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       # taz.de -- Merz' Reformherbst: Sozialstaat zu teuer? Von wegen!
       
       > Friedrich Merz sagt, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. Die SPD
       > kritisiert das. Und auch der Volkswirt Sebastian Dullien widerspricht.
       
   IMG Bild: Will den Sozialstaat im Herbst kürzen: Bundeskanzler Friedrich Merz
       
       Berlin taz | Man könnte es als Folklore abtun. Beim Landesparteitag der
       niedersächsischen CDU am Samstag sprach auch der Bundesvorsitzende
       Friedrich Merz und forderte eine harte Reformdebatte. „Der Sozialstaat, wie
       wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten,
       nicht mehr finanzierbar“, so Merz. Die Seele vieler Parteifreund*innen
       mag er damit gestreichelt haben, beim Koalitionspartner und den
       Wohlfahrtsverbänden kamen die Ankündigungen weniger gut an.
       
       SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt wertet Merz’ Ankündigungen auch als
       Kampfansage an die SPD und sieht einen Widerspruch zur kürzlich
       beschlossenen Ausweitung der [1][Mütterrente]. Im Gespräch mit der taz
       widerspricht die Fachfrau für Arbeit und Soziales dem Kanzler: „Unser
       Sozialstaat ist finanzierbar, die Frage ist vor allem, wie eine gerechte
       Finanzierung aussieht.“ Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen
       Gesamtverbandes Joachim Rock bezichtigt Merz gar der Lüge. „Das ist eine
       grob irreführende und falsche Aussage von Herrn Merz“, so Rock zur taz.
       „Wir haben keine überdurchschnittliche Kostensteigerung im Sozialstaat.“
       
       Janis Ehling, Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, wittert einen
       „konzertieren Angriff der Arbeitgeberlobby und der CDU auf den
       Sozialstaat“. Er fordert eine fairere Lastenverteilung, um diesen zu
       finanzieren. Etwa die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Ähnlich sieht
       es Rock vom Paritätischen: „Einkommen aus Vermietung oder Kapitalanlagen
       spielen bei der Finanzierung der Sozialversicherung keine Rolle.“ Wären sie
       einbezogen, könnten Beiträge sinken und die Leistung steigen.
       
       SPD-Politikerin Schmidt findet es ebenfalls „angebracht, in wirtschaftlich
       schwierigen Zeiten auch die Frage zu stellen, wer mehr zur Finanzierung
       beitragen kann“. Damit knüpft sie an die von SPD-Co-Chef und Vizekanzler
       [2][Lars Klingbeil] angestoßene Debatte um höhere Steuern für Vermögende
       an. Die Union lehnt solche Steuern jedoch ab und hat dies im
       Koalitionsvertrag festgeschrieben.
       
       ## Schmidt will kein Talkshowniveau
       
       Dort hat man sich aber auf Reformen der Sozialsysteme beziehungsweise auf
       die Einsetzung entsprechender Kommissionen geeinigt. Die erste, zur Reform
       des Sozialstaats mit Vertretern aus Bund, Ländern und Kommunen, soll bis
       Ende 2025 Empfehlungen vorlegen. Der Schwerpunkt liegt laut Arbeitsauftrag
       auf Bürokratieabbau.
       
       Das betont auch SPD-Fraktionsvize Schmidt. Aus Sicht ihrer Partei sei es
       vor allem notwendig, dass Sozialleistungen einfacher zugänglich,
       effizienter und bürgernäher werden. „Wir können auch über Pauschalierungen
       reden, da wo sie Menschen Vorteile bringen.“ Was die SPD aber nicht
       hinnehmen werde, „sind plumpe Leistungskürzungen und Privatisierungen. Das
       soziale Schutzniveau darf nicht sinken.“ Schmidt sieht durchaus
       Schnittmengen mit der Union, wenn diese endlich anfange, mit der gebotenen
       Ernsthaftigkeit Vorschläge auf den Tisch zu legen, anstatt nur auf
       Talkshowniveau Kürzungen als Lösung der Haushaltsprobleme zu präsentieren.
       
       Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales kostet der Sozialstaat
       jährlich über 1,3 Billionen Euro, die sich aus Abgaben und Steuern speisen.
       Allein aus dem Bundeshaushalt flossen im vergangenen Jahr gut 200
       Milliarden Euro, damit fast die Hälfte des Etats, in die sozialen
       Sicherungssysteme sowie Leistungen für Jugend und Familien.
       
       Der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und
       Konjunkturforschung (IMK) [3][Sebastian Dullien] rät dennoch zur
       Gelassenheit. „Wir geben in Deutschland relativ zum Bruttoinlandsprodukt
       für Soziales nicht mehr aus als andere Industrieländer“, sagt Dullien der
       taz. Laut Analysen des IMK beträgt der Anteil der staatlichen
       Sozialausgaben am BIP gut 27 Prozent, damit liegt Deutschland unter den 18
       reichen OECD-Ländern im Mittelfeld. Man müsse allerdings fragen, ob das
       Geld überall gut eingesetzt sei, meint Dullien. Und sieht im
       Gesundheitswesen den größten Reformbedarf. „Hier geben wir vergleichsweise
       mehr Geld aus als Nachbarländer, vor allem für Medikamente, Krankenhäuser
       und die Honorierung der Ärzt*innen.“
       
       25 Aug 2025
       
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