URI: 
       # taz.de -- Gipfel in Washington: Selenskyj übersteht die Höhle des Löwen
       
       > Flankiert von den Unterstützern aus Europa geht der ukrainische Präsident
       > gestärkt aus dem Treffen mit Trump. Doch viele Streitpunkte sind
       > ungelöst.
       
   IMG Bild: Diesmal ohne Eklat: Wolodymyr Selenskyj trifft Donald Trump im Oval Office
       
       Berlin/Washington taz | Sei nett zu Trump, dann ist Trump auch nett zu dir.
       Nach diesem Drehbuch meisterten Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der
       Ukraine, und die zu seiner Unterstützung mitgereisten Staats- oder
       Regierungschefs von Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien und
       Italien samt EU-Kommissionspräsidentin und Nato-Generalsekretär am Montag
       ihre Termine im Weißen Haus.
       
       „Meine Erwartungen sind übertroffen worden“, sagte hinterher Bundeskanzler
       Friedrich Merz über die Reise der sieben Zwerge aus Europa in die Höhle des
       Löwen, damit der Ukrainer dort nicht gefressen wird. Die Erwartungen waren
       vorab gering, nachdem sich Trump nur drei Tage vorher in Alaska scheinbar
       uneingeschränkt hinter Wladimir Putin gestellt hatte.
       
       Die neue Runde in Washington begann mit einem Zweiertreffen zwischen
       Selenskyj und Trump, bevor die Europäer hinzukamen. [1][Anders als beim
       öffentlichen Eklat im Februar] verlief es diesmal offenbar harmonisch. Es
       sei ihr vielleicht bestes Gespräch je gewesen, sagte Selenskyj. Das wohl
       wichtigste Ergebnis: Putin und Selenskyj wollen sich treffen. Zumindest
       behauptet das Trump. Er unterbrach die Gespräche, um Putin dafür anzurufen.
       Selenskyj bestätigte, dass er dazu bereit sei und dass er dafür keinen
       vorherigen Waffenstillstand verlange – sonst würde auch Putin Bedingungen
       stellen.
       
       Nach Angaben von Merz könnte die Begegnung – es wäre die erste seit 2019 –
       „innerhalb der nächsten zwei Wochen“ stattfinden. Darauf soll dann ein
       Dreiergipfel mit Trump folgen. Am Montag erklärte bereits der Schweizer
       Außenminister Ignazio Cassis, sein Land werde dem per Haftbefehl vom
       Internationalen Strafgerichtshof gesuchten Putin ausnahmsweise Immunität
       gewähren, „wenn er für eine Friedenskonferenz kommt“.
       
       ## Waffenstillstand: Merz fordert Druck auf Moskau
       
       Der Kreml bestätigte aber lediglich, man erwäge, mit der Ukraine auf
       höherem Niveau zu verhandeln als bisher. Die konfliktfreie Stimmung im
       Weißen Haus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein einziger
       Konfliktpunkt ausgeräumt ist, weder zwischen Russland und der Ukraine noch
       zwischen der Ukraine und ihren westlichen Partnern oder zwischen den USA
       und den Europäern.
       
       Ein erster Streitpunkt: Die Frage, ob es vor Friedensverhandlungen einen
       Waffenstillstand geben muss. Die Ukraine verlangt dies seit Monaten,
       Russland lehnt dies seit Monaten ab. Bis zu seinem Treffen mit Putin
       verlangte das auch Trump, hinterher nicht mehr. Merz widersprach in
       Washington: „Eine echte Verhandlung kann es nur auf einem Gipfel geben, an
       dem die Ukraine selbst auch teilnimmt. Ein solcher Gipfel ist nur denkbar,
       wenn die Waffen schweigen.“ Der Bundeskanzler forderte, „Druck auf Russland
       auszuüben“. Der US-Präsident reagierte: „Ich weiß nicht, ob das nötig ist.“
       
       Ein zweiter Streitpunkt: Der Inhalt eines möglichen Friedensabkommens. Seit
       dem Alaska-Gipfel ist klar, was Putin und Trump verlangen: Die Ukraine soll
       nicht nur die Krim als Teil Russlands anerkennen und darüber hinaus auf
       alle russisch besetzten Gebiete im Süden und Osten ihres Landes verzichten,
       sie soll auch den noch nicht russisch besetzten Teil des Gebiets Donezk
       abgeben – im Gegenzug sichert Russland zu, den Rest der Ukraine nicht mehr
       anzugreifen.
       
       Aus US-Sicht ist das verschmerzbar: [2][der restliche Donbass] ist auf den
       Landkarten ein winzig kleiner Fleck, der nun wirklich nicht wert ist, dass
       man dafür den Krieg verlängert. Die Realität allerdings ist etwas anders.
       Kein Frontbereich ist heftiger umkämpft, nirgends sind in diesem Krieg die
       russischen Verluste größer und die ukrainischen Verteidigungsstellungen
       stärker als in diesem Abschnitt von Pokrowsk bis Lyman nördlich von
       Slowjansk. Es erscheint undenkbar, dass die Ukraine ihre zentralste und
       stärkste Frontlinie mit mehreren Großstädten kampflos dem Feind überlässt.
       
       ## Was ist mit Sicherheitsgarantien gemeint?
       
       Was dazu in Washington gesagt wurde, bleibt unklar. Selenskyj sagte
       hinterher, die Territorialfrage werde er allein mit Putin besprechen. Als
       weiteren wichtigen Punkt nannte er die Rückkehr der nach Russland
       entführten ukrainischen Kinder – der Grund für den internationalen
       Haftbefehl gegen Putin und ein sehr emotionales Thema [3][auch auf Ebene
       der First Ladies] in Kyjiw und Washington.
       
       Der dritte Streitpunkt ist der, von dessen Lösung alles andere abhängt: die
       zukünftigen „Sicherheitsgarantien“ des Westens für die Ukraine.
       „Sicherheitsgarantien sind der Schlüssel“, erklärte Selenskyj in Washington
       am Montag. Wenn man von der Ukraine Gebietsabtretungen verlange, müsse man
       im Gegenzug garantieren, dass Russland nie wieder angreift, sagte am
       Dienstag Nato-Generalsekretär Mark Rutte und nannte es einen „Durchbruch“,
       dass jetzt auch die USA dazu bereit seien. „Wir werden ihnen guten Schutz
       und sehr gute Sicherheit geben“, hatte Trump am Montag gesagt.
       
       Aber was ist mit Sicherheitsgarantien gemeint? Allgemeine
       Sicherheitsgarantien ohne verbindlichen Charakter stehen bereits in den
       Sicherheitsabkommen, die die Ukraine mit mehreren Ländern geschlossen hat,
       auch Deutschland. Konkrete Sicherheitsgarantien, also eine militärische
       Beistandspflicht analog derer in der Nato, wären in der Praxis kaum
       umsetzbar. Erhöhte Sicherheitszusammenarbeit ist sehr wohl im Gespräch –
       von europäischen Waffenkäufen für die Ukraine in den USA in einem Wert von
       90 Milliarden US-Dollar ist aktuell die Rede.
       
       Noch weitergehend wäre die Idee, die Großbritanniens Premierminister Keir
       Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron entwickelt haben: eine
       mehrere zehntausend Soldaten umfassende Friedenstruppe einer europäischen
       „Koalition der Willigen“ zur Überwachung einer demilitarisierten
       Waffenstillstandslinie in der Ukraine. Zuletzt war davon mangels
       Kapazitäten kaum noch die Rede, jetzt kommt es wieder auf den Tisch, wobei
       klar ist, dass die USA nicht dabei sein werden. Die Ukraine „wird
       französische, britische und deutsche Streitkräfte bekommen“, sagte Trump am
       Dienstag gegenüber Fox News.
       
       Das lehnt Russland rundheraus ab. Doch nur wenn die Europäer ihre
       Unterstützung für die Ukraine massiv ausweiten, könnte ein Friedensschluss
       nach den aktuellen Vorstellungen gelingen. Es bleibt eine Quadratur des
       Kreises.
       
       Derweil wäre es für Selenskyj schon ein kleiner Punktsieg, wenn Putin
       bereit wäre, ihn direkt zu treffen. Und für Trump wäre es eine Bestätigung.
       Für die nächsten Tage immerhin ziehen die Präsidenten der USA und der
       Ukraine wieder an einem Strang.
       
       19 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ukraines-Praesident-in-Washington/!6072965
   DIR [2] /Der-Donbass-und-seine-Bedeutung/!6107328
   DIR [3] https://www.spiegel.de/ausland/alaska-gipfel-donald-trump-brachte-wladimir-putin-einen-brief-von-melania-mit-a-77075813-324f-4bc8-9c25-26e9293413c4
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hansjürgen Mai
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Friedrich Merz
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wladimir Putin
   DIR Donald Trump
   DIR GNS
   DIR Frieden und Krieg
   DIR Social-Auswahl
   DIR Trump/Selenskyj
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wolodymyr Selenskij
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR ORF-Kameramann in Ukraine festgenommen: Wien fordert Aufklärung von Kiew
       
       Ukrainische Sicherheitsbehörden hielten einen ORF-Kameramann tagelang fest.
       Das Medienhaus protestiert, die FPÖ poltert, die Ukraine schweigt.
       
   DIR Krieg in der Ukraine: Bomben bis zum Morgengrauen
       
       Russland überzieht die Ukraine wieder mit flächendeckenden Angriffen. Auch
       eine US-Firma mit Sitz in Transkarpatien ist betroffen.
       
   DIR Ukrainische Lokalzeitung in Snihuriwka: Die Rosen zwischen den Ruinen
       
       In der von Russland zerstörten Kleinstadt Snihuriwka kämpft Ihor Nowikow
       ums Überleben seiner Lokalzeitung. Sie ist für viele mehr als nur ein
       Medium.
       
   DIR Selenskyj und Trump im Oval Office: Weder Fiasko noch Frieden
       
       In der Ukraine sind viele zufrieden mit dem Auftritt ihres Präsidenten
       Selenskyj im Oval Office. Einen Durchbruch konnte er aber nicht erzielen.
       
   DIR Selenskyj in Washington: Frieden im Anzug
       
       Bei seinem Auftritt im Weißen Haus zeigt sich der ukrainische Präsident
       Wolodymyr Selenskyj modisch kompromissfähig. Und erfreut damit Donald
       Trump.
       
   DIR Ukraine-Gipfel bei Trump: Die Kunst des strategischen Schmeichelns
       
       Wolodymyr Selenskyj und seine Verbündeten haben gelernt, wie man Trump
       umgarnt. Ob es zu einem Treffen mit Putin kommen wird, ist trotzdem
       unsicher.