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       # taz.de -- Alltag als Frau: Catcalling nervt!
       
       > Sexistisches Verhalten führt dazu, dass unsere Autorin misstrauischer
       > geworden ist. Dabei würde sie Männern gerne unvoreingenommen begegnen.
       
   IMG Bild: Nächtliche Unterführung: „Es sind Abläufe, die wie mechanisch in Gang gesetzt werden, wenn ich nachts alleine unterwegs bin“
       
       Männer kommen zu nah, Männer grapschen, Männer masturbieren in der U-Bahn,
       Männer verfolgen einen bis zur Endstation. Nichts Neues, man hat sich schon
       fast daran gewöhnt. Auch an den Frust, daran nichts ändern zu können –
       deshalb müssen neue Strategien her.
       
       Auf der Treppe zur S-Bahn kommt mir ein Mann entgegen. Es ist spät am
       Abend, wir sind allein. Es gibt verschiedene Arten von Blicken. Zufällige,
       freundliche. Und dann gibt es noch diese andere Art Blicke, die der Mann
       mir jetzt zuwirft. Seine Augen scannen meinen Körper, dann grinst er.
       
       Die Kleidung fühlt sich auf einmal fremd auf meiner Haut an. Saß mein Rock
       die ganze Zeit schon so tief? Ist mein Top zu knapp? Ich trage keinen BH,
       verschränke die Arme vor der Brust. Die Treppe kommt mir endlos lang vor.
       Das komische Bauchgefühl täuscht einen fast nie: Ein paar Stufen vor mir
       wird er langsamer. Dann bleibt er stehen und spricht mich an.
       
       Ich stumpfe nicht ab, wenn es um [1][Catcalling] geht. Ich werde
       empfindlicher. Früher war ein Anmachspruch nur ein Anmachspruch. Kurz
       nervig, schnell wieder vergessen. Ich habe dagegengehalten, Männer
       zurechtgewiesen, wenigstens sarkastisch gekontert. Jetzt rast mein Herz.
       Ich habe keine Kraft mehr, zu kontern. Stattdessen halte ich die Luft an,
       schalte in den Abwehrmodus: Ignorieren, weitergehen. Hoffen, dass er es
       auch tut.
       
       Es sind Abläufe, die wie mechanisch in Gang gesetzt werden, wenn ich nachts
       alleine unterwegs bin. Nicht lächeln, kein Blickkontakt, die Straßenseite
       wechseln. Den Bahnsteig scannen, dann die einfahrende Bahn. Männergruppen?
       Bloß nicht. Neben wen setze ich mich? Wer sieht am wenigsten betrunken aus?
       Auf den letzten Metern bis zur Haustür Schlüssel in die Hand, Kopfhörer nur
       auf einer Seite.
       
       ## Ich will mich sicher fühlen dürfen
       
       Stelle ich damit Männer unter Generalverdacht? Ja, ein bisschen schon.
       Natürlich weiß ich, dass die meisten Männer mir nichts Böses wollen. Aber
       ich weiß auch, dass nicht alle Menschen Einbrecher sind, und schließe
       trotzdem meine Wohnung ab. Ich bin nicht allein mit dem Gefühl, mich
       schützen zu wollen.
       
       Bei Uber kann man in einigen Großstädten jetzt die Option „Women Drivers“
       wählen, um nicht von einem Mann nach Hause gefahren zu werden. Letztes Jahr
       haben Berliner Grüne Frauen-Abteile in der U-Bahn gefordert. In
       ausgewiesenen Waggons sollen zu bestimmten Uhrzeiten Männer nicht mitfahren
       dürfen.
       
       Ist das die Lösung? Sich einfach abschotten von der „Bedrohung Mann“?
       
       Natürlich nicht. Ich will mich nicht erst dann sicher fühlen dürfen, wenn
       ich in einem Waggon auf einem rosa Polster sitze. Mehr noch, ich will mich
       nicht schon aus fünf Metern Entfernung auf eine mögliche
       Grenzüberschreitung vorbereiten. Mich nicht fragen, ob der Mann mir gleich
       folgt, wenn ich ihn abweise. Viel lieber will ich wieder offen sein,
       gutgläubig. Aber zu oft hat sich ein mulmiges Gefühl bestätigt, zu oft ist
       vermeintliche Paranoia wahr geworden.
       
       [2][Ein Anmachspruch ist eben oft nicht nur ein Anmachspruch.] Und dabei
       ist es fast egal, ob mich jemand auf der Straße Schlampe [3][oder Schöne]
       nennt. Jeder dieser Momente wirft mich in eine Realität, in der ich nicht
       leben will. Eine, in der ich Objekt bin. In der ich bewertet und irgendwie
       auch entmenschlicht werde.
       
       Also halte ich weiter an meinen Strategien fest. Lächle lieber einmal
       weniger. Bin kühl zu jemandem, der es vielleicht nett gemeint hat.
       Vielleicht verpasse ich damit eine schöne Begegnung. Aber vielleicht
       schütze ich mich so auch vor einem Übergriff oder blöden Spruch, wie damals
       auf der Treppe. Misstrauen ist keine Anklage, sondern Selbstverteidigung.
       
       23 Aug 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Fiehler
       
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