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       # taz.de -- Abschiebung vorerst gestoppt: Atempause für kurdischen Aktivisten
       
       > Ein Gericht hat die Abschiebung von Mehmet Çakas in die Türkei in letzter
       > Sekunde gestoppt – vorläufig. Die Bundesregierung schweigt zu dem Fall.
       
   IMG Bild: War vielleicht hilfreich: Demonstration gegen die Abschiebung von Mehmet Çakas im Juli in Hannover
       
       Hamburg taz | Der kurdische Aktivist Mehmet Çakas wird am 28. August nicht
       in die Türkei abgeschoben. Das hat das Verwaltungsgericht Lüneburg am
       Mittwoch, einen Tag vor dem Termin, entschieden.
       
       Damit hat das Gericht die Abschiebung aber nur vorläufig gestoppt.
       Endgültig entscheidet es am 8. September über den [1][Fall des aktuell in
       Niedersachsen inhaftierten Çakas].
       
       Laut Çakas’ Anwält*innen kam die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts
       Lüneburg in letzter Sekunde: Mittwoch früh um 6.10 Uhr. Kurz davor hätten
       Gefängnisbeamte ihrem Mandanten noch mitgeteilt, dass im Laufe des Tages
       die Vorbereitungen für die Abschiebung begännen. Eine für Mittwoch geplante
       Kundgebung vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Uelzen, wo Mehmet Çakas
       inhaftiert ist, haben seine Unterstützer*innen abgesagt.
       
       Çakas war 2024 zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe wegen Unterstützung
       der trotz ihrer angekündigten Selbstauflösung noch immer verbotenen
       Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Deutschland verurteilt worden. [2][Gegen
       das Betätigungsverbot klagt die PKK], eine Entscheidung steht noch aus.
       Çakas’ Haftstrafe endet regulär Anfang Oktober.
       
       ## Gericht will Bekenntnis zu Menschenrechten von Türkei
       
       Seine Schwester Sevcan Çakas klingt am Telefon erleichtert. „Heute ist ein
       sehr wichtiger Tag für unsere Familie“, sagt sie. Sie habe heute mit ihrem
       Bruder telefonieren können und ihm die Nachricht überbracht. „Er war sehr
       glücklich“, sagt Çakas. Sie und zwei Brüder von Mehmet Çakas leben in
       Hamburg. Die Geschwister sind als Kurd*innen selbst vor politischer
       Verfolgung aus der Türkei geflohen und haben mittlerweile die deutsche
       Staatsbürgerschaft, anders als ihr von Abschiebung bedrohter Bruder.
       
       Dessen Abschiebung hat das Verwaltungsgericht Lüneburg zwar gestoppt, aber
       nicht grundsätzlich untersagt. Çakas darf nur abgeschoben werden, fand das
       Gericht, wenn die Türkei zusichert, dass die ihn dort erwartenden
       Haftbedingungen menschenrechtlichen Mindeststandards entsprechen.
       
       Sein Anwalt Lukas Bastisch begrüßt die Entscheidung des
       Verwaltungsgerichts. Allerdings hält er die Bedingung für eine Abschiebung,
       von der Türkei die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern, wie es das
       Gericht in Lüneburg fordert, für naiv. „Den Zusicherungen der Türkei kann
       nicht getraut werden“, sagt Bastisch. Ähnliche Zusicherungen gebe die
       Türkei routinemäßig ab.
       
       In der Türkei erwarten Mehmet Çakas offene Haftbefehle. Die türkischen
       Behörden werfen ihm einen Verstoß gegen den umstrittenen
       Anti-Terror-Paragrafen 302 des türkischen Strafgesetzbuchs vor. Ihm droht
       eine darin vorgesehene „erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe“. Der
       Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV) spricht von „drohender
       Folter“.
       
       Menschen, denen Oppositionsarbeit für die PKK vorgeworfen wird, hätten in
       der Türkei kein faires Verfahren zu erwarten, warnt [3][der Flüchtlingsrat
       Niedersachsen]. Das zeige ein von Pro Asyl in Auftrag gegebenes
       Rechtsgutachten aus dem September 2024. Dieses weist nach, dass
       Strafverfahren in der Türkei, die auf terrorismusbezogenen Vorwürfen
       basieren, regelmäßig rechtsstaatliche Kriterien unterlaufen.
       
       Der Fall von Mehmet Çakas weist über seine Person hinaus. Davon sind nicht
       nur seine Anwält*innen überzeugt, sondern auch der RAV, das Komitee für
       Grundrechte und Demokratie und die außenpolitische Sprecherin der
       Bundestagsfraktion der Linken, Cansu Özdemir. Die geteilte Sorge: Eine
       Abschiebung könne zum Präzedenzfall für kurdische Oppositionelle in
       Deutschland werden.
       
       Das Besondere am Fall von Çakas ist, dass er in die Türkei abgeschoben
       werden soll, obwohl deutsche Behörden schon mal entschieden haben, dass er
       wegen drohender politischer Verfolgung nicht dahin ausgeliefert werden
       darf. Seine Anwält*innen und Unterstützer*innen kritisieren, dass
       die deutsche Bürokratie sich in seinem Fall widerspricht.
       
       Denn Auslieferung und Abschiebung sind zwei unterschiedliche Verfahren. Das
       Bundesamt für Justiz hat 2023 entschieden, einem Auslieferungsantrag der
       Türkei für Mehmet Çakas aufgrund von Bedenken hinsichtlich drohender
       politischer Verfolgung nicht stattzugeben.
       
       Zwei Jahre später hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf)
       einen Asylantrag von Mehmet Çakas endgültig abgelehnt. Das bedeutet: Er ist
       zur Ausreise verpflichtet und kann abgeschoben werden.
       
       Im abgelehnten Asylbescheid von Mitte Mai, der der taz vorliegt, erwähnt
       das Bamf die Entscheidung gegen die Auslieferung von 2023 aber nicht. Die
       Ablehnung des Asylantrags begründet es mit aufenthaltsrechtlichen Formalia.
       Eine Klage dagegen war in mehreren Instanzen nicht erfolgreich.
       Mittlerweile läuft noch eine Beschwerde gegen die Einstellung vor dem
       Bundesverfassungsgericht.
       
       Cakas’ Anwalt Lukas Bastisch kritisiert, dass die Türkei durch die
       Entscheidung des Bamf im Ergebnis bekommt, was sie mit dem internationalen
       Haftbefehl von Deutschland nicht bekommen hat: Mehmet Çakas.
       
       ## Anhaltende Repression gegen kurdische Opposition
       
       Nach der Selbstauflösung der PKK und einem beginnenden Friedensprozess
       zwischen Regierung und kurdischer Bewegung geht die Türkei weiter mit
       Repression gegen kurdische Politiker*innen vor.
       
       Auch vor diesem Hintergrund müsse die Abschiebung von Mehmet Çakas in die
       Türkei dringend ausgesetzt werden, schreiben seine Unterstützter*innen
       in einem vergangene Woche veröffentlichten Brief an Innenminister Alexander
       Dobrindt (CSU), Außenminister Johann Wadephul (CDU) und den
       niedersächsischen Ministerpräsidenten Olaf Lies (SPD).
       
       Am vergangenen Freitag hat die Bundesregierung erstmals auf eine Anfrage
       der Abgeordneten Özdemir zum Fall geantwortet: Sie äußere sich
       grundsätzlich nicht zu Einzelfällen.
       
       Cansu Özdemir kritisiert das Schweigen der Bundesregierung im Fall von
       Mehmet Çakas scharf: „Ein Bundesinnenminister, der ein rechtlich derart
       zweifelhaftes Verhalten unkommentiert lässt, handelt verantwortungslos.“
       Nachdem das Verwaltungsgericht Lüneburg die Abschiebung nun vorläufig
       gestoppt hat, habe die Bundesregierung Zeit gewonnen, um einen Fehler zu
       korrigieren, sagt Özdemir. „Mehmet Çakas braucht ein faires Asylverfahren.“
       
       28 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kurdischer-Aktivist-Mehmet-Cakas/!6105165
   DIR [2] /Klage-auf-Wiederzulassung-/!6090442
   DIR [3] https://www.nds-fluerat.org/62820/aktuelles/fluechtlingsrat-mehmet-cakas-droht-in-der-tuerkei-verfolgung/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amira Klute
       
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