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       # taz.de -- Das Studentische Kulturzentrum Belgrad: Von Beginn an radikal
       
       > Im SKC in Belgrad erfand sich in den 1970ern die Kunst neu. Im Zuge der
       > Proteste besetzten es Studierende zeitweise, unterstützt von der freien
       > Kunstszene.
       
   IMG Bild: Raša Todosijević, Zoran Popović, Marina Abramović, Gera Urkom, Era Milivojević, Neša Paripović (von links nach rechts) im SKC 1973
       
       Flirrende Hitze liegt über Belgrad, die Sommerpause dämpft den Alltag –
       nicht aber den Protest. Seit einigen Tagen hat Serbien eine neue
       Protestwelle gegen den rechtsautoritären Präsidenten Aleksandar Vučić
       erreicht.
       
       Ausgelöst wurde die bis dato anhaltende Kette an Gewalt von Anhängern der
       Regierungspartei, die am 12. August [1][in Bačka Palanka und Vrbas] mit
       Feuerwerkskörpern auf friedliche Demonstranten schossen – vor den Augen der
       Polizei, die nicht eingriff.
       
       Seither gehen die Sicherheitskräfte täglich auf Demonstrant:innen mit
       Tränengas, Räumfahrzeugen und Schlagstöcken los, drohten einer
       festgenommenen Studentin mit Vergewaltigung und veröffentlichten
       Nacktfotos, ließen junge Schüler:innen und Studierende in Handschellen
       an einer Wand niederknien und wie Terrorist:innen medienwirksam
       vorführen.
       
       Nach Besetzung geräumt 
       
       Auch die freie Kunstszene gerät zunehmend in Vučić’ Visier. Nachdem im
       Februar 2025 Bürger:innen das städtische Kulturzentrum (KCB) in Belgrad
       besetzt hatten, und daraufhin auch Studierende das berüchtigte Studentische
       Kulturzentrum (SKC) auf der Hauptstraße Ulica Kralja Milana im Zentrum
       Belgrads „befreiten“, wie sie die Besetzung nennen, wurde das SKC Ende Juli
       von der serbischen Polizei geräumt.
       
       Das SKC ist legendär. In den jugoslawischen siebziger Jahren war es eine
       Keimzelle der Avantgardekunst. Viele später prägende Persönlichkeiten,
       Musik- und Kunstgruppen werden mit diesem Ort in Verbindung gebracht.
       
       Hier gaben die Rockbands Bijelo dugme, [2][Šarlo Akrobata], Idoli und
       Električni Orgazam Konzerte; Künstler:innen wie Neša Paripović und
       Marina Abramović traten hier erstmals auf. Es war eine Zeit, in der Musik,
       Kunst, Theater und Performance in Jugoslawien [3][radikal neue
       Ausdrucksformen] fanden.
       
       Seine Anfänge nahm das SKC in den Protesten im Jahr 1968. Angeregt von den
       vielen Demonstrationen in Westeuropa, hatte sich die Belgrader Universität
       in ein Zentrum des kreativen Widerstands gegen die jugoslawische Regierung
       verwandelt.
       
       Zagreb und Sarajevo folgten, die erste ernsthafte Krise seit der
       Konsolidierung der sozialistischen Tito-Herrschaft. Damals hatten die
       jugoslawischen Studierenden – im Unterschied zur heutigen breiten,
       bürgerlichen und serbischen Bewegung mit der Forderung nach Neuwahlen – ein
       linkes Programm: Die Universität wurde in „Karl-Marx-Universität“
       umgetauft, neben Forderungen nach akademischer Autonomie und Recht auf
       Meinungsfreiheit wurde die Abschaffung von Privilegien einer neuen „Klasse“
       in Jugoslawien, die der kommunistischen Funktionäre, gefordert.
       
       Proteste als Ausdruck des Frusts 
       
       Auslöser für die Proteste 1968 war eine gewaltvolle Niederschlagung einer
       studentischen Ansammlung durch die Polizei gewesen. Aber wie heute die
       Proteste gegen Vučić auch Ausdruck eines allgemeinen Frusts der Menschen
       über Korruption und die miserable Wirtschaftslage sind, lagen damals die
       Gründe tiefer: Es herrschte große Unzufriedenheit in der jugoslawischen
       Gesellschaft, als Folge einer Landwirtschaftsreform war die
       Arbeitslosigkeit hoch.
       
       Trotz anfänglicher Polizeigewalt und Festnahmen lenkte Tito schnell ein. In
       seiner berühmten Rede am 9. Juni 1968 gestand er eigene Fehler ein, sprach
       von einer „ehrlichen Jugend“, der „wir nicht genügend Aufmerksamkeit
       geschenkt haben“.
       
       Im Zuge dieser indirekten Schuldeingeständnisse und auch aus pragmatischen
       Beschwichtigungsabsichten bot man den Studierenden eben jenes „Studentische
       Kulturzentrum“, das SKC an. Seit 1971 war es dem Bildungsministerium
       unterstellt, wurde aber von nun an weitestgehend von den Studierenden
       selbst verwaltet.
       
       Zukünftige Größen der Konzeptkunst machten im nunmehr unabhängigen SKC ihre
       Anfänge. Die „nova umetnička praksa“ („Neue Künstlerische Praxis“) etwa.
       Sie war eine besonders in Belgrad, Zagreb und Novi Sad entstandene
       Kunstbewegung, die sich radikal von der traditionellen Kunstproduktion
       absetzte.
       
       Sie verband institutionskritische, oft politische Ansätze mit
       internationalen Avantgarde-Trends. Die „nova umetnička praksa“ verstand
       [4][Kunst als gesellschaftliche Praxis].
       
       Legendäre Ausstellung „Drangularijum“ 
       
       Eine der ersten Ausstellungen im SKC war „Drangularijum“ (von serb.
       „drangulija“, umgangssprachlich für „Krimskrams“ und „Trödel“). Sie
       hinterfragte die künstlerische Autor:innenschaft und einen
       traditionellen Werkbegriff.
       
       Künstler:innen stellten einfach „Dinge“ aus, die ihnen persönlich
       bedeutungsvoll waren. Die Objekte präsentierte man nicht als Kunstwerke im
       traditionellen Sinne, sondern als „Ready-Mades“ oder Alltagsgegenstände.
       
       Die Grenze zwischen Kunst und Leben verwischte, die intime Perspektive der
       Künstler:innen wurde sichtbar: Gergelj Urkom zeigte ein grünes Bettlaken
       aus seinem Atelier, Zoran Popović brachte die Tür seines Ateliers als
       Symbol für den Übergang in einen kreativen Raum mit, die später
       weltbekannte Performancekünstlerin Marina Abramović zeigte ein schwarzes
       Schaffell und zwei Erdnüsse, der zukünftige radikale Konzeptkünstler Raša
       Todosijević stellte gar seine Freundin Marinela Koželj aus: Als tableau
       vivant saß sie während der gesamten Ausstellungslaufzeit auf einem Stuhl.
       
       Künstlerischer Widerspruch 
       
       Im Frühjahr 2025, als die Proteste gegen Vučić’ Regierung bereits einen
       Höhepunkt erreicht hatten, konnte man im SKC die Ausstellung „Monetarijum“
       der Kunststudentinnen und Künstlerinnen Ana Stojković und Ivanja Todorović
       besuchen.
       
       Namentlich und konzeptuell schließt sie an die legendäre
       „Drangularijum“-Schau an, legt aber auch künstlerischen Widerspruch gegen
       sie ein. „Monetarijum“ beschäftige sich nämlich auch mit
       „Privatisierungsprozessen“, so Stojković und Todorović zur taz, und einem
       Klassismus in der Kunstszene.
       
       Kurioserweise forderten Stojković und Todorović diejenigen auf, die an der
       Ausstellung teilnehmen wollten, nicht nur wie bei der Originalschau 1971
       einen Gegenstand mitzubringen, sondern auch „Eintritt“ zu zahlen, also eine
       Gebühr zur Teilnahme.
       
       Kunst im heutigen Kapitalismus sollte als ein Produkt, als zu bezahlender
       Konsum entlarvt werden, denn Kunst anzuschauen und sie zu schaffen, muss
       man sich erst einmal finanziell leisten können – das SKC hatte vor seiner
       Besetzung auch sehr hohe Eintrittspreise verlangt.
       
       Missstände im Kulturbetrieb Serbiens 
       
       Die Kritik, die Stojković und Todorović mit „Monetarijum“ übten, legt
       grundsätzliche Missstände im Kulturbetrieb Serbiens frei. Die
       fortschreitende Gentrifizierung der Innenstadt Belgrads etwa verdrängt
       zunehmend unabhängige, experimentelle Orte für die Kunst, wie es das einst
       sehr aktive SKC zu jugoslawischen Zeiten mal war.
       
       Und überhaupt steht es um die Kulturförderung im Land schlecht: Seit Beginn
       der Proteste hat das Kulturministerium alle Projektausschreibungen
       pausiert. Mit 0,67 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen die
       Staatsausgaben für Kultur deutlich unter dem empfohlenen Minimum von 1
       Prozent der Unesco.
       
       Jetzt, nach der polizeilichen Räumung des SKC, gibt es aus der freien Szene
       öffentliche Unterstützung für das Zentrum. Die „Assoziation der
       unabhängigen Kulturszene“ (NKSS), ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss
       einzelner Freischaffender und Gruppen seit 2011, veröffentlichte kürzlich
       ein Solidaritätsschreiben: „Tausende von Studierenden und Bürgern nahmen
       zum ersten Mal an einem der Programme des SKC teil – alles dank des enormen
       ehrenamtlichen Einsatzes der Studierenden“, heißt es im Schreiben. „Unsere
       Assoziation“, so das Vorstandsmitglied Virdžinija Đeković Miketić im
       taz-Gespräch, „war von Anfang an ein Treffpunkt für Künstler, die an diesem
       Kampf teilnehmen wollen“.
       
       Künstler:innen in der ersten Reihe 
       
       Ohnehin stehen Künstler:innen sowie Professor:innen und das
       akademische Personal der Kunstfakultäten im ganzen Land seit Anfang der
       Proteste gegen die Vučić-Regierung in den ersten Reihen – als Erstes wurde
       die Fakultät für Schauspielkunst an der Belgrader Universität der Künste im
       Dezember 2024 von den Studierenden besetzt.
       
       Bislang beschränkt sich die Repression gegen das Kollektiv, das in diesem
       Frühjahr das SKC einnahm, auf die Medien, sagt Ana Stojković. Mit der
       Drohung, dass seine Mitglieder verhaftet und zur Verantwortung gezogen
       werden könnten.
       
       Das Kollektiv möchte jetzt in anderer Form weiterbestehen. So startete
       wieder vor ein paar Tagen das studentische SKC-Radio. Das war bereits in
       den 1990er Jahren für seine kritische Berichterstattung über den
       kriegswütigen Nationalismus während der jugoslawischen Zerfallskriege
       bekannt.
       
       23 Aug 2025
       
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