# taz.de -- Berliner Knast-Theater aufBruch: Kriegsertüchtigung im finsteren Wald
> Das Gefangenentheater aufBruch in Berlin hat mit Bertolt Brechts „Mann
> ist Mann“ eine schrille Komödie zum aktuellen Mobilmachungsdiskurs
> inszeniert.
IMG Bild: Krieg dem Krieg: Szene aus „Mann ist Mann“ nach Bertolt Brecht
Die Männer, die da aus dem finsteren Wald im Volkspark Jungfernheide im
Berliner Bezirk Charlottenburg hervorstürmen, könnten mit ihren wilden
Bärten, den kantigen Gesichtern und dem Mix aus Uniformteilen und
Motto-T-Shirts wie „I love War“ gerade von einem Frontabschnitt des
Ukrainekriegs kommen.
Es mag sich auch um internationale Legionäre einer Dschihadisten- oder
Antidschihadistenmiliz – wer kann das überhaupt noch auseinanderhalten? –
handeln. Im Brecht’schen Original von „Mann ist Mann“, vor 99 Jahren
uraufgeführt, handelte es sich um die britische Armee.
Die war damals irgendwo zwischen indischem Punjab und Tibet zur
Aufstandsbekämpfung unterwegs und fiel dabei, so Bertolt Brecht, vor allem
durch Lust am Saufen und Plündern auf. Noch so ein Merkmal ist die
Aufwertung der eigenen Persönlichkeit durch die Uniform am Leibe und den
Platz in der Kohorte, den man, und nicht nur Mann, im militärischen System
so finden kann.
## Scheues Reh im Unterholz
In [1][Peter Atanassows] Inszenierung haben diese Rekruten ihr Feldlager im
Volkspark Jungfernheide aufgeschlagen. Der ist an dieser Stelle dicht
bewaldet. Manchmal knackt es im Unterholz, ein Hase vielleicht, ein nicht
ganz scheues Reh, Atanassow weiß auch von Wildschweinen, die in der Nähe
leben sollen. Und praktischerweise befinden sich im mittlerweile schön
zurückgeschnittenen Unterholz auch die Ränge der in den 1920er Jahren
angelegten, dann aber in Vergessenheit geratenen Naturbühne.
Auf ihr und im Waldstück ringsum rekonstruieren Atanassow und seine in der
Mehrzahl knasterfahrenen Darsteller die Geschichte des armen Lastenträgers
Galy Gay. Der wird nur deshalb zwangsrekrutiert, weil einer
Maschinengewehrbatterie beim Plündern einer indischen Pagode ein Mann
verloren ging. Der abendliche Appell aber verlangt Vollzähligkeit.
Moses, der nur mit seinem Vornamen genannt werden will, spielt diesen Galy
Gay mit einer Mischung aus großäugiger Naivität und dem unbezähmbaren
Willen, wenigstens einmal zu den Gewinnern des Lebens zu gehören. Also fügt
er sich in den stumpfen militärischen Drill und wird am Ende ein brav
Menschenleiber zerstückelnder Mustersoldat.
## Bertolt Brechts böse Tricks
Orchestriert wird die Verwandlung durch ein paar böse Tricks aus Brechts
Feder, vor allem aber durch die Verwendung sehr eingängigen Liedguts. Das
reicht vom 1936 erstmals von Heinz Rühmann intonierten Marschlied „Wozu ist
die Straße da“ über „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ von Schlagerstar
Christian Anders bis zum einst als Antikriegslied konzipierten
Pete-Seeger-Song „Sag mir, wo die Blumen sind“. Das allerdings wird hier,
weil von in die Schlacht ziehenden Soldaten gesungen, zum sentimentalen
Einverständnis zum Töten und Getötetwerden.
Die schrille Posse vom Zivilisten, der mit ein paar Kniffen in eine
mustergültige Tötungsmaschine mit Hang zum Kriegsverbrechen verwandelt
wird, passt dann auch verblüffend zum aktuellen Ertüchtigungs- und
Mobilmachungsdiskurs unter CDU-Kanzler Friedrich Merz und
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
Dass es sich bei den Darstellern vor allem um ehemalige Strafgefangene
handelt – teils sogar solche, die als Freigänger im offenen Vollzug
Erlaubnis zur Teilnahme am Projekt haben –, ist aufgrund der sowohl
historischen wie aktuellen Rekrutierungspraxis vieler Kriegsparteien in
Gefängnissen ein zusätzliches authentisches Moment dieses außergewöhnlichen
Theaterabends.
## Fulminante Schauspielkunst
Das Gefangenentheater aufBruch beweist mal wieder seine ganz besondere
Bedeutung im Berliner Theaterbetrieb. Die Technik des chorischen Sprechens
erreicht dank jahrelanger Praxis eine fulminante Qualität. Und aus den
einstigen Schauspiel-Laien entwickeln sich immer mehr Charakterdarsteller,
die auch die eine oder andere etabliertere Bühne zieren würden.
Positiv ist zudem, dass dank neuer Förderer die drastischen Kürzungen von
Zuwendungen durch den Berliner Justizsenat (von 202.000 runter auf 60.000
Euro!) zumindest so aufgefangen werden konnten, dass eine Weiterarbeit in
den Gefängnissen wie auch mit Entlassenen außerhalb der Gefängnismauern
möglich ist. Allerdings werden in Zukunft nur noch drei statt wie bisher
vier Produktionen pro Jahr realisiert werden können, sagte Co-Leiterin
Sibylle Arndt der taz.
Wie relevant die künstlerische Arbeit ist, zeigt sich schon daran, dass
viele Mitwirkende nach verbüßter Haft das Ensemble weiter als sozialen Ort
für sich begreifen. Ein Spieler, der tagsüber bei einer Umzugsfirma
arbeitet, kam nach Schichtende noch zu den Proben und nahm sich für die
Aufführungen Urlaub. Wahres Arbeitertheater also, wie es Brecht wohl auch
zum Jauchzen gebracht hätte.
3 Sep 2025
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## AUTOREN
DIR Tom Mustroph
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