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       # taz.de -- Ausstellung übers Mensch-Tier-Verhältnis: Äußerst flatterhafte Kunst
       
       > Tauben, Papageien und Ornithologen zwitschern und krächzen bei der
       > Lübecker Gruppenausstellung „Vom Himmel gefallen“.
       
   IMG Bild: Zweideutiger Umgang mit Tauben: Yalda Afsahs Videoarbeit wirkt wie ein Altar. Im Vordergrund: Maximiliane Baumgartners „PS Taube“
       
       Mit dem Kopf im Nacken blickt eine Gruppe Männer gebannt gen Himmel. Die
       Kamera tastet ihre Gesichter vorsichtig ab, bevor sich der Bildausschnitt
       weitet: Der Screen zeigt Himmelblau, eine einzelne Taube gleitet darüber
       hinweg, dann ein ganzer Schwarm. Plötzlich ein Bruch. Die Vögel stürzen in
       rasanten Salti zu Boden, beenden abrupt ihre Choreografie der Lüfte und
       nehmen ihren normalen Flugweg wieder auf.
       
       Die Videoarbeit der [1][Künstlerin Yalda Afsa]h steht wie ein Altar
       inmitten einer Kirche. Sie ist Teil der [2][Gruppenausstellung „Vom Himmel
       gefallen“]. Gezeigt wird die in der Kulturkirche St. Petri und der
       Overbeckgesellschaft in Lübeck. Mit sinnlicher Bildsprache untersucht Afsah
       die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Dabei entzweit sie gelegentlich die
       Bild- und Tonebene voneinander und erzeugt damit ein poetisches Filmformat,
       das sich zwischen Dokumentation und Fiktion bewegt.
       
       Im Mittelpunkt der Erzählung stehen Taubenzüchter aus dem Süden von Los
       Angeles und sogenannte [3][„Roller Pigeons“] – Tauben. Im Interview
       erzählen Männer von deren Zucht und wie die Tauben zu atemberaubenden
       Flugfiguren dressiert werden. Dabei halten sie die Vögel fest in ihren
       Händen, inspizieren sie mit Fürsorge und Kontrolle. Ihre Beziehung und
       wechselseitige Abhängigkeit ist ambivalent. Auf der einen Seite verfügen
       die Züchter über die Vögel. Auf der anderen Seite bestimmen die Vögel auch
       das Leben der Züchter, weil ihre Pflege intensive Arbeit bedeutet. Es ist
       ein liebevoller, zärtlicher Umgang, der um Fragen der Herrschaft des
       Menschen über die Natur kreist.
       
       ## Zwitschernder Ornithologe
       
       Über einem Seiteneingang der Kirche thronen neun weiße Schneeeulen auf
       einer Metallstange. In unregelmäßigen Abständen bewegen sie Kopf oder
       Flügel, geben Geräusche von sich und blicken über den Raum wie stille
       Wächter*innen. Bei den Eulen handelt es sich nicht um lebendige Tiere,
       sondern um ausrangierte Spielzeuge vom Modell „Hedwig“ aus der „Harry
       Potter“-Reihe. Der Vogel wird in der Installation von Gerrit
       Frohne-Brinkmann als Symbol für Konsum aufgegriffen und thematisiert.
       Frohne-Brinkmann setzt sich oft mit feinem Humor [4][kritisch mit
       Unterhaltungskultur und kommerzialisierten Erfahrungsräumen auseinander].
       Durch Objekte wie Spielzeuge oder Fossilien hinterfragt er das Verhältnis
       von Geschichte, Zeit und Gegenwart.
       
       In der Overbeck-Gesellschaft, einem Bauhaus-Gebäude, vereint die
       [5][Rauminstallation von Richard Frater] mit Klang, Licht und Stoff den
       Innen- und Außenraum. Sie verwebt dabei analoges mit digitalem Zwitschern.
       Im ersten Raum der Ausstellung sind über Lautsprecher die Laute eines
       Ornithologen zu hören, der den Ruf des Kākā imitiert. Diese Nachahmung
       dient als Lockruf und veranschaulicht, wie der Mensch direkten Einfluss auf
       das Verhalten des Vogels nehmen kann. So wird exemplarisch die besondere
       Beziehung zwischen Vogel und Mensch vorgestellt. Der Kākā, ein
       neuseeländischer Papagei, war einst stark bedroht, konnte sich durch
       Schutzmaßnahmen jedoch erholen und kehrt heute zunehmend auch in städtische
       Lebensräume zurück. Im zweiten Raum ist die Aufnahme einer Kākā-Fütterung
       in Aro Valley, einem Vorort von Wellington, zu hören.
       
       Für die Ausstellung in Lübeck hat Frater grüne Folien auf die Fenster
       zweier Räume anbringen lassen, sodass ein sanft grünes Licht die
       Räumlichkeiten durchflutet, während durch die Fenster im Mitteltrakt
       natürliches Licht einstrahlt: Sie dienen zudem als eine akustische Öffnung
       zur Vogelwelt. Die Architektur selbst wurde mit zartem, seidenartigem Stoff
       nachgebildet. Dadurch entstehen lange Gänge, die sich durch das Gebäude
       ziehen. Fraters Klanglandschaft und Raumverschiebung lässt ahnen, wie
       zerbrechlich die Mensch-Tier-Beziehungen sein mögen.
       
       Die Ausstellung erzählt von Beziehungen, die weder klar hierarchisch noch
       rein fürsorglich sind. Zwischen Mensch und Vogel entsteht ein komplexes
       Geflecht aus Nähe, Kontrolle und gegenseitiger Prägung. Die Tiere sind
       weder bloße Objekte der Dressur noch bloße Opfer. Sie bleiben eigenständig,
       unberechenbar, manchmal sogar tröstend.
       
       Gerade in der ehemaligen Kirche St. Petri wirken die Werke doppelt: Der
       sakrale Raum, einst dem Blick nach oben gewidmet, wird hier zu einem Ort
       der Umkehr. Der Himmel zeigt sich nicht als jenseitige Verheißung, sondern
       als Projektionsfläche für menschliche Wünsche, Ängste und Machtansprüche.
       
       29 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Kunst-der-Woche-fuer-Berlin/!5931975
   DIR [2] https://st-petri-luebeck.de/events/65UB9dfZU5JUVWAQeUrUZb
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Roller_und_Purzler
   DIR [4] /Die-Skepsis-des-Sammlers/!5714380/
   DIR [5] /Wilde-Grossstadtvoegel-Richard-Fraters-ornithologische-Studien/!5495546/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Theresa Weise
       
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