URI: 
       # taz.de -- Biographie eines kommunistischen Paares: Zwei Leben in einer Partei
       
       > Mit einem Buchprojekt zum Leben von Martha und Harry Naujoks führt die
       > Gruppe „Kinder des Widerstandes“ in die Welt des historischen
       > Kommunismus.
       
   IMG Bild: Sind eigene Wege gegangen, auch wenn die Partei immer recht hatte: Martha und Henry Naujoks auf einer Wiese
       
       Hamburg taz | Es ist einiges zusammengekommen. Schon an Gewicht: 2,7 Kilo
       wiegt der erste Band, fast drei Kilo der zweite: „Zwei Leben für die
       Befreiung“ ist das bisher größte Projekt der [1][Hamburger Gruppe „Kinder
       des Widerstandes“], einer Art Selbstorientierungs-Organisation der Kinder
       und Kindeskinder derer, die während der NS-Jahre im politischen und da
       [2][meist kommunistischen Widerstand] waren; die das erfahrene Unrecht nach
       1945 persönlich, auch körperlich sowie politisch bewältigen mussten und für
       die zugleich die bis heute anhaltende Phase der Aufarbeitung und auch
       Bewältigung der Nazi-Diktatur größtenteils zu spät kam.
       
       Fünf Jahre hat eine fünfköpfige Autorengruppe [3][an dem Doppel-Werk]
       gearbeitet, Vorarbeiten nicht eingerechnet. Maßgebliche Stütze war die Mit-
       und Zuarbeit sowie Einordnung durch den Historiker Henning Fischer, der
       sich mit seinen Forschungen über die Lagergemeinschaften der Frauen im KZ
       Ravensbrück einen Namen gemacht hat. Noch mit dabei: Rainer Naujoks,
       leiblicher und ebenso nicht leiblicher Sohn von Martha und Harry Naujoks,
       auch das wird erklärt werden.
       
       Denn im Zentrum stehen die Lebensläufe des Ehepaars Naujoks: Beide sind von
       früher Jugend an eng mit der [4][kommunistischen Bewegung in Hamburg]
       verbandelt. Der bewaffnete [5][Hamburger Aufstand] nimmt sie mit, sie
       tauchen ein in die immer verzweifeltere Gegenwehr gegen den Faschismus,
       woraufhin sich ihre Wege ab Januar 1933 trennen.
       
       Martha Naujoks kann nach einer ersten Haft 1935 nach Prag fliehen, geht von
       dort im Auftrag der Partei weiter nach Moskau und ist damit unter Kontrolle
       der stalinistischen Exil-KPD. Im Sommer 1937 wird sie wegen angeblichen
       Versöhnlertums und „politischer Unzuverlässigkeit“ zeitweise aus der Partei
       ausgeschlossen; muss, gesundheitlich schwer angeschlagen, nicht nur um ihr
       politisches Überleben kämpfen.
       
       Harry Naujoks wiederum kommt noch im Sommer 1933 auf die
       [6][Gefangeneninsel Langenlütjen II] in der Weser, er kommt nach
       Bremen-Oslebshausen, bleibt in sogenannter Schutzhaft; 1936 folgt das KZ
       Sachsenhausen. Von 1939 bis 1942 ist er dort Lagerältester, und es ist ein
       nicht nur kleines Wunder, dass er das und die noch folgenden
       KZ-Inhaftierungen überlebt.
       
       Nach dem Krieg kommen beide in Hamburg wieder zusammen, stürzen sich in die
       Parteiarbeit, widmen ihr Leben der KPD – bis im Frühjahr 1950 Henry Najoks
       aller Parteiämter enthoben wird; auch hier lautet der Vorwurf:
       Versöhnlertum. Dass er sich während seiner Lagerältesten-Tätigkeit immer
       auch [7][für die KZ-Häftlinge der Nazi-Kategorie „Kriminell und asozial“]
       eingesetzt hat, wird ihm besonders übel genommen, wie man anhand interner
       Parteiprotokolle nun nachlesen kann.
       
       Beide Naujoks brechen nicht mit der Partei, das geht für sie einfach nicht,
       aber Harry Naujoks weicht produktiv aus: Er schreibt jahrelang an seinem
       [8][Buch „Mein Leben im KZ Sachsenhausen“], das zuerst in der DDR
       erscheint; angeblich in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Von Martha
       Naujoks sind nur verstreut Selbstzeugnisse hinterlassen.
       
       So ist dieser doppelte Forschungsband eine Art Hommage an den klassischen
       Kommunismus, an seine Hoffnungsstrahlen und seine von heute aus zuweilen
       schwer zu fassende Faszination, besonders der ersten und zweiten Hälfte des
       20. Jahrhunderts.
       
       Es ist aber immer auch ein Ausflug in die Welt von Parteidisziplin und
       Gehorsam, von allenfalls leisen Zweifeln, die man für sich behält, nur im
       kleinen Kreis äußert, in den legendären „Kumpelgesprächen“ etwa, zu denen
       Harry Naujoks seine überlebenden Freunde ab den frühen 1970er-Jahren
       einlädt; was umgekehrt viel darüber erzählt, wie eng auch der öffentliche
       Erzählraum jener Zeit gewesen sein muss.
       
       Mithin: Diese beiden Bücher kreuz und quer zu lesen, sie sich immer wieder
       vorzunehmen mit gebotenem Ernst und Durchhaltevermögen an einem festen
       Tisch sitzend, ist ein bisschen so wie früher, als man Werke noch
       studierte, während man heute oft von einem Wikipedia-Eintrag zum nächsten
       hüpft.
       
       Und so bietet dieser Doppelband nicht zuletzt ein schönes Paradox: Er
       erzählt von zwei Leben in einer Partei, die immer recht hatte, sonst wäre
       sie ja nicht die Partei gewesen, und in denen diese beiden Leben doch immer
       einen eigenen Weg suchten. Es ist ein Studienwerk voller Material, voller
       Nebenwerke und Seitenstränge und auch voller Charme, und nun ist es in der
       Welt und wird sich behaupten müssen, und die Chancen, dass dies gelingt,
       sie stehen gut.
       
       14 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Musiker-Andre-Rebstock-uebers-NS-Regime/!5929015
   DIR [2] /Buch-ueber-Widerstand-zur-NS-Zeit/!5926661
   DIR [3] https://www.galerie-der-abseitigen-kuenste.de/produkt/harry-und-martha-naujoks
   DIR [4] /Sachbuch-Gertigstrasse-56/!5752994
   DIR [5] /Ausstellung-ueber-Hamburger-Aufstand/!5957769
   DIR [6] /Sturm-gegen-Kunst/!428959/
   DIR [7] /Neue-Ausstellung-zu-KZ-Haeftlingen/!6041753
   DIR [8] https://www.zvab.com/buch-suchen/titel/leben-sachsenhausen-erinnerungen-ehemaligen/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Keil
       
       ## TAGS
       
   DIR KPD
   DIR NS-Widerstand
   DIR Kommunismus
   DIR Widerstand
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Biographie
   DIR Buch
   DIR Sachbuch
   DIR Hamburg
   DIR Social-Auswahl
   DIR wochentaz
   DIR Hamburg
   DIR Erinnerung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Musiker Andre Rebstock übers NS-Regime: „Aha, das Kommunistenkind“
       
       Die Eltern des Hamburger Musikers Andre Rebstock waren
       WiderstandskämpferInnen gegen das NS-Regime. Das hat bei ihm Spuren
       hinterlassen.
       
   DIR Geschichte der Hamburger Anarcho-Szene: Postkarten für eine bessere Welt
       
       Ein Sammelband präsentiert selbst gedruckte Postkarten der Hamburger
       Arbeiterbewegung und erzählt darüber ihre Geschichte zwischen 1900 und
       1945.
       
   DIR Sachbuch „Gertigstraße 56“: Aus dem inneren Kampfgebiet
       
       „Gertigstraße 56“ widmet sich dem kommunistischen Widerstand gegen den NS
       in Hamburg. Herausgegeben hat das Buch die Gruppe „Kinder des Widerstands“.