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       # taz.de -- Wasserknappheit in Brandenburg: Stopfen gegen die Dürre
       
       > Alte Drainagen aus DDR-Zeiten ziehen Brandenburg die Feuchtigkeit aus den
       > Böden. Biobauern suchen nun Wege, das Wasser aufzufangen.
       
   IMG Bild: Wie viel Wasser den Böden durch die Drainagen verloren geht, weiß niemand genau
       
       Jan Sommer erinnert sich noch gut an jene Nacht. Die Nacht, in der er mit
       seinem Trecker gegen einen Hydranten gekracht ist. Es war irgendwann in den
       Dürrejahren 2018 oder 2019. Er musste, wie so oft in dieser Zeit, bis in
       die frühen Morgenstunden seine Äcker bewässern, Regen fiel damals kaum. Die
       Nacht, in der Biobauer Sommer so müde war, dass er am Steuer eingenickt
       ist, wurde zum Schlüsselerlebnis. „Mein Trecker war kaputt, der Hydrant war
       kaputt und ich dachte nur: Dieses fehlende Wasser überfordert mich“, sagt
       er.
       
       Als er von dem Vorfall erzählt, sitzt Sommer auf einer schattigen Bank auf
       seinem Hof in Dahmsdorf in der Märkischen Schweiz in Brandenburg. Seine
       Augen sind gerötet. „Ich bin noch ein bisschen durch den Wind“, murmelt er
       und rückt seine Brille zurecht. Es ist Ende September 2024, wieder hat er
       bis spät in die Nacht bewässert. In den vergangenen Jahren hat er sich oft
       gefragt, [1][ob er seinen Betrieb unter den Bedingungen extremer
       Trockenheit halten kann]. Bis Sommer die Drainagen entdeckt hat.
       
       Felddrainagen sind Rohrsysteme aus Ton, Kunststoff oder Beton, die unter
       vielen landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland liegen. Sie bilden ein
       unterirdisches Netz, oft in Fischgrätenform, das Regenwasser auffängt, in
       Schächte führt und dann über Gräben, Bäche und Flüsse ableitet. In
       Brandenburg wie in der gesamten ehemaligen DDR wurden sie im Rahmen der
       sogenannten Melioration großflächig verlegt. Unter Melioration verstand man
       damals Maßnahmen, um landwirtschaftliche Flächen wieder nutzbar zu machen.
       Feuchte Böden wurden entwässert und begradigt, um die Produktion zu
       steigern.
       
       ## Mehrere hundert Kilometer Rohre
       
       Das Problem: Viele der alten Rohre leiten Regenwasser weiterhin ab. Heute
       fehlt dieses Wasser den Böden, die Umgebung trocknet aus. Denn der
       Klimawandel ist längst spürbar. Extreme Trockenperioden nehmen zu. Im
       Winter 2024/25 fiel in Brandenburg bundesweit am wenigsten Niederschlag.
       [2][Auch der Sommer 2025 wird wieder heiß und trocken.]
       
       Viele Drainagen leiten das Wasser ab, bevor es in tiefere Bodenschichten
       sickern kann. Dadurch fehlt das Wasser nicht nur auf Äckern, auch das
       Grundwasser wird knapp. Wie viel Wasser den Böden tatsächlich verloren
       geht, weiß niemand so genau. Auch wie viele der alten Rohrsysteme noch
       funktionieren und wo sie überhaupt liegen, ist ein Rätsel. In Brandenburg
       allein dürften sie mehrere Hundert Kilometer lang sein.
       
       Jan Sommer bewirtschaftet 70 Hektar Land. Als Biobauer war er lange
       überzeugt, zu „den Guten“ zu gehören. Doch als er die Drainagen unter
       seinen Feldern entdeckte, zweifelte er daran, ob ökologische Anbaumethoden
       genug zum Klimaschutz beitragen. Laut Sommer flossen selbst an den
       trockensten Sommertagen mehr als 200 Kubikmeter Wasser täglich durch einen
       Abfluss ab, zu dem auch die Rohre unter seinem Land führten. So viel Wasser
       passt ungefähr in 1.000 volle Badewannen. Eine bittere Erkenntnis, aber
       eine, die ihn dazu brachte, ein Experiment zu starten.
       
       Mit alten Karten und GPS-Daten stieß er auf einen Entwässerungsschacht, 80
       Zentimeter unter der Erde. Dort floss ein Teil des Rohrsystems zusammen.
       Mithilfe von Naturschützer*innen, Hydrolog*innen und Arbeiter*innen
       verschloss er den Schacht. „Das Freilegen der Rohre fühlte sich an wie eine
       archäologische Ausgrabung. Es war faszinierend und brutal zugleich“, sagte
       Sommer 2024.
       
       Ein knappes Jahr später sind die positiven Effekte auf dem Ackerland
       deutlich zu erkennen, erzählt Sommer Anfang Juli am Telefon. In der Nähe
       des verschlossenen Drainageschachts haben der Landwirt und sein Team eine
       Grube ausgehoben, ein „Soll“, in dem sich über den Herbst und Winter Wasser
       sammeln konnte. Noch jetzt sei eine kleine Pfütze zu sehen – und das,
       obwohl es in diesem Sommer ähnlich heiß und trocken ist wie 2018 und 2019.
       
       Das Soll habe die umliegende Fläche mit Feuchtigkeit versorgt. Pflanzen,
       Vögel und Amphibien profitieren von dem wiederhergestellten Lebensraum. Von
       den 200 Kubikmetern, die vorher aus dem Rohr abflossen, kann er etwa 80
       Kubikmeter im Boden halten. „Rechnet man das hoch, sind das für die
       Landschaft relevante Größen“, sagt Sommer.
       
       Fachleute und Interessenverbände kommen inzwischen vorbei, um sich die
       Effekte der verstopften Rohre anzuschauen, denn die unterirdischen
       Drainagen sind sonst selten sichtbar. „Man kann jetzt mit eigenen Augen
       sehen, dass das Gesamtsystem Wasser in ein Defizit kommt“, so Sommer.
       
       Landwirt*innen müssten verstehen, dass der Wasserrückhalt ein erster
       Schritt in Richtung „klimafitte“ Landwirtschaft sei. Viele seien zögerlich,
       denn der Umbau erfordert Zeit, Geld und Planung. Baustellen, während derer
       die Felder nicht nutzbar sind, können oder wollen sie sich nicht leisten.
       Auch gehört das Land in den meisten Fällen nicht den Landwirt*innen
       selbst, die Eigentümer*innen müssen zustimmen. Dazu kommt: Viele
       Landwirt*innen wissen es nicht einmal, wenn Drainagen unter den Äckern
       liegen.
       
       ## In Brandenburg zählt jeder Tropfen
       
       Der Landesbauernverband Brandenburg nennt auf Anfrage keine Zahlen zur
       Menge, Länge oder den Auswirkungen von Felddrainagen. Wie viele
       Landwirt*innen Drainagen unter ihren Feldern stilllegen, sei auch ihnen
       nicht bekannt.
       
       Der Naturschutzbund Nabu Brandenburg sieht in Felddrainagen einen direkten
       Schaden für das Grundwasser, das in Brandenburg ohnehin schon unter Stress
       steht. Niederschlag müsse dringend gespeichert werden, damit sich neues
       Grundwasser bilden kann, sagt Björn Ellner, Leiter des Nabu Brandenburg.
       „In Brandenburg, wo mehr Wasser verdunstet als nachkommt, zählt jeder
       Tropfen.“
       
       Um gegen Felddrainagen vorgehen zu können, hat der Nabu Brandenburg ein
       Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Viele alte Drainagen in Brandenburg
       könnten demnach illegal sein. Das Gutachten verweist auf das
       Wasserhaushaltsgesetz, das vorschreibt, dass für die Einleitung von Wasser
       in Flüsse oder Gräben eine Genehmigung erforderlich ist. Genehmigungen aus
       DDR-Zeiten seien aber in der Regel abgelaufen. „Da es sich um ein politisch
       brisantes Thema handelt, schreitet die Verwaltung nicht ein“, sagt Ellner.
       
       Jan Sommer hat das Thema Drainagen im Kreistag angesprochen, doch niemand
       habe darüber reden wollen. „Mach kein Problem daraus“, habe man ihm gesagt.
       Das habe ihn an frühere Diskussionen erinnert, [3][in denen er
       argumentieren musste, dass es den Klimawandel wirklich gibt.]
       
       Verantwortlich für die Drainagen sind die
       Grundstückseigentümer*innen. Wer über die Rohre Wasser in Flüsse
       oder Bäche leitet, braucht eigentlich eine Erlaubnis. Kontrollieren sollen
       das die Unteren Wasserbehörden in den Landkreisen – kommunale Ämter, die
       dafür zuständig sind, Gewässer zu schützen und ihre Nutzung zu überwachen.
       Doch auf Nachfrage wissen viele der Unteren Wasserbehörden in Brandenburg
       nicht einmal, ob es in ihrem Kreis genehmigte Drainagen gibt.
       
       Wer herausfinden will, wo die Drainagen verlegt wurden, muss auf
       verstaubten Papierkarten in den Archiven der Wasser- und Bodenverbände
       (WBV) suchen. Die sind für wasserwirtschaftliche Aufgaben im öffentlichen
       Interesse zuständig, etwa für die Pflege von Gewässern. Mehr als 20 dieser
       Verbände gibt es allein in Brandenburg, jeweils zuständig für Teile
       einzelner Landkreise. Sie lagern zwar die Karten, doch digitalisiert sind
       kaum welche davon. Für die Instandhaltung der Drainagen sehen auch sie sich
       nicht verantwortlich.
       
       Viele Verbandsvorsitzende schreiben, sie hätten nur „sporadisch“ oder
       „vereinzelt“ Kenntnis darüber, wo in ihrem Gebiet Drainagen verlegt wurden.
       Manche wagen Schätzungen zu den verlegten Rohren. So schreibt der Wasser-
       und Bodenverband Rhin-/Havelluch, dass dort mehr als 5.000 Kilometer Rohre
       liegen müssten. Frank Schröder, Leiter des WBV Prignitz, spricht von rund
       24.000 Kilometern allein in seinem Zuständigkeitsbereich. Das ist länger
       als eine halbe Erdumrundung.
       
       Ein konkretes Bild ergibt sich nur dort, wo ausnahmsweise Daten vorliegen,
       wie in der Märkischen Schweiz in Brandenburg. Am Rande eines Maisfeldes,
       nur wenige Kilometer von Jan Sommers Hof entfernt, ragt ein Rohr aus der
       Erde, aus dem unaufhörlich Wasser strömt. Alle zehn Sekunden sind hier im
       Messzeitraum von einem Monat im Schnitt rund zwei Liter Wasser abgeflossen.
       Das zeigen Daten des Landesamts für Umwelt in Brandenburg (LfU) von 2024.
       Messungen wurden möglich, weil hier noch alte DDR-Karten existieren und
       durch Erosion Rohre freigelegt worden sind, erklärt Thomas Frey, Sprecher
       des LfU Brandenburg.
       
       Das Pilotprojekt läuft seit Januar 2023. Fachleute messen an ausgewählten
       Stellen, wie viele Liter Wasser pro Minute aus den Drainagerohren fließen,
       so wie hier unter dem Maisfeld. Eine Auswertung der Daten, etwa in
       Zusammenhang mit den Witterungsverhältnissen, steht noch aus.
       
       Jan Sommer versucht, jeden Tropfen Wasser im Boden zu halten. Doch solange
       die Drainagen weiter Wasser ableiten, bringen andere Maßnahmen kaum etwas.
       „Es ist, also ob ich mich darum kümmere, dass möglichst viel Wasser in den
       Teich kommt, aber gleichzeitig ist der Stöpsel nicht zu“, sagt Sommer. Für
       ihn sind die Drainagen unter seinen Feldern deshalb das drängendste
       Problem.
       
       In Extremwetterphasen wie jetzt werde besonders deutlich, dass wir uns in
       einem „Korridor“ befinden, sagt Sommer. Maßnahmen zum Wasserrückhalt seien
       ein „großer Kraftakt“, die Verunsicherung unter Landwirt*innen sei groß.
       Und die Zeit drängt. Die Möglichkeit, mit Landwirtschaft zum Klimaschutz
       beizutragen, gibt Jan Sommer trotzdem nicht auf.
       
       24 Aug 2025
       
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