigkeit der
       Bundesregierung hat dafür den Grundstein gelegt.
       
       Alle Betroffenen sind mit gültigen pakistanischen Visa nach Islamabad
       gekommen, um dort die Einreise nach Deutschland zu beantragen. Aber die
       Prüfung der „Fälle“ dauerte schon unter der Vorgängerregierung so lange,
       dass inzwischen nahezu alle Visa abgelaufen sind. Seit einiger Zeit
       verlängern die pakistanischen Behörden keine Visa mehr. Damit sind die
       Afghan*innen „illegal“ in Pakistan und können abgeschoben werden. Die
       deutschen Behörden haben ihre Illegalität produziert. Aber natürlich wollen
       deutsche Behörden nicht dafür verantwortlich sein, man muss sich ja
       schließlich an die Verfahren halten.
       
       Und wie gesagt: Afghan*innen in den Aufnahmeprogrammen werden in
       Islamabad einer eingehenden Sicherheitsüberprüfung durch deutsche
       Sicherheitsbehörden – Verfassungsschutz, BKA, Bundespolizei – unterzogen.
       Das dauert. De facto wird seit einigen Monaten in Islamabad nicht mehr
       geprüft.
       
       ## Entzogene Aufnahmeerklärungen
       
       Die Bundesregierung nahm den kurzen militärischen Schlagabtausch zwischen
       Indien und Pakistan Anfang Mai zum Anlass, nach dem Ende der
       Feindseligkeiten und dem Waffenstillstand zwischen beiden Ländern das
       Sicherheitspersonal aus der Botschaft in Islamabad abzuziehen. Aus
       Sicherheitsgründen, selbstverständlich. Es geht sehr viel um Sicherheit bei
       diesen Prüfverfahren, aber niemals um die Sicherheit der gefährdeten
       Afghan*innen. Gleichzeitig verringert sich die Zahl der Afghan*innen in
       den deutschen Aufnahmeprogrammen in Islamabad auf wundersame Weise. Waren
       es vor gut einem Monat noch etwa 2.600 Menschen, ist inzwischen nur noch
       von etwas über 2.000 die Rede.
       
       In einer Hinsicht gehen die Prüfungen weiter und Afghan*innen bekommen
       ihre Aufnahmeerklärungen entzogen. Zwischen den verschiedenen deutschen
       Aufnahmeprogrammen gibt es einen feinen juristischen Unterschied: Nur die
       Afghan*innen im Bundesaufnahmeprogramm bekommen eine Aufnahmezusage, die
       nur durch ein förmliches Widerrufsverfahren entzogen werden kann.
       Betroffene können dagegen Einspruch erheben und klagen. Die
       Aufnahmeerklärungen der älteren Menschenrechtsliste und des
       Ortskräfteverfahrens können dagegen schnell und einfach per E-Mail entzogen
       werden.
       
       Die Betroffenen müssen die Unterkünfte in Islamabad verlassen und landen
       auf der Straße. „Illegal“ und in der Folge der Abschiebung völlig schutzlos
       ausgeliefert. Für sie ist Deutschland ja nicht mehr zuständig. Die
       Bundesregierung will keine gefährdeten Afghan*innen aufnehmen, sondern
       die humanitären Aufnahmeprogramme abschaffen. Man kann sich des Eindrucks
       nicht erwehren, dass, frei nach Friedrich Merz, Pakistan dabei die
       „Drecksarbeit“ für die Bundesregierung macht.
       
       Vielleicht ein Lichtblick: Die Bundesregierung hat ihre Beschwerde gegen
       ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zurückgezogen, dem zufolge einer
       afghanischen Familie mit einer gültigen Aufnahmezusage sofort ein Visum
       ausgestellt werden muss. Allerdings sagt das Auswärtige Amt, dass nun noch
       diverse Vorbereitungen getroffen werden müssen und dass sich das Verfahren
       hinzieht, unter anderem weil bei den pakistanischen Behörden die
       Ausreisegenehmigung für die Familie beantragt werden muss. Vielleicht ist
       die Familie dann schon abgeschoben. Die organisierte
       Verantwortungslosigkeit geht weiter. Die Drecksarbeit auch.
       
       19 Aug 2025
       
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