# taz.de -- Leben zwischen Milieus: Postproleten aller Länder, gönnt euch!
> Gibt es das richtige Leben im falschen? Für Postproleten weniger als für
> andere. Umso wichtiger, gut auf sich aufzupassen. Eine letzte Kolumne.
IMG Bild: Mehr als der soziale Ort, den eine willkürliche Ordnung in Kombination mit dem Zufall zugewiesen hat
Das Leben als Postprolet ist ein Leben unter Dauerstrom. Der feuchte Traum
der Gründerväter der neoliberalen Weltanschauung. Die Radikalisierung der
schwäbischen Häuslebauermentalität. Immer muss etwas vorangehen. Ständig
muss man über sich selbst hinauswachsen. Immerzu spürt man die Opfer der
Eltern im Nacken, die ermöglicht haben, dass man es einmal besser haben
kann.
Das Leben des Postproleten ist also ein Projekt. Aber vor allem ist es ein
Kampf. Postproleten kämpfen nicht nur gegen äußere, gesellschaftliche
Schranken an, sondern immer auch gegen Erwartungen von anderen, die sie
verinnerlicht haben. Meistens kämpfen Postproleten gegen sich selbst.
Ja, es muss sich politisch etwas verändern, damit die Herkunft nicht mehr
darüber entscheidet, welche Chancen ein Mensch im Leben hat. Ja, man sollte
als Postprolet auch das bisschen an Chance nutzen, das man bekommen hat.
Aber das weiß der Postprolet. Niemand muss ihn motivieren. Das Problem ist
eher, dass er nicht chillen kann.
## Macht mal Pause
Postproleten leben im Dazwischen. Sie können die Selbstlügen in den
Herkunfts- und Ankunftsmilieus besser sehen als andere. Erkenntnis ist die
Voraussetzung für Veränderung. Aber Postproleten sind auch keine
Superhelden. Auch wenn sie gerne Superhelden wären, die durch ihre
Superleistungen nicht nur die Gesellschaft zu einer besseren machen.
Sondern als Aufsteiger den Beweis dafür liefern, dass es so etwas wie eine
Klassengesellschaft doch gar nicht gibt.
Ihr müsst nicht komplett aufhören, zu kämpfen, liebe Postproletinnen und
Postproleten. Aber macht auch mal Pausen. Macht Dinge, die keinen Zweck,
keine Richtung, kein Ziel haben. Macht Quatsch. Macht gar nichts. Denn
natürlich könnt ihr nicht alles schaffen, was ihr wollt, wenn ihr nur ganz
fest daran glaubt und alles gebt. Niemand kann das. Zu vieles liegt in
Bereichen, auf die ihr keinen Einfluss habt.
Und auch wenn es euch oft so vorkommt, als wärt ihr bei alldem auf euch
allein gestellt: Es gibt so viele andere, die sind wie ihr. Und es gibt so
viele andere, die anders sind, aber eure Sehnsüchte teilen. Versteckt euch
nicht, verständigt euch. Eure Allianzen, Freundschaften, Partnerschaften
sind der Anfang vom Ende dessen, was euch trennt. Dabei geht es nicht nur
um das Politische. Es geht auch um die Wärme, ohne die ihr nicht überleben
könnt.
Vor allem aber seid ihr nicht nur Postproleten. Ihr seid so viel mehr als
der soziale Ort, den euch eine willkürliche Ordnung in Kombination mit dem
Zufall zugewiesen hat. Gebt diesem anderen Raum. Entdeckt dieses andere.
Lasst euch nicht auf das eine reduzieren. Reduziert euch selbst nicht
darauf. Lernt euch jeden Tag selbst kennen. Und versteht jeden Tag ein
bisschen besser, was ihr braucht, um den täglichen Wahnsinn einigermaßen
heil zu überstehen.
Postproletinnen und Postproleten aller Länder, [1][der Kampf geht weiter],
aber das Leben ist viel zu kurz, also: gönnt euch auch.
26 Aug 2025
## LINKS
DIR [1] /Abschiede-als-Kulturtechnik/!6102972
## AUTOREN
DIR Volkan Ağar
## TAGS
DIR Kolumne Postprolet
DIR Postmigrantisch
DIR Klassenkampf
DIR Deutschland
DIR GNS
DIR Reden wir darüber
DIR Kolumne Postprolet
DIR Kolumne Postprolet
DIR Kolumne Postprolet
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Abschied und Klasse: Danke für fünf Jahre Postprolet
Trennungen gehören zum Lebensweg eines Postproleten. Abschiede hat unser
Autor trotzdem vermieden. Diesmal will er es besser machen.
DIR Rettung für Alpenneulinge: Kindliche Neugier und die Drei-Punkt-Regel
Unser Autor reflektiert bei einer Wanderung in den Alpen über
Naturerlebnis, Zugehörigkeit, kindliche Begeisterung und elitäre Arroganz.
DIR Bildungspolitik am Imbiss: Würstchen, Worte, Wirklichkeit: Wer ist hier Migrant?
Während Politiker über Migrantenquoten fantasieren, steht unser Autor im
Kiez-Imbiss, umgeben von der Realität, die solchen Ideen längst entgleitet.