URI: 
       # taz.de -- Müll-Bußgelder in Berlin: Sauber!
       
       > Wer Berlin vermüllt, soll mehr Bußgeld bezahlen. Aber hilft das wirklich,
       > damit die Stadt nicht im Dreck versinkt? Ein kommentierter Bericht.
       
   IMG Bild: Zu verschenken
       
       Bei der [1][dringend notwendigen Erhöhung der Parkgebühren] lässt sich der
       schwarz-rote Senat noch Zeit. Aber wer Zigarettenkippen wegschnippt oder
       seinen Hausrat auf dem Gehweg entsorgt, soll nun deutlich mehr zur Kasse
       gebeten werden. Eine entsprechende Erhöhung des „Bußgeldkatalogs für
       Ordnungswidrigkeiten im Bereich des Umweltschutzes“ hat Umweltsenatorin Ute
       Bonde (CDU) am Dienstag im Senat eingebracht. „Der Senat ist
       zuversichtlich, mit diesem Katalog einen großen Beitrag zur Sauberkeit der
       Stadt zu leisten“, sagte Senatssprecherin Christine Richter am Dienstag im
       Anschluss an die Senatssitzung.
       
       (Kommentar: Fast möchte man einwenden, die CDU – die SPD ist mitgemeint –
       hat thematisch nichts zu bieten und nervtötet daher die Stadt mit ihrem
       Pochen auf die deutsche Sekundärtugend [2][Sauberkeit]. Nur: Die
       Konservativen haben auch mit diesem Thema die letzte Abgeordnetenhauswahl
       gewonnen, ganz offensichtlich, weil es verfängt. Bei einer Haustürbefragung
       der Linken in Neukölln landete die Müllproblematik in den Top 3, selbst
       unter Nicht-Spießern sind [3][Klagen über die verdreckte Stadt inzwischen
       nicht mehr verpönt]. Erkennen wir es an: Eine lebenswerte Stadt muss nicht
       so aussehen.)
       
       Wer seine Zigarettenkippe achtlos auf den Boden fallen lässt, muss künftig
       250 Euro bezahlen. Der bisherige Katalog aus dem Jahr 2019 sah dafür eine
       Strafe von 80 bis 120 Euro vor. Allerdings kann der Verursacher zunächst
       auch verwarnt werden, sagt die Sprecherin der Umweltsenatorin, Petra
       Nelken, der taz. Dann sind nur 55 Euro fällig.
       
       (Sind wir hier in Singapur? Nein, im Ernst: Schon die bisherigen Verwarn-
       und Bußgelder hat vermutlich noch nie jemand zahlen müssen. Allein höhere
       Strafen festzulegen, nützt nichts, wenn es nicht auch kontrolliert wird.
       Doch zusätzliches Personal für die Ordnungsämter wird es nicht geben.
       Besser wäre eh, Aufklärung darüber zu schaffen: Kippen sind klein, ihr
       Schaden groß, besonders als Verschmutzungsquelle fürs Trinkwasser.)
       
       Richtig teuer wird es bei der illegalen Entsorgung von Sperrmüll. Statt 150
       Euro werden nun mindestens 1.000 Euro fällig, bei größeren Mengen sogar bis
       zu 10.000 Euro. Die Senatsverwaltung für Umwelt weist zudem darauf hin,
       dass auch „Zu verschenken“-Kisten (oder Haufen) eine „bußgeldbewährte
       Ordnungswidrigkeit“ darstellen. Wer tatsächlich etwas zu verschenken hat,
       soll sich stattdessen an das Gebrauchtwarenkaufhaus, die NochMall an der
       Auguste-Viktoria-Allee, wenden oder sein Zeug zu den Recyclinghöfen am
       Hegauer Weg, in der Gradestraße, in der Lengeder Straße und am
       Ostpreußendamm bringen.
       
       (Der Senat zeigt, er hat keine Ahnung, wie diese Stadt funktioniert, in der
       sich viele mit den Überbleibseln ihrer Nachbarn eindecken: von Kleidung,
       über Bücher bis zum Toaster. Sachen, die sonst im Müll landen würden, weil
       man dafür erst recht nicht durch die Stadt fährt, werden so weiter genutzt:
       Mehr Ressourcenschonung geht nicht.)
       
       Nun hat nicht jeder, der seine alte Matratze oder den Kleiderschrank
       loswerden will, ein Auto zur Verfügung. In solchen Fällen verweist die
       Umweltverwaltung auf die App Tiptapp, die bei der Vernetzung für Fahrten
       auf Recyclinghöfe helfen soll. Tatsächlich ist die Entsorgung von Sperrmüll
       bei der BSR – anders als in anderen Städten – in vielen Fällen kostenlos,
       sofern es sich um „haushaltsübliche Mengen“ handelt. Wer alte Reifen bei
       der BSR abgibt, muss allerdings 2,60 Euro pro Stück zahlen. Das ist dennoch
       deutlich günstiger als das künftige Bußgeld. Das beträgt 700 Euro pro
       Reifen.
       
       (Wir sind am Pudels Kern der Berliner Vermüllung. Doch Sperrmüll lässt sich
       nicht beseitigen durch Strafen und Hinweise auf Apps. Und auch nicht durch
       die theoretische Möglichkeit, ihn von der BSR abholen zu lassen. Der
       Irrsinn der Anforderungen hierfür reicht vom zentimetergenauen Ausmesssen
       der Kubikmetergröße des Mülls bis zur Beantragung von Halteverbotsschildern
       für das Müllfahrzeug. Nur auf die naheliegende Lösung kommt niemand: feste
       Termine, an denen Sperrmüll abgeholt wird. Da hilft es auch nicht, dass die
       BSR diesen Service seit einiger Zeit an unregelmäßig wechselnden Orten
       anbietet.)
       
       Auch das Wegverfen von Coffee-to-go-Bechern wird nun teurer. Der neue
       Bußgeldkatalog sieht eine Strafe von 250 Euro aufwärts vor. Bisher ging es
       bei 80 Euro los. Auch Kaugummis fallen in diese Preiskategorie. Für
       Umweltsenatorin Bonde ist der aktualisierte Bußgeldkatalog, der nach der
       Kenntnisnahme im Senat nun an den Rat der Bürgermeister weitergeleitet
       wird, „ein wichtiger Baustein, um in Berlin zu mehr Sauberkeit zu
       gelangen“. Neben Prävention und Müllvermeidung sei auch Repression nötig,
       um für mehr Sauberkeit zu sorgen.
       
       Hintergrund der Erhöhungen dürften auch die Mehrkosten sein, die auf die
       Berliner Stadtreinigung zugekommen sind. Seitdem die BSR 2023 für die
       Entsorgung des gesamten illegalen Mülls in Berlin zuständig ist, sind die
       Kosten gestiegen. Sie betrugen 2023 fast zehn Millionen Euro.
       
       Am stärksten betroffen von illegalem Müll sind seit Jahren die Bezirke
       Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Mitte, berichtete im vergangenen
       Jahr der RBB. Besonders viel falle dabei in Grünanlagen an. Schuld daran
       dürften auch die vielen Touristinnen und Touristen in diesen Bezirken
       sein.
       
       (So manchem dient das Müllthema dazu, Stimmung mit kulturell-rassistischen
       und sozialchauvinistischen Zuschreibungen zu machen. Schließlich sind es
       doch die armen Migrantenviertel Nord-Neukölln, Wedding oder Teile
       Kreuzbergs, die besonders verschmutzt sind! Doch erklärt ist damit nichts.
       Stattdessen lohnen Fragen danach, wo besonders viele Menschen auf engem
       Raum leben (müssen), wo es an Geld oder Pkw mangelt, um die kaputte
       Waschmaschine zum nächsten Werkstoffhof zu bringen. Oder auch, wo die
       Stadtreinigung ihre Prioritäten setzt?)
       
       Die Berlinbesucher und jene Berlinerinnen und Berliner, die sich ihren
       Kaffee nicht in Mehrwegbecher füllen lassen, will Bonde nicht zur Kasse
       beten. Anders als in Tübingen plant Berlin keine [4][Verpackungssteuer],
       wie sie zum Beispiel die Grünen fordern.
       
       (Und das hat System: Probleme werden individualisiert – und die Wirtschaft
       wird geschont. Dabei beginnt Sauberkeit bei der Müllvermeidung; eine Steuer
       für Händler, die Einwegverpackungen oder -geschirr verwenden, wäre ein
       wichtiger Anreiz, die Abfallproblematik von Anfang an mitzudenken. Nötig
       wäre zumindest eine Initiative, um die seit 2023 geltende Pflicht für
       Einzelhändler Mehrwegbehälter für Speisen und Getränke anzubieten, auch zu
       kontrollieren. Aber: Fehlanzeige!)
       
       Grüne und auch Linke sind darüber hinaus skeptisch, ob die Erhöhung der
       Bußgelder die Stadt tatsächlich sauberer machen. Die Bezirke, deren
       Ordnungsämter zuständig sind, erwarten nur dann eine Wirkung, wenn der
       Kontrolldruck zunimmt. Das steht und fällt mit dem zur Verfügung stehenden
       Personal. Überführt werden können Müllsünder oft nur dann, wenn sie auf
       frischer Tat ertappt werden.
       
       CDU und SPD argumentieren dagegen, höhere finanzielle Strafandrohungen
       dämpften zumindest den Drang, Straftaten zur persönlichen Bereicherung zu
       begehen. Und mit den Einnahmen könnten Maßnahmen zur Überwachung
       einschlägiger Müllablagestellen etwa mit Hilfe von Kameras finanziert
       werden.
       
       (Wenn die Müllbekämpfung letztlich nur der autoritären Formierung eines
       Law-and-order- und Überwachungsstaates dient, dann soll es lieber schmutzig
       bleiben.)
       
       19 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sparpolitik-in-Berlin/!6106815
   DIR [2] /Muellprobleme-in-Berlin/!6077610
   DIR [3] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!5907372
   DIR [4] /Steuer-auf-Einweg-Verpackungen-in-Berlin/!6104467
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
   DIR Erik Peter
       
       ## TAGS
       
   DIR BSR
   DIR Müll
   DIR Bußgeld
   DIR Schwarz-rote Koalition in Berlin 
   DIR Social-Auswahl
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwarz-rote Koalition in Berlin 
   DIR Verpackungsmüll
   DIR Friedrichshain-Kreuzberg
   DIR Streik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Urbane Lifestyleszene in der Kritik: Tiktok to go
       
       Start-up-Ketten verwandeln Alltagsware via Social Media in
       Lifestyleprodukte. Sie erzeugen viel Müll und setzen lokale Cafés und
       Imbisse unter Druck.
       
   DIR Ekliges Berlin: Fresst euren Müll selbst
       
       Mit höheren Bußgeldern will die Berliner Landesregierung Müllsündern an den
       Kragen. Hilft das? Was der Müll über eine Stadt und ihre Menschen sagt.
       
   DIR Neue BSR-Kampagne: Du bist schuld an Berlins Müllproblem
       
       Die Umweltsenatorin präsentiert lustige Werbebilder, die das Müllproblem
       eindämmen sollen. Einer Verpackungssteuer erteilt sie hingegen eine Absage.
       
   DIR Grünflächen in Berlin: Schleichender Niedergang
       
       Schon jetzt reiche das Geld nicht für saubere und klimaresiliente Parks und
       Grünanlagen, sagt eine Berliner Umweltstadträtin und warnt vor Kürzungen.
       
   DIR Müllprobleme in Berlin: Nachhaltige Wurstigkeit
       
       Der letzte BSR-Streik ist schon lange vorbei. Das heißt nicht, dass rund um
       die Müllbehälter der Stadt wieder Ordnung herrscht.