URI: 
       # taz.de -- Ordensgemeinschaft in Frankreich: Totgeschwiegene sexuelle Gewalt
       
       > Opfer sexualisierter Gewalt einer internationalen
       > ökumenischen Gemeinschaft kritisieren das Gedenken an deren
       > ermordeten Gründer als Farce.
       
   IMG Bild: Ökumenischer Feldgottesdienst bei einem Jugendtreffen im ostfranzösischen Taizé im Jahr 2022
       
       Berlin taz | Am 16. August 2005 hat eine psychisch kranke Frau den
       90-jährigen Ordensgründer Frère Roger Schutz während des Abendgebets in
       Taizé, einem Dorf im französischen Département Saône-et-Loire, erstochen.
       Tausende weltweit trauerten um einen Mann, der für ein glaubwürdiges,
       menschenfreundliches Christentum stand, gerade aus der Sicht von
       Jugendlichen. Die kommen seit den 70er Jahren zu großen internationalen
       Treffen nach Taizé.
       
       Das Nachrichtenportal der katholischen Kirche in Deutschland fragte zum 20.
       Todestag: [1][„Frère Roger: Ein Heiliger der Herzen – auch ein Märtyrer?“]
       Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagte,
       [2][diee Erinnerung an den gebürtigen Schweizer zeige, „wie Glaube Brücken
       bauen kann – zwischen Konfessionen, Völkern und Generationen“].
       
       In Taizé selbst wurde der Todestag am 16. August mit einer online
       übertragenen Gesprächsrunde begangen, unter dem Titel [3][„Frère Roger –
       Zeuge der Hoffnung“].
       
       Dass in den Würdigungen die sexualisierte Gewalt nicht zur Sprache kam, die
       Taizé-Brüder begingen, als Schutz die Gemeinschaft leitete, kritisieren nun
       Betroffene. Anne Terlongou, [4][über deren Fall die taz 2022 berichtete],
       sagt: „Bei der Gesprächsrunde wurden gute und berührende Erinnerungen
       geteilt.“ Gefehlt habe, dass Schutz seine Verantwortung für Schutzbefohlene
       und einzelne Brüder nicht ausreichend wahrgenommen habe.
       
       ## Gemeinschaft beschuldigt 14 ihrer Brüder
       
       Erst im Juni hatte ein ausgetretenes Mitglied der Taizé-Gemeinschaft
       Anzeige gegen zwei Brüder erstattet, wegen Vorfällen 1970 und 1971. „Wenn
       ich mich nicht verteidigt hätte, ich wäre vergewaltigt worden“, zitiert die
       Lokalzeitung [5][Le Journal de Saône-et-Loire] den Mann, der im
       schweizerischen Genf lebt.
       
       2019 hatte die Taizé-Gemeinschaft von sich aus erste Fälle sexualisierter
       Gewalt durch Brüder der Gemeinschaft öffentlich gemacht, es folgten weitere
       Meldungen. Von 14 beschuldigten Brüdern spricht die Gemeinschaft heute,
       sechs von ihnen seien tot.
       
       2024 wurde ein von der Gemeinschaft ausgeschlossener Bruder von einem
       französischen Gericht wegen des massenhaften [6][„Erwerbs von
       Missbrauchsdarstellungen“] schuldig gesprochen.
       
       Seit Bekanntwerden der Übergriffe hat Taizé Melde- und Präventionsmaßnahmen
       ergriffen, Anzeigen erstattet und die Anerkennungs- und
       Wiedergutmachungskommission der französischen Orden eingeschaltet, die CRR.
       
       ## Gründer soll bei internen Konflikte ausgewichen sein
       
       Mit dieser Kommission stand auch der schweizerische Ex-Bruder in Kontakt.
       Er fühlte sich trotz zweifacher Prüfung seiner Akte durch die CRR „weder
       angehört noch respektiert, weder anerkannt noch entschädigt“, sagte er Le
       Journal de Saône-et-Loire. Auch kritisierte er Frère Roger Schutz dafür,
       Konflikten innerhalb der Gemeinschaft aus dem Weg gegangen zu sein.
       
       Als er Schutz gefragt habe, warum er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen
       werde, soll dieser geantwortet haben: „Da ist dein Herz und da ist das Herz
       so vieler Brüder.“ Es habe Jahre gedauert, wird der Ex-Bruder zitiert, bis
       er den wirklichen Sinn dieses Satzes erkannt habe: „Du bist ein Objekt der
       sexuellen Begierde vieler Brüder.“
       
       Frère Roger Schutz hatte die Taizé-Gemeinschaft 1942 gegründet, sie sollte
       Vorbild sein für Versöhnung zwischen christlichen Konfessionen und
       verfeindeten Ländern. Heute besteht sie aus 80 Brüdern, die aus etwa 30
       Ländern stammen. 15 bis 20 Brüder leben in kleinen Ablegern in
       afrikanischen, amerikanischen und asiatischen Ländern.
       
       Das Weiterbestehen der Gemeinschaft habe für Frère Roger Schutz über allem
       gestanden, sagt Anne Terlongou, die 2006 bis 2008 als Freiwillige bei den
       Jugendtreffen von Taizé mitgearbeitet hat. „Deshalb wurden Konflikte
       ausgespart, Unangenehmes nicht angesprochen. Und letztlich Verantwortung
       nicht wahrgenommen.“
       
       ## Vorwurf eines gefährlichen Harmoniebedürfnisses
       
       Die taz hat zwei ehemalige Brüder zur Leitungsrolle von Schutz angefragt,
       aber keine Antwort erhalten. Im Buch „Danke, Freré Roger“ des ausgetretenen
       Bruders Klaus Hamburger aber findet sich folgende Passage: „Frère Roger
       konnte mit nichts alles sagen. Er sah Grenzen, die er nicht überschritt,
       schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Er hatte Takt, konnte verschwiegen
       sein, zurückhaltend und rücksichtsvoll.“
       
       Für Betroffene sexualisierter Gewalt klingt das wie Hohn. Eine von ihnen,
       die anonym bleiben möchte, sagt: „Das gefährliche Harmoniebedürfnis von
       Frère Roger ist nicht ansatzweise aufgearbeitet. Für mich als Betroffene
       ist das eine Farce.“
       
       Mitte August sagte der heutige Leiter von Taizé, Frère Matthew, der mit
       bürgerlichem Namen Andrew Thorpe heißt, in einem Interview mit der
       katholischen Zeitung [7][La Vie], dass gegen zwei frühere Brüder noch
       Gerichtsverfahren wegen sexualisierter Gewalt laufen.
       
       ## Neuer Leiter: „Den Opfer zuhören ist unerlässlich“
       
       „In der Vergangenheit gab es Fehler“, so Thorpe, „und wir verstehen die
       Spuren, die diese Missbräuche bei den Opfern hinterlassen, besser. Ihnen
       zuzuhören, ist unerlässlich.“
       
       Die Brüder seien sich heute ihrer Autorität gegenüber jungen Menschen
       bewusst, so Thorpe, „obwohl wir lange Zeit dachten, wir wären in einer
       Position auf gleicher Ebene. In Wirklichkeit können sie sich in
       verletzlichen Situationen befinden, wenn sie sich uns anvertrauen.“
       Prävention und Aufarbeitung seien ein fortlaufendes Projekt und eine große
       Verantwortung.
       
       Dazu, sagt Anne Terlongou, gehöre aber auch die Auseinandersetzung mit den
       „Schwächen“ einer charismatischen Gründerfigur.
       
       27 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.katholisch.de/artikel/63728-frere-roger-ein-heiliger-der-herzen-auch-ein-maertyrer
   DIR [2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/bischof-baetzing-wuerdigt-taiz-gruender-fr-re-roger-zum-20-todestag-110.html
   DIR [3] https://www.taize.fr/de/bruder-roger-zeuge-der-hoffnung
   DIR [4] /Christliche-Gemeinschaft-von-Taize/!5901344
   DIR [5] https://www.lejsl.com/faits-divers-justice/2025/07/06/jeune-frere-a-taize-si-je-ne-m-etais-pas-defendu-j-aurais-ete-viole
   DIR [6] /Vorwuerfe-gegen-Taize-Gemeinschaft/!6022965
   DIR [7] https://www.lavie.fr/christianisme/temoignage/vingt-ans-apres-lassassinat-de-frere-roger-de-taize-il-avait-la-volonte-dunifier-les-chretiens-pour-la-paix-100616.php
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
       ## TAGS
       
   DIR Gemeinschaft
   DIR Religion
   DIR Katholische Kirche
   DIR Ökumene
   DIR Sexuelle Gewalt
   DIR taz-Serie Sexuelle Gewalt
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR GNS
   DIR Kindesmissbrauch
   DIR Katholische Kirche
   DIR Christentum
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vorwürfe gegen Taizé-Gemeinschaft: Kinderpornos hinter Klostermauern
       
       Die Missbrauchsvorwürfe gegen die Taizé-Gemeinschaft in Frankreich wiegen
       schwer. Nun ist erstmals ein Bruder schuldig gesprochen worden.
       
   DIR Christliches Jugendtreffen in Rom: „Kritik wird eher stumm gemacht“
       
       Neue Geistliche Gemeinschaften feiern ein Comeback, trotz eklatanter
       Missbrauchsfälle. Die Theologin Hildegund Keul warnt vor „Freudenzwang“.
       
   DIR Christliche Gemeinschaft von Taizé: Missbrauchtes Vertrauen
       
       Am Mittwoch beginnt in Rostock das 45. Europäische Jugendtreffen von Taizé.
       Betroffene sexualisierter Gewalt kritisieren die schleppende Aufarbeitung.