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       # taz.de -- Umstrittenes israelisches Bauprojekt: „Die Idee eines palästinensischen Staates begraben“
       
       > Israel treibt den Ausbau des umstrittenen E1-Gebiets zwischen Jerusalem
       > und Maale Adumim voran. Finanzminister Smotrich begründet das mit Gottes
       > Willen.
       
   IMG Bild: Hier sollen mehr als 3.000 neue Wohnungen für Israelis entstehen. Gleichzeitig werden Palästinenser aus ihren Dörfern vertrieben
       
       JERUSALEM taz | Noch wachsen Bäume im „E1“-Gebiet, einer Handvoll Hügel
       zwischen Jerusalem und der israelischen Siedlung Maale Adumim im israelisch
       besetzten Westjordanland. Geht es nach Israel, werden hier bald rund 3.400
       neue Wohneinheiten entstehen. Sie sollen Maale Adumim an Jerusalem anbinden
       und, in den Worten von Israels Finanzminister Bezalel Smotrich, „auf Dauer
       die Idee eines palästinensischen Staates begraben“.
       
       Denn der 12 Quadratkilometer große Flecken Land, von dem der Blick bei
       klarer Luft bis nach Jordanien reicht, ist auch das wichtigste
       Verbindungsstück zwischen den palästinensischen Gebieten im Norden und
       Süden des Westjordanlandes. Im Rahmen einer Zweistaatenlösung sollte aus
       ihnen einmal ein palästinensischer Staat werden.
       
       Die Fahrt mit dem Stadtbus von Jerusalem nach Maale Adumim dauert nur eine
       gute Viertelstunde. Trotz der meterhohen Sperranlage und dem Checkpoint,
       den man aus dem Fenster sieht, fühlt sich der Weg eher an wie ein Ausflug
       in eine Vorstadt als eine Fahrt in eine nach internationalem Recht illegale
       Siedlung.
       
       Die drei jungen Passagiere an diesem Morgen tragen Kopfhörer und schauen
       vor allem auf ihre Telefone. Nach einem zweiten Checkpoint am Eingang der
       Siedlung endet die Fahrt vor einem großen Einkaufszentrum mit Cafés und
       Fitnessstudios. Etwa 38.000 Siedler wohnen in Maale Adumim, 11 Kilometer
       hinter der Grünen Linie, die seit 1949 Israel und die palästinensischen
       Gebiete auf dem Papier trennt.
       
       Heute leben 700.000 jüdische Siedler in rund 160 Siedlungen,
       völkerrechtlich alle illegal. Das hindert Smotrich nicht, seit dem
       Amtsantritt Ende 2022 deren Ausbau voranzutreiben. Das Recht des jüdischen
       Volkes auf das Land kommt für den radikalen Siedler von Gott selbst. In
       seiner Zweitrolle als Minister für „zivile Angelegenheiten im
       Westjordanland“ genehmigt er seither Siedlungen und Außenposten in bisher
       ungekanntem Tempo.
       
       E1, erstmals unter Regierungschef Jitzhak Rabin Anfang der 90er Jahre als
       Siedlungsprojekt ins Visier genommen, blieb seit Jahrzehnten in der
       Schublade, vor allem wegen internationalen Drucks. 2012 griff der heutige
       Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Plan wieder auf. Die
       Siedlerbewegung hatte das strategisch wichtige Gebiet ohnehin nie
       aufgegeben.
       
       Smotrich verkauft seinen Vorstoß nun als Reaktion auf die jüngsten
       Ankündigungen mehrerer westlicher Länder, [1][wegen Israels Vorgehen im
       Gazastreifen im September einen palästinensischen Staat anzuerkennen].
       „Wir schaffen Tatsachen mit Häusern, Straßen, mehr und mehr jüdischen
       Familien, die hier ihr Leben aufbauen“, erklärte er bei einer
       Pressekonferenz vergangene Woche. Am Ende werde es „nichts mehr
       anzuerkennen“ geben. Tatsächlich hatte er den Plan bereits im Frühjahr
       dieses Jahres vorangetrieben. Am Mittwoch gab ein israelischer
       Planungsausschuss die Genehmigung.
       
       „Gut so“, sagt die 45-jährige Jehudit in Maale Adumim, während sie ihren
       türkisen Kleinwagen auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums aufschließt. Die
       Sozialarbeiterin, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, pendelt täglich
       zur Arbeit nach Jerusalem. Es sei „sehr einfach“, erklärt die achtfache
       Mutter auf dem Weg in die Stadt. „Wenn die Araber hier leben wollen, dann
       müssen sie sich an die Regeln der Juden halten.“ Das Recht des jüdischen
       Volkes auf das Land komme aus der Bibel und Israel müsse da „streng sein“.
       Während ihr Auto ohne Kontrolle am Checkpoint auf der vierspurigen Straße
       durchgewunken wird, durchsuchen israelische Soldaten daneben ein Fahrzeug
       mit zwei jungen Palästinensern.
       
       Die Arbeit an Infrastruktur in E1 könnte binnen Monaten beginnen, berichtet
       die Nachrichtenagentur AP, Bauarbeiten in rund einem Jahr.
       
       Der Konfliktforscher Aviv Tatarsky von der Menschenrechtsorganisation Ir
       Amim sagt, das Vorhaben sei eine „Entscheidung für ein Apartheid-Regime“.
       Israel genehmige jüdische Siedlungen und halte zugleich systematisch
       Baugenehmigungen für palästinensische Gemeinden zurück. So sollen
       einheitlich jüdisch besiedelte Bereiche entstehen, während palästinensische
       aufgebrochen würden.
       
       Die Ausbreitung der Siedlungen [2][geht im Schatten des Gaza-Krieges mit
       einem massiven Anstieg an Siedlergewalt einher]. Im Juni und Juli wurden
       laut den Vereinten Nationen rund 100 Palästinenser pro Monat von Siedlern
       verletzt, doppelt so viele wie noch zu Beginn des Jahres. Israels Armee und
       Polizei schreiten häufig nicht ein. Für Empörung sorgte der Fall des
       bekannten Siedlerführers Yinon Levi, der Ende Juli vor laufender Kamera den
       Palästinenser Awdah Hathaleen erschoss und Tage später von einem Gericht
       freigelassen wurde.
       
       Mehr als 80 Hirtengemeinden hätten wegen gewaltsamer Überfälle seit dem 7.
       Oktober 2023 ihre Dörfer aufgegeben, schreibt der Siedlungsgegner und
       Co-Direktor des israelischen Thinktanks Ofek, Yehuda Shaul, bei X. Auch in
       E1 müssten für das Bauvorhaben Hunderte palästinensische Beduinen
       vertrieben werden, die dort mit ihren Herden in kleinen Dörfern und
       einfachen Hütten leben.
       
       International werden die Baupläne zwar laut kritisiert. Drohungen mit
       Sanktionen oder der Aussetzung von Kooperationsabkommen – wie zuletzt wegen
       der von Israel gestarteten Offensive auf Gaza-Stadt und der humanitären
       Katastrophe dort – blieben aber aus. [3][Die deutsche Bundesregierung
       lehnte den Plan „entschieden“ ab.] Italiens Außenminister erklärte, das
       Vorhaben sei „inakzeptabel“. Sein britischer Amtskollege warnte, es werde
       „einen palästinensischen Staat in zwei Teile spalten“.
       
       Yehuda Shaul hält das für zu wenig: „Wir sollten nicht überrascht sein,
       dass Israel eine weitere rote Linie überschreitet, angesichts der Tatsache,
       dass es dafür vor allem leere Stellungnahmen aus Europa kassiert“, schreibt
       er. Die Genehmigung von E1 sei auch eine Folge von „Europas Untätigkeit
       angesichts von Israels Vernichtungskrieg in Gaza und der fortschreitenden
       Annexion des Westjordanlandes“.
       
       23 Aug 2025
       
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