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       # taz.de -- Grünen-Politikerin outet sich: „Die AfD bekommt weder meine Angst, noch meinen Hass“
       
       > Anna Lührmann outet sich öffentlich als lesbisch. Die Grünenpolitikerin
       > versteht diesen Schritt als Signal gegen den Rechtsruck.
       
   IMG Bild: Rechtsradikale Demonstranten auf den Straßen von Bautzen bei einer Demonstration gegen den CSD
       
       taz: Frau Lührmann, Sie haben sich entschieden, sich öffentlich als
       lesbisch zu outen. Warum? 
       
       Anna Lührmann: Eigentlich trenne ich berufliche und private Themen. Meine
       sexuelle Orientierung ist etwas sehr Persönliches, und meine Beziehung zu
       meiner Partnerin ist mein privates Glück. Aber ich habe gemerkt, dass sich
       für mich [1][vieles verändert] hat. Früher musste ich mir keine Gedanken
       machen, ob wir einfach so Händchen haltend durch die Straße laufen können.
       Heute muss ich das.
       
       taz: Warum outen Sie sich gerade jetzt? 
       
       Lührmann: Am Wochenende ist der [2][CSD in meiner Heimatstadt Hofheim] und
       ich möchte dort als Teil der Community mitlaufen. Ich war in letzter Zeit
       auf vielen CSDs und es hat mich immer ein wenig genervt, dass ich da als
       Ally wahrgenommen wurde. In meiner Heimatstadt sollte sich das nicht wie
       ein Geheimnis anfühlen. Gleichzeitig möchte ich mit meinem Outing aber auch
       ein klares Zeichen gegen den Rechtsruck setzen.
       
       taz: Ihr Outing ist also auch eine politische Entscheidung? 
       
       Lührmann: Definitiv. Es gab einen Moment, als ich vor dem Fernseher saß und
       Nachrichten über den Anstieg von Straftaten gegen queere Menschen sah. Da
       wurde mir klar: Damit bin auch ich gemeint. Natürlich war das ein längerer
       Prozess, aber ich habe verstanden, dass es wichtig ist, in der Politik als
       queer sichtbar zu sein. Und deswegen sage ich deutlich, ich bin lesbisch
       und das ist auch gut so!
       
       taz: Sie spielen damit auf das Outing des ehemaligen Berliner
       Bürgermeisters Klaus Wowereit an. 
       
       Lührmann: Ich habe noch gut im Ohr, wie Klaus Wowereit vor vielen Jahren
       diesen Satz sagte: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so!“
       
       taz: Klaus Wowereit hat sich im Jahr 2001 geoutet. Das ist mehr als 20
       Jahre her. Ist ein Outing heute noch eine Nachricht wert? 
       
       Lührmann: Darüber habe ich viel nachgedacht. Eigentlich sollte ein Outing
       heute keine Nachricht mehr sein, aber leider ist es das immer noch. Meine
       Lebenswirklichkeit verändert sich, denn die Bedrohungslage für queere
       Menschen hat sich spürbar verschärft. Und es gibt inzwischen zwar viele
       offen lebende queere Personen, aber Sichtbarkeit ist weiterhin ungleich
       verteilt. In der Öffentlichkeit sehen wir deutlich mehr schwule Männer,
       sicher auch, weil Männer häufiger in Machtpositionen sind. Deshalb ist es
       wichtig, mehr für lesbische Sichtbarkeit zu tun.
       
       taz: Sie waren mit einem Mann verheiratet und haben eine gemeinsame
       Tochter. 
       
       Lührmann: Genau. Mein Ex und ich sind inzwischen seit zwei Jahren getrennt.
       
       taz: Wie hat sich Ihr Familienleben jetzt verändert? 
       
       Lührmann: Seit Januar bin ich in einer Beziehung mit einer wunderbaren
       Frau. Meine Partnerin hat zwei Kinder aus ihrer vorherigen lesbischen Ehe.
       Es ist viel Liebe in unserer Patchworkfamilie. Auch das gehört für mich zu
       lesbischer Sichtbarkeit: zu zeigen, dass es ganz unterschiedliche
       Familienformen gibt. Aber gerade da gibt es r[3][echtliche
       Diskriminierungen.]
       
       taz: Zum Beispiel? 
       
       Lührmann: Noch immer gilt, wenn ein lesbisches Paar gemeinsam Kinder
       bekommt, muss eine Stiefkindadoption durchgeführt werden. Das ist zum einen
       unsicher für die Kinder. Wenn der leiblichen Mutter etwas passieren würde
       vor Abschluss des Adoptionsverfahrens, stünde das Kind rechtlich ohne
       zweiten Elternteil da. Wie bei der Fremdkindadoption, wo die leibliche
       Mutter ihr Kind weggibt, darf auch hier die leibliche Mutter erst 8 Wochen
       nach der Geburt ihre Zustimmung geben. Zum anderen ist es ein
       bürokratischer und fast schon entwürdigender Prozess.
       
       taz: Können Sie diesen Prozess erklären? 
       
       Lührmann: Es gibt bis heute kein eigenes Verfahren, sondern es ist wie bei
       einer Fremdkindadoption. Vertreter:innen des Jugendamtes sitzen dann am
       Küchentisch mit zwei übernächtigten Müttern und fragen manchmal, „Warum
       wollen sie Eltern werden?“, obwohl beide Frauen bereits mit dem geborenen
       Kind leben und Eltern sind, ohne auf die Zustimmung des Familiengerichtes
       zu warten.
       
       taz: Die Ampelkoalition hatte Reformen versprochen. Warum wurde das nicht
       umgesetzt? 
       
       Lührmann: Es gab eine Gesetzesinitiative aus dem Justizministerium, doch
       die kam leider zu spät. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist das leider
       kein Thema mehr. Wir als Grüne machen deshalb weiter Druck, denn diese
       Reform ist überfällig.
       
       taz: Die CDU ist in der Legislaturperiode nicht gerade durch Einsatz für
       queere Rechte aufgefallen. 
       
       Lührmann: Erinnern wir uns: Julia Klöckner hat im Bundestag die
       Regenbogenflagge verboten, Friedrich Merz hat das Aufhängen der Flagge mit
       einem Zirkuszelt verglichen. Diese Aussagen fallen in eine Zeit, in der
       CSDs so stark angegriffen werden wie selten zuvor. Wenn der Bundeskanzler
       dann das zentrale Symbol einer Community, die gerade unter Druck steht,
       derart ins Lächerliche zieht, ist das schon ein Armutszeugnis. Die
       Polizist:innen auf den CSDs stellen sich gerade mutiger vor die queere
       Community, als es der Bundeskanzler tut.
       
       taz: Ein kurzer Themenwechsel: Wie nehmen Sie Rechtsgedankengut und Hass
       im Netz wahr? 
       
       Lührmann: Wie viele andere Politikerinnen erlebe ich heftige Angriffe.
       Gerade Frauen und queere Menschen sollen durch Hassrede mundtot gemacht
       werden. Aber das darf nicht sein. Das Netz muss ein Ort sein, an dem sich
       alle sicher und frei bewegen können.
       
       taz: Sie sind seit diesem Jahr Mitglied im Digitalausschuss. Was wollen Sie
       dort gegen Hass im Netz tun? 
       
       Lührmann: Wir brauchen soziale Medien, die so organisiert sind, dass sie
       freie Meinungsäußerung für alle ermöglichen. Dafür braucht es klare Regeln.
       Und die dürfen nicht von Einzelpersonen wie Elon Musk gesetzt werden, der
       aus seinen rechtsextremen politischen Präferenzen keinen Hehl macht.
       
       taz: An welche Regeln denken Sie?
       
       Lührmann: Wir wissen, dass viele Algorithmen derzeit so funktionieren, dass
       sie gezielt Beiträge nach oben spülen, die Hass und negative Emotionen
       anfachen. Das verschärft die Probleme enorm. Wir wollen, dass die
       EU-Kommission bestehendes Recht konsequent anwendet und die Plattformen
       verpflichtet, solche Mechanismen zu ändern. Es darf nicht sein, dass Hass
       und Hetze auch noch algorithmisch verstärkt werden.
       
       taz: Sie waren [4][bereits 2002 im Bundestag.] Damals war die AfD, eine
       offen queerfeindliche Partei, nicht vertreten. Jetzt schon. Was hat sich
       verändert? 
       
       Lührmann: Dieser Bundestag hat so viele offen queere Politiker:innen
       wie noch nie, aber gleichzeitig auch so viele Rechtsextreme wie noch nie.
       Wir haben diesen riesigen rechtsextremen Block, der alle erkämpften
       Rechte wieder wegnehmen will. Teils fallen menschenverachtende Aussagen.
       
       taz: Was macht das mit Ihnen? 
       
       Lührmann: Das macht mich wütend und trägt natürlich auch zu diesem
       Bedrohungsgefühl bei. Für viele ist das im Alltag vielleicht nicht
       sichtbar, aber ich sehe hier im Bundestag jeden Tag, wessen Geistes Kind
       diese Leute sind. Ihre Verachtung gegenüber allen Menschen, die anders als
       sie denken und sind – insbesondere queere Personen. Aber sie bekommen weder
       meinen Hass noch meine Angst. Im Gegenteil, es motiviert mich, jetzt erst
       recht laut und sichtbar zu sein.
       
       11 Sep 2025
       
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