URI: 
       # taz.de -- Gericht weist Klage von Chefarzt ab: Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zulässig
       
       > Ein christlicher Klinik-Träger darf seinem Chefarzt verbieten, Abbrüche
       > durchzuführen – selbst in dessen Privatpraxis. Der Mediziner kämpft aber
       > weiter.
       
   IMG Bild: Gibt sich weiter kämpferisch: Gynäkologe und Chefarzt Joachim Volz nach der Urteilsverkündung, am 8. 8. 2025
       
       Lippstadt taz | Es ist nur ein Satz, mit dem der Vorsitzende Richter Klaus
       Griese am Arbeitsgericht Hamm seine Entscheidung verkündet. Die Klage sei
       abgewiesen, das Klinikum Lippstadt als Arbeitgeber sei „Kraft
       Direktionsrecht zu beiden Maßnahmen berechtigt“.
       
       Beide Maßnahmen bedeutet: Chefarzt Joachim Volz darf weder am Klinikum
       Lippstadt noch in seiner Privatpraxis in Bielefeld
       [1][Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation durchführen].
       Die Urteilsbegründung steht noch aus. Volz kündigt im Anschluss an die
       Verhandlung an, in die nächste Instanz zu gehen: „Ich denke, das ist noch
       nicht der letzte Satz in dieser Sache.“
       
       Das Klinikum war einst evangelisch, fusionierte dann aber mit einem
       zweiten, katholischen Krankenhaus. Seitdem sind Volz die
       Schwangerschaftsabbrüche per Dienstanweisung untersagt. Und das, obwohl er
       ohnehin nur Abbrüche in Fällen mit medizinischer Indikation vorgenommen
       hatte. Fälle also, die „aus ärztlicher Sicht angezeigt“ sind, „um eine
       Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung
       des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren
       abzuwenden“.
       
       Ein Verbot, das Volz nicht akzeptieren will. Am Morgen vor dem Prozess
       steht er auf einem Parkplatz in Lippstadt und blickt über eine Menge von
       rund 2.000 Menschen, die gekommen sind, um ihn zu unterstützen. Eine
       Petition, die Volz gestartet hat, haben über 230.000 Menschen
       unterschrieben. „Das gibt mir viel Kraft“, ruft Volz.
       
       Der Prozess hat längst auch die Politik erreicht – und zwar weit über die
       kommunale Ebene hinaus. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion
       Nordrhein-Westfalens spricht auf der Kundgebung vor dem Prozess. Von den
       Grünen ist nicht nur die Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek vor Ort, sondern
       auch die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Britta Haßelmann, sowie die
       frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws.
       
       ## Polarisierte Debatte
       
       Das Thema Schwangerschaftsabbruch hat die politische Debatte in den
       vergangenen Monaten polarisiert. Erst am Vortag des Prozesses hat die
       Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, ihren
       Rückzug angekündigt – nachdem konservative bis weit rechte Kreise sie wegen
       ihrer Haltung zum Schwangerschaftsabbruch wochenlang einer
       Diffamierungskampagne ausgesetzt hatten. Ein interfraktioneller Antrag zur
       Legalisierung von Abbrüchen scheiterte kurz vor Ende der letzten
       Legislatur. Repräsentativen Umfragen zufolge [2][finden hingegen 80 Prozent
       der Menschen in Deutschland es falsch], dass Abbrüche bis heute eine
       Straftat sind.
       
       In Lippstadt zieht die Demonstration am Vormittag zum Amtsgericht, in dem
       das Arbeitsgericht Hamm verhandelt. Als die Menge das Klinikum passiert,
       winken von dort Mitarbeitende und formen die Hände zu einem Herz.
       
       Auch Kristin ist zur Unterstützung gekommen. Sie ist Patientin von Volz,
       ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Sie ist in der 30. Woche schwanger.
       „Doch bei unserer Tochter wurde Trisomie 13 diagnostiziert, verschiedene
       Schäden an Hirn und Organen – sie wird nicht lebensfähig sein“, sagt
       Kristin. Von Anfang an habe sie Volz unterstützt. „Da hatte ich nicht ahnen
       können, dass wir von diesem Albtraum selbst betroffen sein werden.“
       
       Die Entscheidung der Klinik mache sie wütend, sagt die 32-Jährige. Ob sie
       die Schwangerschaft abbrechen oder austragen möchte, da ist sie noch
       unsicher. „Ich möchte aber selbst entscheiden können, ob und wie lange ich
       das mittragen kann.“ Und im Falle eines Abbruchs wolle sie dort bleiben, wo
       sie auch jetzt schon gut betreut werde. Ginge es in Lippstadt nicht, sei
       die nächste Alternative Münster, anderthalb Stunden Fahrt. „Ich habe einen
       kleinen Sohn, ich stille noch. Es ist ohnehin alles sehr belastend – warum
       muss man es uns noch schwerer machen?“
       
       ## Chefarzt mit Umweg
       
       Seine Patientinnen wegzuschicken, kommt für Volz nicht in Frage. „Es kann
       nicht sein, dass wir Frauen in Stich lassen in einer Not, die wir selbst
       diagnostiziert haben und ihnen durch unsere Verweigerung suggerieren, sie
       tun etwas Böses“, sagt er. Und er hat einen Umweg gefunden: Inzwischen
       stelle er die Indikation und schicke die Patientinnen dann zu einem
       niedergelassenen Kollegen, der den Abbruch einleite. Dann nehme er die
       Frauen mit der begonnenen Fehlgeburt stationär auf.
       
       Im Gerichtssaal ist es am Ende vor allem eine Auseinandersetzung darum, wie
       gefährdet die Gesundheit einer Schwangeren sein muss, um einen Abbruch zu
       rechtfertigen.
       
       In den Dienstanweisungen seien ja ausdrücklich Ausnahmen vom Verbot
       enthalten, argumentiert der Anwalt des Klinikums, Johann Philipp Duvigneau.
       Nämlich dann, wenn „Leib und Leben von Mutter oder Kind akut bedroht“ seien
       und es keine medizinische Alternative zum Abbruch gebe. Joachim Volz könne
       also durchaus Abbrüche am Klinikum wie auch in seiner Privatpraxis
       durchführen.
       
       Das ist dem Chefarzt aber zu eng gefasst. „In Polen hatten wir den Fall,
       dass eine Frau gestorben ist, weil man mit dem Abbruch gewartet hat, bis
       sie in Lebensgefahr war“, erwidert Volz.
       
       ## Klinikum mit harter Linie
       
       Die Ausnahmen der Klinik seien enger als jene, die im Gesetz zur
       medizinischen Indikation festgehalten seien und nach denen Volz die
       vergangenen 13 Jahre am Klinikum gearbeitet habe, argumentieren der
       Chefarzt und sein Anwalt Till Müller-Heidelberg. In der Realität gehe es
       meist um psychische Notsituationen bei schweren Diagnosen. Bei der ersten
       Güteverhandlung habe er dem Richter und der Klinikseite davon berichtet, so
       Volz: Kinder ohne Schädeldecke oder andere Fehlbildungen, die dazu führen,
       dass sie nicht lebensfähig sind. „Da hat der Geschäftsführer mir ganz klar
       vermittelt, dass es da keinerlei Spielräume gibt für Abbrüche gibt.“
       
       Argumente, die Klinikanwalt Duvigneau nicht gelten lassen will. Paragraf
       218a StGB beschreibe ja nur den Rahmen, über den man nicht hinausgehen
       dürfe. „Aber es verbietet doch niemand einem Klinikum, selbst engere
       Grenzen zu setzen“, bezieht der Anwalt sich auf die unternehmerische
       Freiheit.
       
       Der Anwalt des Arztes verweist wiederum auf eine höchstrichterliche
       Entscheidung von 2018, wonach ein Chefarzt ohnehin nicht an das kirchliche
       Selbstverständnis gebunden sei – weder erfordere seine konkrete Tätigkeit
       das, noch vertrete er den kirchlichen Träger nach außen. Das Gericht
       überzeugen diese aber Argumente offenbar nicht.
       
       ## Kritik von den Grünen
       
       „Es kann nicht sein, dass es ein überholtes katholisches Arbeitsrecht mit
       Sonderbefugnissen in unserem Land gibt, statt einer flächendeckenden guten,
       medizinischen Behandlung“, sagt die Grüne Ulle Schauws nach dem Prozess. Es
       sei am Gesetzgeber, die Versorgung Schwangerer sicherzustellen. Ein
       entscheidender Schritt dazu sei die Entkriminalisierung von Abbrüchen.
       Ärzt*innen wie Joachim Volz bräuchten „Rechtssicherheit und die
       Unterstützung von Gesellschaft und Politik.“
       
       Das Klinikum lässt nach dem Prozess per Pressemitteilung ausrichten, man
       sehe durch die Entscheidung das „durch die Verfassung geschützte kirchliche
       Selbstbestimmungsrecht gestärkt“. Ein konfessionell gebundener
       Krankenhausträger dürfe „gerade auch einem Chefarzt gegenüber zum Spektrum
       seiner Behandlungsmöglichkeiten verbindliche Vorgaben machen und – ganz
       konkret auch bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen – bestimmte
       Grenzen setzen“. Auch weiterhin biete man gesundheitliche Vollversorgung
       und lasse „Frauen in belastenden Situationen nicht allein“.
       
       Volz selbst will die Entscheidung nicht als Niederlage sehen: „Was wir auf
       jeden Fall geschafft haben, ist zu sensibilisieren für ein Thema, das
       sensibel ist“, so der Arzt. Die Urteilsbegründung werde man abwarten, dann
       werde er zum Landesarbeitsgericht weiterziehen. „Wenn sich am Ende
       herausstellt, dass unser Staat das genau so möchte, dann muss man
       vielleicht den politischen Weg gehen, um daran etwas zu ändern. Dazu trage
       ich gerne bei.“
       
       8 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Chefarzt-klagt-gegen-Klinik-in-Lippstadt/!6105688
   DIR [2] /Umfrage-zu-Abtreibungen-in-Deutschland/!6004352
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwangerschaftsabbruch
   DIR Katholische Kirche
   DIR Klinik
   DIR Bundesarbeitsgericht
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Abtreibung
   DIR Paragraf 218
   DIR Schwerpunkt Abtreibung
   DIR Schwerpunkt Abtreibung
   DIR Schwerpunkt Abtreibung
   DIR Richter:innenwahl 
   DIR Flensburg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen: Chefarzt muss seinem Arbeitgeber gehorchen
       
       Das Klinikum Lippstadt darf Schwangerschaftsabbrüche verbieten, urteilte
       das Arbeitsgericht Hamm. Nun liegt eine ausführliche Begründung dafür vor.
       
   DIR Umgang der Union mit der „Elsa“-Studie: Totschweigen durch Nina Warken
       
       Die wissenschaftliche Studie über ungewollt Schwangere stört die Union bei
       ihrem Kulturkampf. Dabei ist Versachlichung dringend geboten.
       
   DIR Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen: Viele Hürden für ungewollt Schwangere
       
       Eine neue Studie zeigt: Wer eine Schwangerschaft abbrechen möchte, findet
       oft keine ausreichende medizinische Versorgung und erlebt Stigmatisierung.
       
   DIR Petition für Schwangerschaftsabbrüche: Christdemokrat appelliert an CDU
       
       Gynäkologe Joachim Volz fordert eine sachliche Debatte über
       Schwangerschaftsabbrüche. Er ist geschockt über die Hetzkampagne gegen
       Brosius-Gersdorf.
       
   DIR Rechte Hetze gegen Brosius-Gersdorf: Der lange vorbereitete Feldzug der FundamentalistInnen
       
       Eine massive Kampagne von christlichen FundamentalistInnen hat die Wahl von
       Frauke Brosius-Gersdorf vorerst verhindert. Wer genau steckt dahinter?
       
   DIR Klinik verweigert Abtreibungen: Taxigeld statt Schwangerschaftsabbruch
       
       Katholiken wollen, dass es in Flensburgs neuem Klinikum keine
       Schwangerschaftsabbrüche geben soll. Frauen sollen Fahrtkostenhilfe
       bekommen.