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       # taz.de -- Buchhändler über Meinungsfreiheit: „Durch Lesen verstehen wir Chinas strukturelle Probleme“
       
       > Der Peking-kritische Hongkonger Buchhändler Lam Wing-Kee über seine
       > Erfahrungen in Hongkong und Taiwan und seine Verfolgung durch China.
       
   IMG Bild: Lam Wing-Kee in seinem Buchladen in Taiwans Hauptstadt Taipeh
       
       taz: Sie haben in Hongkong 1994 und damit drei Jahre vor der Rückgabe der
       Stadt an die Volksrepublik China den Causeway Bay Bookstore gegründet.
       Konnten Sie frei arbeiten?
       
       Lam Wing-Kee: Unser Buchladen hat mit der Zeit viel Einfluss gewonnen. Das
       änderte sich mit dem Amtsantritt von Chinas Staatschef Xi Jinping 2013. Der
       chinesischen Bevölkerung wurde verboten, öffentlich über Freiheit,
       Menschenrechte oder Hongkong zu sprechen. Nach und nach wurden Hongkongs
       Gesetze an die des Festlands angeglichen. Verleger, die kritische Bücher zu
       Xi veröffentlichten, wurden verurteilt, Buchhandlungen geschlossen. Es
       wurde immer klarer, dass Xi über Hongkong regieren wollte und kritische
       Bücher sein Vorhaben gefährden.
       
       taz: Wie wurden Sie direkt betroffen?
       
       Lam Wing-Kee: 2015 wurde ich beim Grenzübertritt von Honkong zur
       chinesischen Stadt Shenzhen gefasst. [1][Zur selben Zeit wurden vier meiner
       Kollegen in Hongkong, Thailand und auf dem chinesischen Festland entführt.]
       Wir wurden alle aufs Festland gebracht. Dort warf man uns vor, an einem
       regimekritischen Buch über Xi Jinping zu arbeiten.
       
       Schließlich stellte sich heraus, dass es unser [2][Verleger Gui Minhai]
       war. 2020 wurde er zu 10 Jahren Haft verurteilt, die er bis heute absitzt.
       Nach acht Monaten durfte ich nach Hongkong zurückkehren, um den Behörden
       die Kundenlisten vom Computer unserer Buchhandlung auszuhändigen. Die
       enthielt Namen von 600 Personen, meist vom Festland, die bei uns Bücher
       bestellt hatten. Statt die Liste auszuhändigen, tauchte ich unter.
       
       taz: Warum mussten Sie aus Hongkong fliehen?
       
       Lam Wing-Kee: 2019 sollte dort ein Auslieferungsgesetz erlassen werden,
       nach dem Straftatbestände nach Festlandrecht auch in Hongkong gelten und
       Menschen nach China ausgeliefert werden können, um dort vor Gericht zu
       stehen. Ich hatte keine Wahl, ich musste Hongkong verlassen.
       
       taz: Im Jahr 2020 haben Sie in Taipeh Ihren Buchladen wieder eröffnet. Wie
       arbeiten Sie dort?
       
       Lam Wing-Kee: Anders als in Hongkong kann ich in Taiwan frei Artikel
       schreiben, mich mit anderen treffen und offen diskutieren. Etwa ein Drittel
       der Bücher, die ich hier verkaufe, sind nicht auf dem chinesischen Festland
       erhältlich: Bücher über chinesische Politik oder die Konflikte mit Taiwan
       und Hongkong. Viele wurden von Hongkonger:innen geschrieben, aber hier
       in Taiwan verlegt. Meine Kund:innen sind vor allem aus Hongkong. Ab und
       zu kommt auch mal ein Festlandchinese. Kommen Taiwaner:innen, stoße ich ein
       Gespräch über die Diktatur auf dem chinesischen Festland und über die
       taiwanische Demokratie an. Ich finde, Taiwaner:innen sollten sich mehr
       für Demokratie interessieren und mehr lesen.
       
       taz: Steht die Gesellschaft in Taiwan bald vor der selben Bedrohung wie in
       Hongkong?
       
       Lam Wing-Kee: Anders als Hongkong verfügt Taiwan über ein Militär, mit dem
       es sich gegen den Anschluss an Festlandchina wehren kann. Doch hat China
       großen Einfluss in Taiwan, weil beide dieselbe Kultur teilen. Taiwan ist
       schließlich historisch aus China entsprungen. So lassen sich in der
       taiwanischen Gesellschaft noch immer Spuren der jahrtausendealten
       politischen Kultur des chinesischen Kaiserreichs erkennen. Ob
       Kommunistische Partei oder Kuomintang – manchmal ist der Unterschied gar
       nicht so groß. Doch auch wenn die USA und England eine Kultur und Sprache
       teilen, würde heute niemand mehr sagen, dass die USA zu England gehört.
       
       Taiwan hat sich erst in den 1990er Jahren demokratisiert und noch keine
       fest verankerte demokratische Kultur entwickelt. Eine ausgeprägte Kultur
       der Menschenrechte und Gleichberechtigung muss die Gesellschaft erst noch
       vom Westen lernen. Erst durch das Lesen beginnen wir Chinas strukturelle
       Probleme in Wirtschaft, Politik und Kultur zu verstehen. Das will die
       chinesische Regierung verhindern, deswegen sind sie hinter mir her.
       
       12 Aug 2025
       
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