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       # taz.de -- Indigene in Kolumbien: Dialog statt Sanktionen
       
       > Eine Brigade der Ticuna-Indigenen kämpft in Kolumbien für den Schutz
       > ihrer Umwelt. Sie stellen sich Eindringlingen mit Worten statt Waffen
       > entgegen.
       
   IMG Bild: Gelimir Guedes ist einer der anerkanntesten Umweltaktivisten seiner Gemeinde San Martín de Amacayacu
       
       BOGOTÁ taz | Am Anfang stand Wut. Es war Ende der 1990er Jahre, als
       Humberto Gregorio Vázques, ein indigener Anführer, so empört war über
       Eindringlinge auf ihr Territorium im Amazonasregenwald, dass er Macheten
       und Gewehre sammelte, um das Gebiet, auf dem schon seine Vorfahren gelebt
       hatten, zu verteidigen – mit Blut und Feuer. Die Invasoren waren auf den
       reichhaltigen Fischbestand aus, auf exotische Tierhäute und wertvolle
       Hölzer.
       
       Humberto Gregorio Vázques gehörte zu den [1][Ticuna-Indigenen] und wurde in
       der kleinen Gemeinde San Martín am Ufer des Flusses Amacayacu im Süden
       Kolumbiens in der Region Tres Fronteras geboren – im Grenzgebiet zwischen
       Brasilien, Peru und Kolumbien. Vázques habe die Eindringlinge mit
       „Macheten, Stöcken und Schüssen“ vertreiben wollen, sagt Gelimir Guedes,
       ein junger Ticuna, heute. Doch die Gegner waren mächtiger. „Sie hatten mehr
       Waffen und Geld.“
       
       Damals war Vázques durch den Dschungel gewandert, um Verbündete für seine
       Idee zu finden, eine bewaffnete Gruppe zu bilden, die ihr Leben für den
       Schutz von Flüssen, Bäumen und Tieren riskieren sollte. Doch auf seinem Weg
       änderte sich sein Vorhaben. „Humberto traf Menschen, die ihn davon
       überzeugten, dass es besser sei, eine Organisation zu gründen“, erzählt
       Guedes. Umgesetzt wurde dies schließlich von Vázques’ Sohn José: Er
       gründete im Jahr 2000 eine indigene Umweltwache, die er bis heute leitet.
       
       In Kolumbien gibt es eine lange Tradition indigener Milizen. Als zivile,
       unbewaffnete Einheiten üben sie, nur mit einem Holzstock ausgerüstet, die
       territoriale Kontrolle in indigenen Schutzgebieten aus. Diese Milizen
       erlangten in den 2000er Jahren große Bekanntheit, als mehrere
       kolumbianische Regionen beschlossen, ihre Reservate angesichts des
       langjährigen bewaffneten Konflikts im Land für neutral zu erklären. So
       wurden diese Brigaden zur einzigen zivilen Autorität in einigen der
       angestammten Gebiete.
       
       ## Wiederaufforstung von Waldgebieten
       
       Die Gruppe, die in [2][San Martín de Amacayacu] entstand, war allerdings
       anders: Sie wollte die Natur und Umwelt schützen. Zunächst bestand sie aus
       den Ältesten, erzählt Guedes. „Das Erste, was sie taten, war, die Grenzen
       ihres Gebiets festzulegen und abzustecken.“ Im Jahr 2007 wurde eine neue
       Miliz gegründet. Sie konzentrierte sich darauf, das Ticuna-Stammesgebiet
       von Abfällen der Holzfäller zu säubern und einige geschädigte Waldgebiete
       wieder aufzuforsten. Einige Jahre später schloss sich Guedes mit nur elf
       Jahren der Umweltmiliz an. Es war eine Entscheidung, die sein Leben
       verändern sollte.
       
       Denn was die Älteren der Gruppe ihn lehrten, hat seine Sicht auf die Welt
       verändert. „Ich bin in der Gemeinde Puerto Nariño geboren. Dort kümmern
       sich die Indigenen nicht mehr um ihre Wurzeln. Sie sprechen weder die
       Sprache der Ticuna, noch können sie fischen, jagen oder die Erde
       bestellen“, sagt Guedes. Ihn hatten schon als Kind die seit Generationen
       überlieferten Ticuna-Legenden fasziniert. Als Guedes im Jahr 2011 auf der
       Suche nach Nahrung durch den Dschungel zog, stieß er auf einen Fluss, der
       ihn nach San Martín führte. „Dort verliebte ich mich in die Kultur, die
       Sprache und die Menschen“, sagt er.
       
       Traditionell lebten die Ticuna tief Regenwald, weit entfernt von Flüssen.
       Das ist einer der Gründe, weshalb die von den Portugiesen eingeschleppten
       Krankheiten sie weniger dezimierten als andere Ethnien. Doch immer noch
       sind in den meisten Ticuna-Gemeinden Armut und mangelnde Bildung ein großes
       Problem, während christliche Missionare – [3][darunter auch erzkonservative
       Evangelikale] – ihren Einfluss weiter ausbauen. Heute tragen die meisten
       Ticuna westliche Kleidung, ihre traditionellen Gewänder aus Baumrinde legen
       sie nur noch zu besonderen Anlässen an.
       
       Ticuna-Anführer erzählten Guedes von ihrem Ansatz, Worte statt Waffen zur
       Abschreckung einzusetzen, wenn Eindringlinge auf ihr Territorium vorrücken.
       „Wir haben eigene Regeln, eine eigene Verfassung“, sagt Guedes. Es sei etwa
       genau festgelegt, wo Bäume abgeholzt werden dürfen und wo nicht. „Wir
       sorgen dafür, dass das eingehalten wird.“ Aber nicht durch Sanktionen,
       sondern durch Dialog. Und das funktioniere in den meisten Fällen
       erstaunlich gut.
       
       ## Sandstrände an den Ufern zurückgewonnen
       
       Es sind fast 14 Jahre vergangen, seit sich Guedes der Umweltmiliz
       angeschlossen hat. Mit Stolz blickt er auf das Erreichte zurück. Jahrelang
       seien dem Fluss Amacayacu zum Beispiel große Mengen Sand entnommen worden,
       um daraus Zement und Beton herzustellen. „Heute hat der Amacayacu wieder
       ausreichend Sand. Wir haben die Strände des Amacayacu zurückgewonnen, weil
       wir den Baumschlag am Flussufer und den ungebremsten Sandabbau unter
       Kontrolle bringen konnten.“
       
       Immer noch schließen sich junge Indigene der Umweltmiliz von San Martín de
       Amacayacu an. Einer von ihnen ist der 21-jährige Henry Vázquez. Er versteht
       es als seine Pflicht, Natur und Umwelt zu erhalten. „Ich kann mir nicht
       vorstellen, darauf zu warten, dass der Staat uns dabei hilft, das Gebiet zu
       schützen.“
       
       Zurzeit besteht die Miliz in San Martín aus 20 Männern und Frauen. Sie
       stellen sich Holzfällern, Bergleuten und Jägern entgegen und erklären
       ihnen, welche Regeln zum Schutz der Natur auf ihrem Gebiet gelten. Das
       bringt sie häufig in Gefahr. Sie agieren ohne staatliche Unterstützung,
       sind ständig dem Risiko ausgesetzt, von Bewaffneten angegriffen zu werden.
       Doch für die Indigenen gibt es keine andere Wahl, als ein Ökosystem zu
       erhalten, das der gesamten Menschheit Leben schenkt.
       
       Esteban Tavera ist ein Journalist aus Kolumbien. Er arbeitet für das
       Netzwerk [4][Climate Tracker América Latina]. 
       
       Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz
       
       14 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Ticuna
   DIR [2] https://es.wikipedia.org/wiki/Comunidad_San_Mart%C3%ADn_de_Amacayacu
   DIR [3] https://www.theguardian.com/global-development/2025/jul/27/missionaries-using-secret-audio-devices-to-evangelise-brazils-isolated-peoples
   DIR [4] https://climatetrackerlatam.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esteban Tavera
       
       ## TAGS
       
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