# taz.de -- Aktivist Glaeser über Rassismus: „Es kommt immer wieder dieses „Ja, aber…“
> Auf dem Afrika-Festival in Hamburg-Altona spricht Kodjo Valentin Glaeser
> über strukturellen Rassismus und die Verantwortung weißer Menschen.
IMG Bild: Festivalauftritt: Rama-N-Goni aus Burkina-Faso
taz: Warum sollten sich weiße Menschen mehr damit beschäftigen, dass sie
weiß sind?
Kodjo Valentin Glaeser: Es ist wichtig, die Auswirkungen der
Kolonialgeschichte in unserem Alltag zu realisieren. Wie sie noch immer
unser Denken und Handeln beeinflussen. Als Teil der weißen
Mehrheitsgesellschaft ist es elementar, sich dabei der eigenen
Verantwortung zu stellen. Dass beispielsweise die Ausbeutung des globalen
Südens durch westliche Industrienationen unvermindert fortgesetzt wird.
Aber auch, dass sich der Status quo nur so erhalten konnte, weil an Orten
der Wissensreproduktion immer noch eurozentristische Perspektiven
dominieren. Es ist essenziell, dass jene zu Wort kommen, die durch die
Folgen der Kolonialisierung betroffen sind: Schwarze Stimmen. Das ist
entscheidend, um in diesem Prozess voranzukommen.
taz: In der Wissenschaft kann man diese Verantwortung weißer Menschen mit
dem Begriff „Critical Whiteness“ beschreiben. Was bedeutet er genau?
Glaeser: Übersetzt bedeutet es „Kritisches Weiß-Sein“. Es bietet die
Gelegenheit, sich kritisch mit den Privilegien auseinanderzusetzen, die
weißen Personen zuteil werden. Ein Beispiel: Wenn mir die Frage nach der
Herkunft gestellt wird, antworte ich, dass ich aus Stuttgart komme. Dann
reagiert mein Gegenüber oft genervt und fragt nach der „wirklichen“
Herkunft. In so einer Situation gilt es, als weißer Mensch Stereotype zu
hinterfragen und sich kritisch damit auseinanderzusetzen, welche Vorurteile
aufgrund des Weiß-Seins existieren.
taz: Auf dem [1][Afrika-Festival] geben Sie Workshops zum Thema
struktureller Rassismus und Critical Whiteness. Wie reagieren weiße
Menschen, wenn man sie mit ihrer Verantwortung konfrontiert?
Glaeser: So vielfältig wie die Menschen sind, sind auch die Reaktionen.
Eines sticht jedoch ins Auge: Nachdenklichkeit. Zwar kommt immer wieder
dieses „Ja, aber…“ Danach kommen aber häufig Rückfragen und das Bedürfnis
dazuzulernen. Es wird häufig die Frage gestellt, was sie konkret in ihrem
Alltag ändern können. Das zeigt, dass immerhin ein Impuls gegeben wurde,
der in die richtige Richtung geht. Wichtig ist es, einen Einblick zu
vermitteln, wie der Alltag aus der [2][Perspektive nicht weißer Menschen]
wahrgenommen wird, was die Folgen von strukturellem Rassismus sind und
dessen Konsequenzen.
taz: Wie könnte man es schaffen, dass sich Menschen mit Alltagsrassismus
beschäftigen, die sich nicht von einem Workshop angesprochen fühlen?
Glaeser: Am besten ist es, sein Verhalten in Alltagssituationen zu
reflektieren, wo unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen. Sei es
in der Familie, im Freundeskreis, im Sportverein oder auch am Arbeitsplatz.
Ein Austausch darüber hilft oft weiter. Außerdem ist es wichtig, dass
Menschen mitbekommen, was im öffentlichen Raum passiert. Wir haben [3][in
Hamburg etliche Initiativen], die hervorragende Arbeit leisten. Die sind
niedrigschwellig organisiert und laden dazu ein, vorbeizukommen und sich
einzubringen – und zwar alle. Außerdem sollte vermieden werden, das Thema
zu akademisch zu verklausulieren. So könnte man diejenigen abschrecken, die
eigentlich interessiert wären.
taz: Wie wünschen Sie sich einen Diskurs zwischen Schwarzen und weißen
Menschen?
Glaeser: Wir brauchen einen Dialog und ein Miteinander auf Augenhöhe! Wir
müssen die Sache vom Ende her denken und die Frage beantworten, in was für
einer Gesellschaft wir leben wollen. Nämlich in Gerechtigkeit, Frieden,
Freiheit und Würde. Und zwar für alle Menschen! Die Voraussetzung dafür ist
es, den Status quo zu betrachten, ihn zu hinterfragen. Dann kann man die
Vergangenheit gründlich aufarbeiten, um für die [4][nächsten Generationen]
eine Welt zu schaffen, in der sie ein gutes Leben führen können.
22 Aug 2025
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## AUTOREN
DIR Amelie Müller
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