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       # taz.de -- Mathematik: Schluss mit der Unendlichkeit
       
       > Finitisten wollen in der Mathematik die Unendlichkeit abschaffen. Gute
       > Idee. Das könnte man auch auf die Anhäufung von Privatvermögen anwenden.
       
   IMG Bild: Bilck in unendliche Weiten: das Weltall
       
       Die Feststellung, dass dies oder jenes definitiv ein Ende hat, löst eher
       traurige Gefühle aus. Hingegen ist die Idee davon, dass die Party und das
       Leben unendlich weitergehen, sehr verlockend.
       
       Und so glauben manche Menschen an die Unendlichkeit eines Gottes, den es
       schon immer gegeben hat und den es immer geben wird. Andere glauben an die
       Unendlichkeit des Universums, das nirgendwo anfängt und nirgendwo aufhört.
       Die allermeisten Mathematiker glauben an die Unendlichkeit von Zahlen. Man
       kann immer weiter zählen und kommt nie an ein Ende oder man nutzt Zahlen
       wie Pi, die unendlich viele Nachkommastellen besitzen.
       
       Das war nicht immer so. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vermieden
       Mathematiker den Umgang mit der Unendlichkeit. Berechnungen mit dieser
       Einheit waren zu schwierig anzustellen. Zum Beispiel, was passiert, wenn
       man Unendlich mit Unendlich multipliziert? Der deutsche Mathematiker Georg
       Cantor entwickelte dann die [1][Mengenlehre, durch die die Unendlichkeit zu
       einem Grundprinzip moderner Mathematik wurde].
       
       Eine kleine aber wachsende Gruppe Mathematiker, die Finitisten, lehnt diese
       Vorstellung jedoch ab. [2][Das berichtete kürzlich das New
       Scientist-Magazin.] Unendlichkeit sei zwar theoretisch vorstellbar, aber
       sie korrespondiere nicht mit der Realität und sei also ungeeignet, um
       unsere Welt zu beschreiben.
       
       ## Schluss mit unendliche Anhäufen von Geld und Ressourcen
       
       Sogenannte Ultrafinitisten fordern sogar, dass nicht nur die Unendlichkeit,
       sondern auch der Umgang mit extrem großen Zahlen eingestellt werden sollte.
       1080 (eine Zahl mit 80 Nullen dahinter) solle als Grenze dienen. [3][Diese
       entspräche in etwa der Anzahl der bekannten Atome im Universum.]
       
       Wichtige physikalische und mathematische Konzepte beruhen auf der Annahme
       der Unendlichkeit. Diese einfach zu verwerfen, würde zwar einiges
       durcheinander wirbeln. Trotzdem haben sich auch einige Physiker den
       Finitisten angeschlossen. [4][Sie erhoffen, mit einer anderen Mathematik
       Antworten auf Fragen zu finden, bei denen die Physik seit Langem
       feststeckt.] Zum Beispiel die Frage nach der Entstehung des Universums. An
       der New Yorker Columbia University gab es im April [5][eine dreitägige
       Konferenz], die Forschende aus Mathematik, Physik und Philosophie zu dem
       Thema Ultrafinitismus zusammenbrachte.
       
       In der Tat ist es eine charmante Idee, das Konzept des (Ultra)Finitismus
       auf weitere Lebensbereiche auszuweiten. Auf das unendliche Anhäufen von
       Geld und Ressourcen zum Beispiel. Elon Musk, Jeff Bezos und andere haben
       schon jetzt mehr Geld als sie jemals ausgeben könnten. Ihre Vermögen von
       mehreren hundert Milliarden Dollar korrespondieren nicht mehr mit der
       Realität, in der sich der Rest der Welt befindet. [6][Trotzdem wachsen sie
       stetig weiter.]
       
       Der politische Einfluss einiger Individuen ist inzwischen so groß, dass er
       mit demokratischen Prinzipien nur noch sehr schwierig zu vereinbaren ist.
       Mithilfe ihres schier unermesslichen Reichtums versuchen diese Individuen
       auch, im Alleingang andere Endlichkeiten zu durchbrechen. Die des
       menschlichen Lebens zum Beispiel, durch Investments in Longevity-Forschung.
       Oder die des Lebensbereiches der Menschen, indem sie mit [7][privaten
       Weltraumprogrammen ins All vordringen und andere Planeten besiedeln
       wollen.]
       
       Durch einen Ultrafinitismus des Geldes, sagen wir eine Grenze von 100
       Millionen Euro Privatvermögen pro Person, würden derzeitige
       Machtverhältnisse ordentlich durcheinander gewirbelt. Wie gut! Dazu könnte
       man das überschüssige Geld nutzen, um Armut und weit verbreiteten
       Krankheiten und dem Fortschreiten des Klimawandels ein Ende zu setzen.
       Also, um Probleme, bei denen die Menschheit seit Langem feststeckt, endlich
       zu lösen.
       
       21 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-georg-cantor-mengenlehre-100.html
   DIR [2] https://www.newscientist.com/article/2489813-why-mathematicians-want-to-destroy-infinity-and-may-succeed/
   DIR [3] https://www.derstandard.de/story/3000000283392/mathematische-stroemung-lehnt-nicht-nur-das-unendliche-sondern-auch-grosse-zahlen-ab
   DIR [4] https://www.spektrum.de/kolumne/finitisten-lehnen-unendlichkeiten-und-irrationale-zahlen-ab/2273120
   DIR [5] https://philosophy.columbia.edu/events/ultrafinitism-physics-mathematics-and-philosophy
   DIR [6] /Elon-Musk-Jeff-Bezos--Co/!6047709
   DIR [7] /Adam-Becker-ueber-den-Mars-und-Big-Tech/!6097358
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alice von Lenthe
       
       ## TAGS
       
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