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       # taz.de -- Lagebild Clankriminalität: Niedersachsen hängt am Mythos
       
       > Der Umgang Niedersachsens mit „Clankriminalität“ ist laut einer Studie
       > „systematisch diskriminierend“. Das Land möchte die Praxis trotzdem
       > fortsetzen.
       
   IMG Bild: Selten kommt es so weit: Razzia im Bereich der Clankriminalität
       
       Hannover taz | Die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD)
       und Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) sahen sich Anfang der Woche als
       „Vorreiter bei der Bekämpfung von Clankriminalität“ bestätigt. Bei der
       Vorstellung des fünften [1][gemeinsamen Lagebilds „Clankriminalität“]
       verwiesen sie auf sinkende Fallzahlen und knapp fünf Millionen Euro an
       abgeschöpftem Vermögen, das den Erfolg ihrer „Null-Toleranz-Strategie“
       verdeutlichen soll.
       
       Seit Jahren steht den Warnungen der Behörden vor Clankriminalität die
       Kritik gegenüber, dass das Konzept diskriminierend sei und Menschen allein
       wegen ihrer Herkunft verdächtige. Auf ihre oft wiederholten pauschalen
       Zurückweisungen wird sich Innenministerin Behrens dabei zukünftig nicht
       mehr beschränken können. Denn eine vom Innenministerium in Auftrag gegebene
       und im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie zur Diskriminierung in der
       Polizeiarbeit gibt den Kritiker*innen recht.
       
       „Wir identifizieren die Bekämpfung der sogenannten ‚Clankriminalität‘ als
       systematisch diskriminierend“, sagt Studienautorin Astrid Jacobsen. Sie und
       ihr Kollege Jens Bergmann von der Polizeiakademie Niedersachsen kommen in
       der Studie zu einem grundlegenden Urteil: „Das Konzept der
       ‚Clankriminalität‘ und der darin enthaltene ‚Clan‘-Begriff des Landes
       Niedersachsen impliziert bereits qua Definition und Auftrag
       Diskriminierung.“
       
       Die behauptete spezifische Gefährlichkeit des Phänomens sei nicht
       nachweisbar, heißt es weiter. „Clankriminalität“ zeige „kaum Unterschiede“
       zur Allgemein- oder Jugendkriminalität. Die „pauschalisierende
       Verdachtsschöpfung“ gegenüber bestimmten Gruppen führe regelmäßig zu
       stigmatisierenden Kontrollen, stellen die Forschenden fest, obwohl nur zehn
       Prozent der Mitglieder vermeintlicher „Clans“ von der Polizei als
       Tatverdächtige geführt werden.
       
       ## Von Mord bis Falschparken
       
       Zentraler Aspekt des Konzepts sei die Fundierung auf ethnisch-familiäre
       Zugehörigkeit, nicht eine bestimmte Form der Kriminalität. Den
       Studien-Autor*innen scheint es daher gerechtfertigt, „im Fall des Phänomens
       ‚Clankirminalität‘ von einem ‚Mythos‘ zu sprechen“.
       
       Nach Definition der niedersächsischen Behörden ist ein „Clan“ eine Gruppe
       von Personen, „die durch eine gemeinsame ethnische Herkunft, überwiegend
       auch durch verwandtschaftliche Beziehungen, verbunden ist“.
       
       Kriminelle Clanstrukturen seien gekennzeichnet durch die Begehung nicht nur
       von Straftaten, sondern auch von Ordnungswidrigkeiten jeglicher Art aus
       diesem Umfeld, das ein hohes kriminelles Potenzial berge. Ob ein Fall
       Einzug in die Statistik findet, entscheiden jeweils die Beamt*innen
       anhand von Indikatoren wie einem „überhöhten familiären Ehrbegriff“.
       
       Das bedeutet: Alles, von Mord bis Falschparken, ist Clankrimialität,
       solange der Verdächtige dem „Clan-Umfeld“ zugeordnet wird. Ausgehend von
       dieser sehr weiten Definition hat der Lagebericht für 2024 etwa 3.100 Fälle
       von Clankriminalität erfasst. Mit 0,59 Prozent machte das Phänomen einen
       verschwindend geringen Anteil an der Gesamtkriminalität aus.
       
       ## Kleine Kinder miterfasst
       
       Verfahren wegen organisierter Kriminalität, die das öffentliche Bild von
       vermeintlichen Clans prägen, sind selten. 2024 waren es Fünf. Unter den im
       Lagebild identifizierten Clankriminellen befinden sich auch 30 Kinder im
       Grundschulalter unter zehn Jahren. Vier sind sogar jünger als sechs Jahre.
       
       Dass die Fälle von [2][Clankriminalität] „kaum ins Gewicht fallen“ und ein
       deutliches Missverhältnis zwischen den Zahlen und dem Ermittlungsaufwand
       besteht, räumt auf der letzten Seite auch der Lagebericht ein. Die
       Ministerinnen begründen den Aufwand deshalb mit der [3][subjektiven
       Sicherheit] der Bürgerinnen und Bürger. „Diesen Weg werden wir auch weiter
       gehen“, kündigte Justizministerin Wahlmann an.
       
       Auf Nachfrage betont das Innenministerium, dass die Ergebnisse der Studie
       „selbstverständlich im Rahmen eines ständigen Qualitätssicherungs- und
       Optimierungsprozesses berücksichtigt“ würden. Trotzdem spricht es entgegen
       der Erkenntnisse weiter von einem „ernstzunehmenden Phänomen“ und erklärt:
       „In der Polizeiarbeit wird keine [4][strukturelle Diskriminierung]
       praktiziert oder gar akzeptiert.“
       
       21 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.mj.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/lagebild-clankriminalitat-2024-von-polizei-und-justiz-rucklaufige-fallzahlen-und-erhebliche-steigerung-bei-der-vermogensabschopfung-244131.html
   DIR [2] /Polizei-und-Clankriminalitaet/!6064993
   DIR [3] /Messerverbotszonen/!6059508
   DIR [4] /Polizeikontrollen-in-Hamburg-St-Pauli/!6096191
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Aljoscha Hoepfner
       
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