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       # taz.de -- Krieg in Sudan: Wo der Tod regiert
       
       > In Sudans Krieg gibt es immer mehr Leid. Gerade in der Region Darfur, wo
       > die Miliz RSF das Sagen hat. Die Stadt El Fasher ist heute Ort des
       > Hungers.
       
   IMG Bild: In und um El Fasher in Nord-Darfur drängelt sich rund eine Million Vertriebene, viele in provisorischen Flüchtlingslagern
       
       Berlin taz | Der Milizionär in Flecktarnuniform hockt im Gras, das
       Funkgerät in der linken Hand, die entsicherte Pistole in der rechten. Er
       spricht mit einem Zivilisten, der vor ihm auf dem Boden sitzt. Nach gerade
       einmal einer halben Minute steht der Milizionär auf und zielt auf den Kopf
       seines Gegenübers. Schüsse fallen, der Gefangene wälzt sich am Boden. Nach
       dem siebten Schluss ist Schluss, er regt sich nicht mehr. Der Schütze geht
       nonchalant weg. Sein Kamerad, der die Szene mit der Handykamera aufnimmt,
       reckt zwei gespreizte Finger zum Siegeszeichen.
       
       Sudans aufständische Miliz RSF (Rapid Support Forces) bemüht sich
       offensichtlich nicht, ihre Verbrechen zu verstecken. Das von den
       Menschenrechtsaktivisten des „Darfur Network for Human Rights“ (DNHR) am
       17. August verbreitete [1][Video] zeigt die Hinrichtung des Restaurantwirts
       Ahmed Gandoul aus El Fasher, der umkämpften Provinzhauptstadt von
       Nord-Darfur in Sudan, durch einen mutmaßlichen RSF-Kämpfer. „Wegen des
       Krieges musste er sein Restaurant vom zentralen Markt zum Markt Nyafasha
       verlegen, wo er wegen seiner Identität getötet wurde“, schreibt DNHR dazu
       unter Berufung auf die Hinterbliebenen. Er sei Angehöriger der Volksgruppe
       der Berti, einer der Zielscheiben des RSF-Krieges in Darfur.
       
       Wie der sudanesische Radiosender [2][Radio Dabanga rekonstruiert], fragte
       der Milizionär ihn erst, wo der örtliche Militärkommandant sei. „Ich weiß
       nicht, ich habe bloß ein Restaurant“, antwortete Gandoul. Daraufhin habe
       der Kämpfer seine Pistole auf ihn gerichtet und gefragt, welcher
       Volksgruppe er angehört. Als er antwortete, wurde er erschossen.
       
       Seit Beginn des Krieges in Sudan, als Mitte April 2023 die bis dahin an der
       Militärregierung beteiligte RSF in den Aufstand trat, ist Darfur Schauplatz
       brutalster Verbrechen. RSF-Anführer Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hametti,
       stammt aus Nyala in Süd-Darfur und hat die Handelsstadt zur Hauptstadt
       seiner vor einigen Wochen ausgerufenen Parallelregierung erklärt.
       
       Die RSF ist aus Milizen hervorgegangen, die bereits vor zwanzig Jahren in
       Darfur auf Geheiß von Sudans damaliger Militärregierung ethnische
       Säuberungen verübten, welche der Internationale Strafgerichtshof in Den
       Haag als Völkermord einstuft. Die meisten damaligen Darfur-Rebellen
       unterstützen heute Sudans Militärregierung, die sie einst bekämpften, gegen
       die RSF; der ehemalige Rebellenchef Minni Minawi ist jetzt Gouverneur von
       Darfur.
       
       Völkermord wird der RSF auch im neuen Krieg vorgeworfen. Der Internationale
       Strafgerichtshof ermittelt, im Juli [3][schlug die stellvertretende
       Chefanklägerin des IStGH erneut vor dem UN-Sicherheitsrat Alarm]: „Es ist
       schwer, das Ausmaß des Leids in Darfur in Worte zu fassen“, sagte sie.
       „Krankenhäuser und humanitäre Konvois werden angegriffen. Die Bevölkerung
       hat kein Wasser und keine Nahrung. Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt
       werden als Waffe eingesetzt. Entführungen gegen Lösegeld oder zur
       Verstärkung der bewaffneten Gruppen sind Alltag.“
       
       Bereits 2023 traf das Wüten der RSF in Darfur die Volksgruppe der Massalit
       in und um El Geneina nahe der Grenze zu Tschad; Tausende wurden getötet,
       Hunderttausende flohen, Überlebende [4][berichteten von grausamen
       Verbrechen]. Inzwischen hat die RSF vier der fünf Provinzhauptstädte
       Darfurs erobert. Nur El Fasher in Nord-Darfur, historisch ein
       multiethnischer Handelsknotenpunkt, blieb größtenteils unter Kontrolle von
       Sudans Armee. Eine Million Vertriebene aus dem Umland drängelten sich in
       der Stadt und den Lagern außerhalb.
       
       Immer wieder bombardierte die RSF in den vergangenen achtzehn Monaten die
       Vertriebenenlager, die Armee schlug mit Angriffen auf RSF-kontrollierte
       Stadtteile zurück. Am 11. April überfiel die RSF El Fashers größtes Lager
       Zamzam und trieb 500.000 der über 800.000 Bewohner in die Flucht. 300 bis
       1500 Menschen sollen bei der RSF-Einnahme von Zamzam getötet worden sein.
       
       Rund drei Viertel der Fliehenden landeten völlig entkräftet nach mehreren
       Tagen Fußmarsch durch die Wüste ohne Wasser und Nahrung in der Kleinstadt
       Tawila, rund 60 Kilometer entfernt. „Am 12. und 13. April erreichten über
       10.000 Menschen Tawila innerhalb von 48 Stunden“, [5][berichtete im Juli
       das UN-Kinderhilfswerk Unicef]. „Kinder weinten vor Hunger und Durst,
       manche waren schwer verletzt.“ Die Kleinstadt sei binnen kürzester Zeit auf
       500.000 Einwohner angewachsen, viele davon blieben obdachlos auf der
       Straße. 213.000 Menschen wurden in vier neuen Lagern untergebracht – aber
       nur ein Zehntel davon hat Wasser. Die meisten Menschen essen weniger als
       einmal am Tag, 38 Prozent der Kleinkinder sind akut unterernährt, [6][so
       das Hilfswerk NRC (Norwegischer Flüchtlingsrat)]. Seit Juni wütet in Tawila
       zusätzlich die Cholera.
       
       ## „Alle Versorgungsrouten sind abgeschnitten“
       
       Am 14. August schlugen 30 Hilfsorganisationen und europäische Regierungen,
       darunter die deutsche, in einer [7][gemeinsamen Erklärung] Alarm über die
       immer schlimmere Lage in El Fasher: „Hunderttausende Zivilisten stecken in
       und um El Fasher fest. Alle Handels- und Versorgungsrouten sind
       abgeschnitten. Seit über einem Jahr können humanitäre Organisationen keine
       lebensrettende Hilfe leisten. Die Lebensmittelpreise explodieren. Menschen
       verhungern.“
       
       Bereits im Juli 2024 hatten die Vereinten Nationen in Zamzam [8][eine
       Hungersnot festgestellt], später kamen weitere Orte dazu. Inzwischen ist in
       neun von 13 Regionen Darfurs ist die die Schwelle zur Hungersnot
       überschritten, [9][meldete das UN-Kinderhilfswerk Unicef] im Juli.
       
       In El Fasher sind Volksküchen, einst von zivilgesellschaftlichen
       Organisationen im Widerstand gegen die Militärdiktatur gegründet, für viele
       Menschen die einzige Nahrungsquelle, heißt es in Berichten aus der
       eingekesselten Stadt. Da Lebensmittel immer teurer werden, können sie immer
       weniger einkaufen. Ein Teller Suppe, den sich früher drei Personen teilten,
       muss jetzt für sieben reichen. Wenn die Hirsesuppe leer ist, gibt es Suppe
       aus geriebenen Erdnussschalen, normalerweise Viehfutter.
       
       Im August haben sich die Kämpfe um El Fasher [10][nach UN-Angaben weiter
       zugespitzt]. Die RSF rief die Zivilbevölkerung am 31. Juli zur Flucht auf
       und beschoss dann Fliehende, mindestens 14 Tote meldeten lokale Aktivisten
       am 2. August. Am 11. August überfiel die RSF den zweiten großen
       Vertriebenenlagerkomplex der Stadt, Abu Shouk, wo ebenfalls nach
       UN-Kriterien Hungersnot herrscht; mindestens 57 Menschen starben. Am 22.
       August wurden aus dem Lager sechs Frauen, ein dreijähriges Mädchen und ein
       40 Tage altes Baby von der RSF entführt. Nach [11][Angaben der
       Menschenrechtsorganisation „North Darfur Observatory for Human Rights“]
       unterhält die RSF außerhalb von El Fasher ein Lager, wo Frauen zwecks
       Zwangsverheiratung oder allgemeiner sexueller Verfügbarkeit festgehalten
       werden.
       
       Seit 12. August steht die Stadt El Fasher selbst immer wieder unter
       schwerem Artilleriebeschuss. Vergangene Woche wurde die Zerstörung der
       Notaufnahme eines der drei noch funktionsfähigen Krankenhäuser der Stadt
       durch RSF-Beschuss gemeldet. Wenn die RSF El Fasher einnimmt und damit ganz
       Darfur kontrolliert, „könnte Sudans Landkarte ethnisch neu gezeichnet
       werden“, warnt die sudanesische Journalistin Mahasin Dahab in der
       südafrikanischen Zeitung [12][The Continent].
       
       Seit Sudans Armee im Mai die vollständige Kontrolle über die
       Hauptstadtregion Khartum zurückgewonnen hat, ist das Land faktisch
       zweigeteilt. Die Militärregierung mit Sitz in Port Sudan am Roten Meer
       kontrolliert den Norden und Osten des Landes einschließlich Khartum und das
       Niltal; die RSF-Regierung mit Sitz in Nyala in Darfur kontrolliert fast
       ganz Darfur und Teile der Nachbarregion Kordofan. Auf Kordofan
       konzentrieren sich mittlerweile die Kampfhandlungen.
       
       Beide Seiten setzen auch Drohnen für Angriffe aus der Ferne ein. Auf ihre
       Niederlage in Khartum reagierte die RSF mit mehreren Tagen intensiver
       Drohnenangriffe auf das bisher vom Krieg verschonte Port Sudan. Im Gegenzug
       hat Sudans Armee Angriffe auf Nyala geflogen. Nach eigenen Angaben
       zerstörte sie Anfang August auf dem Flughafen von Nyala ein Flugzeug aus
       den Vereinigten Arabischen Emiraten, wichtigster Waffenlieferant der RSF,
       in dem sich eingeflogene Söldner aus Kolumbien befanden.
       
       Es ist keineswegs so, dass nur die RSF Kriegsverbrechen verübt. Sudans
       Armee macht in zurückeroberten Gebieten, etwa in Khartum, regelrecht Jagd
       auf alle Gegner, die sie pauschal zu Komplizen des Feindes erklärt – auch
       Teile von Sudans einstiger Demokratiebewegung hatten sich zeitweilig auf
       die Seite der RSF gestellt, weil Sudans Generäle für sie der Hauptfeind
       sind.
       
       Nach [13][Recherchen von Radio Dabanga] haben Gerichte in Sudans
       Regierungsgebiet allein in den Monaten Juni und Juli 82 Todesurteile
       gefällt – meist in Militärprozessen ohne Öffentlichkeit, unter der
       unspezifischen Anklage der „Kollaboration mit Terroristen“. Viele Menschen
       würden auf ethnischer Grundlage verfolgt. Eine staatliche
       Untersuchungskommission habe Vorwürfe gegen 15.000 mutmaßliche
       „Kollaborateure“ erhoben; allein im Bundesstaat Gezira südlich von Khartum
       am Nil seien seit der Rückeroberung durch die Armee 5000 Menschen
       inhaftiert worden.
       
       Sowohl Armee als auch RSF behindern Lebensmittelhilfe für Bevölkerungen im
       Gebiet des Feindes. Am 20. August wurde in der RSF-kontrollierten Stadt
       Mellit in Nord-Darfur ein Lebensmittelkonvoi des UN-Welternährungsprogramms
       WFP bombardiert; drei vollbeladene Lastwagen gingen in Flammen auf. Sie
       waren vier Tage vorher aus Tschad eingetroffen. Die Ladung sollte gerade
       abgeladen werden, [14][so die humanitäre UN-Koordinierungsstelle OCHA].
       
       Wie immer in UN-Erklärungen werden die mutmaßlichen Täter nicht genannt,
       aber der Verdacht richtet sich auf Sudans Armee. Mellit steht seit 2024
       unter RSF-Kontrolle und liegt an der Straße nach Libyen, ein wichtiger
       Versorgungsweg der Miliz, die aus dem ölreichen Nachbarland vor allem
       Treibstoff bezieht. Erst am 17. August hatte die Armee den
       Libyen-Busbahnhof von Mellit bombardiert, mehrere andere Raketen- und
       Luftangriffe wurden in den vergangenen Wochen registriert.
       
       Mellit ist die wichtigste Stadt der Berti-Volksgruppe, zu der der in El
       Fasher hingerichtete Restaurantbesitzer Gandoul gehören soll. Darfurs
       Behörden sprechen von einem „brutalen Massaker“ nach typischem RSF-Muster,
       wo Zivilisten erst in vermeintliche Sicherheit gebracht und dann vor der
       Kamera getötet werden, als Siegesbeweis. Die RSF verurteilt den Mord
       ebenfalls und dementiert, dass der Täter einer ihrer Milizionäre sei, denn
       schließlich achte man das Völkerrecht, während die Regierung für
       „fabrizierte Inszenierungen“ verantwortlich sei. Sudans Krieg ist auch ein
       Propagandakrieg. Aber die unzähligen Toten sind echt.
       
       26 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://x.com/DNforHR/status/1957098671918514481
   DIR [2] https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/video-of-summary-execution-of-civilian-by-rsf-in-north-darfur-sparks-outrage
   DIR [3] https://www.icc-cpi.int/news/statement-deputy-prosecutor-nazhat-shameem-khan-united-nations-security-council-situation
   DIR [4] /Krieg-in-Darfur/!6026950
   DIR [5] https://www.unicef.org/sudan/media/16856/file/Snapshot_v4_9%20July%202025.pdf.pdf
   DIR [6] https://www.nrc.no/news/2025/july/sudan-darfur-displacement
   DIR [7] https://civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/news-stories/news/joint-donor-statement-situation-and-around-el-fasher-sudan-30-donors-2025-08-14_en
   DIR [8] https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Famine_Review_Committee_Report_Sudan_July2024.pdf
   DIR [9] https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/sudan-nord-darfur-anstieg-zahl-schwer-mangelernaehrter-kinder/378166
   DIR [10] https://www.ohchr.org/en/press-briefing-notes/2025/08/continuing-killings-civilians-el-fasher-and-abu-shouk-camp?sub-site=HRC
   DIR [11] https://x.com/NorthDarfu24/status/1951695391721738317
   DIR [12] https://www.thecontinent.org/_files/ugd/287178_a6e51c1ba1a74596b6a18ef39f70ef2a.pdf
   DIR [13] https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/judicial-rulings-the-sword-of-the-sudanese-army-is-on-the-necks-of-civilians
   DIR [14] https://www.unocha.org/publications/report/sudan/statement-united-nations-resident-and-humanitarian-coordinator-ai-sudan-luca-renda
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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