# taz.de -- Pläne von Wirtschaftsministerin Reiche: Neue Gaskraftwerke sind flexibel, aber zu teuer
> Elektrizität aus Gas ist derzeit nicht rentabel. Dennoch setzt die
> Koalition auf den Neubau vieler Anlagen. Überdimensioniert, finden
> Fachleute.
IMG Bild: Gaskraftwerke sind derzeit oft nicht rentabel: Das Düsseldorfer Heizkraftwerk Lausward
Berlin taz | Technologisch haben Gaskraftwerke einen entscheidenden
Vorteil: Ihre Turbinen brauchen nur wenige Minuten, bis sie mit voller Last
Strom ins Netz speisen. Bei modernen Kohlekraftwerken dauert so eine
Leistungsbereitschaft mehrere Stunden, bei Atomkraftwerken kann das An- und
Abfahren Tage dauern. Deshalb galten Erdgaskraftwerke als idealer Partner
der Energiewende: Immer dann, wenn Wind und Sonne einmal nicht genügend
Elektrizität ins Netz liefern, können die flexiblen Gasturbinen
einspringen.
Dummerweise hat die Sache einen Haken: Im ersten Halbjahr 2025 deckten die
Erneuerbaren mehr als 60 Prozent des deutschen Strombedarfs, besonders die
Photovoltaik legte rasant zu. Und weil ja immer auch noch Kohlekraftwerke
laufen – in der vergangenen Woche produzierten sie tageweise hinter der
Sonnenkraft auf Platz zwei 23 Prozent des deutschen Stroms –, laufen die
Gasturbinen nur selten.
Um sich wirtschaftlich zu rentieren, müssen Gaskraftwerke wenigstens 4.000
Betriebsstunden volle Last fahren – also so viel wie möglich Strom
produzieren. Weil die Erneuerbaren aber Einspeisevorrang – also Vorfahrt
ins Netz – besitzen und die Kohlekraftwerke oft schwer zu verdrängende
Brocken in der Stromproduktion sind, schaffen die Gasturbinen keine 2.500
Volllaststunden im Jahr.
„Was halb so oft läuft, ist im Betrieb doppelt so teuer“, sagt Volker
Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für
Technik und Wirtschaft in Berlin. Dazu kämen die hohen Rohstoffkosten: „Bei
Braunkohle liegen die reinen Brennstoffkosten bei weniger als 1 Cent pro
Kilowattstunde elektrischer Energie, bei Erdgas bei rund 6 Cent.“ Dazu
kämen die Betriebskosten der Kraftwerke, die Abschreibungen für die
Kraftwerksbauten und schließlich auch noch die Kosten des Emissionshandels.
„Solarstrom gibt es aber schon ab 5 Cent je Kilowattstunde“.
## Investoren halten sich zurück
Das macht deutlich, dass sich neue Gaskraftwerke gar nicht wirtschaftlich
betreiben lassen, weshalb sich Investoren zurückhalten. In den vergangenen
zehn Jahren waren Neubauprojekte rar, in Wolfsburg wurde das Kraftwerk West
bis 2022 erneuert, an dem auch das VW-Werk hängt. In Baden-Württemberg gibt
es in Heilbronn einen Neubau, der 2026 in Betrieb gehen soll. In Bayern
liefert seit 2023 ein Block 6 am Standort Irsching im Bedarfsfall Strom,
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete ihn als „Airbag im
Energiesystem“.
„Wirtschaftlich betreiben lassen sich solche Gaskraftwerke aber derzeit nur
mit Subventionen“, wie Quaschning erklärt: Bezahlt wird das Kraftwerk nicht
für den gelieferten Strom, sondern dafür, dass es im Ernstfall Strom
liefert, „ein Kapazitätspreis für’s Dasein“. Der allerdings verteuert den
Strom weiter, was die Bundesregierung ja eigentlich bekämpfen will.
Trotzdem hat sich die schwarz-rote Koalition in den Koalitionsvertrag
geschrieben, in den nächsten fünf Jahren Gaskraftwerke „von bis zu 20
Gigawatt“ Leistung bauen zu wollen. Dem widersprach die
[1][Bundeswirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche] in ihrer
ersten Regierungserklärung: „Versorgungssicherheit first!“ Die Regierung
müsse „mindestens 20 Gigawatt Gaskraftwerke“ ausschreiben, nur so ließen
sich in Zukunft „bezahlbare Preise“ sicherstellen. Ihr Argument: Mehr
Angebot mindert den Strompreis.
Aber das ist Quatsch: Energieökonom Matthias Mier vom Ifo-Institut spricht
von „Nonsens“, mit der energiepolitischen Realität habe diese Politik
„überhaupt nichts zu tun hat.“ Eben weil neue Gaskraftwerke derzeit den
teuersten Strom liefern, führen mehr Gaskraftwerke zu steigenden
Strompreisen, warnt auch Sebastian Bolay von der Industrie- und
Handelskammer: „Intern rechnen wir mit ein bis zwei Cent die
Kilowattstunde“, sagte er dem MDR. „Derart viele neue Gaskraftwerke sind
überdimensioniert und teuer“, urteilt auch die Energieökonomin Claudia
Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW. Der Plan
schaffe „gefährliche fossile Pfad-Abhängigkeiten und erhöht den
Strompreis“.
## „Gaslobby will noch einmal richtig Geld verdienen“
„Funktionieren kann der Plan nur, wenn sich neue Gaskraftwerke nicht über
den Markt refinanzieren müssen“, sagt Quaschning. Beispielsweise könnten
sie aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTS) finanziert werden, „was
Wahnsinn wäre, denn so werden Gelder aus dem Sondervermögen verballert, die
eigentlich dazu da sind, um das deutsche Klimaziel zu erreichen“.
Aber warum sollte ausgerechnet die CDU, die Partei der Marktwirtschaft,
solch eine staatliche Subventionspolitik betreiben? Quaschning: „Weil die
Gaslobby noch einmal richtig Geld verdienen will und über politischen
Einfluss bis in das Wirtschaftsministerium verfügt“. Vor ihrer Zeit als
Ministerin war die CDU-Politikerin selbst Lobbyistin – nämlich Vorsitzende
des Verbandes Kommunaler Unternehmer. Denen hatte die Gaslobby seinerzeit
viele Gaskraftwerke aufgeschwatzt.
Eine Studie im Auftrag der Klima-Union kam zu dem Schluss, dass 20 Gigawatt
Leistung aus Erdgaskraftwerken viel zu viel seien, um Lücken in der
Stromversorgung zu stopfen. [2][In der Klima-Union sind Fachpolitiker von
CDU und CSU organisiert, die sich für den Klimaschutz einsetzen.]
25 Aug 2025
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## AUTOREN
DIR Nick Reimer
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