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       # taz.de -- Ukrainischer Künstler Chichkan ist tot: Agitator für die Freiheit
       
       > Er malte in den Farben der Ukraine, des Feminismus und des Anarchismus:
       > Der ukrainische Künstler David Chichkan ist an der Front gestorben.
       
   IMG Bild: David Chichkan wurde 39 Jahre alt
       
       David Chichkan träumte von einer „sozialen Ukraine der Zukunft, die mit
       Freiheit und Gleichheit erfüllt ist“ – davon, dass „der russische
       Imperialismus zerschlagen wird und die dem Kreml unterjochten Völker ihre
       Unabhängigkeit erlangen“. Das schrieb er der taz im Frühjahr.
       
       Für diese Vision gab er sein Leben. Am 10. August erlag der Künstler und
       anarchistische Aktivist seinen Verletzungen, nachdem er am Vortag an der
       Front in der Region Saporischschja schwer verwundet worden war, wie der
       Verbund antiautoritärer Soldat:innen „Resistance Committee“ am
       Sonntagabend mitteilte. Chichkan, der als Granatwerferschütze im Einsatz
       war, wurde nur 39 Jahre alt. Er hinterlässt seine Partnerin und ihren
       gemeinsamen Sohn im Säuglingsalter.
       
       Chichkan ist einer von den zahlreichen ukrainischen Künstler:innen, die
       mittlerweile im Kampf gegen die russischen Invasoren gestorben sind, wie
       auch die Malerin Margarita Polovinko vor vier Monaten. Sie wurde nur 31
       Jahre alt. Das ukrainische Kulturministerium zählte zuletzt 219
       Kulturarbeiter:innen, die seit Beginn der Großinvasion als Soldat:innen
       oder Zivilist:innen umgekommen sind.
       
       ## Malereien, die warnen
       
       Der in Kyjiw geborene Chichkan entstammte einer Künstlerdynastie, trat aber
       stets bescheiden wie herzlich auf. Und er war sehr humorvoll. Mit seinen
       figürlichen Malereien im naiven Stil warnte er vor einer blinden Zerstörung
       einer ukrainischen Kultur, die derzeit als Reaktion auf den Krieg im
       [1][Namen einer Dekommunisierung stattfindet]. Lesia Ukrainka, Iwan Franko
       – das gesamte „ukrainische Pantheon der Kulturvertreter bestehe aus
       Sozialisten“, erwiderte Chichkan dazu auf seinen Bildern. Damit wollte er
       sich einerseits gegen das in seinem Land herrschende Vorurteil stellen, die
       ukrainischen Linken seien prorussisch. Andererseits wollte er „den
       Europäern und der ganzen Welt vermitteln, dass die ukrainischen Linken für
       die Ukraine sind, und damit die Propaganda des Kremls zerstören.“
       
       Viele fassten seine Kunst als Provokation auf. Seine Ausstellungen wurden
       mehrfach von Ultrarechten demoliert, zuletzt wurde seine Ausstellung in
       Odessa Anfang 2024 auf deren Druck hin abgesagt. Aber [2][Chichkan ließ
       sich nicht unterkriegen]. Ehe er sich vor einem Jahr freiwillig bei der
       Armee meldete, malte er Heldendarstellungen linker Soldat:innen. Über ihnen
       wehen bunte Bänder in den Farben der Ukraine, des freien Belarus, des
       Feminismus und des Anarchismus. Die Erlöse aus dem Verkauf dieser
       Tarnfleckaquarelle spendete er an die Armee. Er machte [3][auch Street
       Art,] widmete etwa der Romn:ja-Community im westukrainischen Uschhorod ein
       großes Wandbild.
       
       Seine Kunst verstand er als Agitation für eine unabhängige, ökologische,
       sozialistische, klassenlose – er verwendete noch viele weitere Attribute –
       Ukraine. Er kämpfte bis zuletzt „für eure und unsere Freiheit“, wie auf dem
       Patch an seiner Uniform stand.
       
       Ein Aquarell von Chichkan, das er vergangenen Sommer auf seinem
       Instagram-Account postete, zeigt Gesichter von Soldat:innen vor einem
       Camouflage-Hintergrund. Darunter steht: „Anti-Autoritäre, Anarchisten und
       eine Anarchistin, die starben, während sie die Ukraine vor den Horden der
       imperialen Faschisten verteidigten. Leider konnte ich nicht alle malen.
       Während ich die Porträts der einen malte, starben andere Antiautoritäre,
       und ein neues Bild wird mindestens doppelt so viele Menschen zeigen.
       Aquarell. Ewiges Gedenken den Helden und Heldinnen.“ Du bist einer von
       ihnen, David. Rest in Power.
       
       11 Aug 2025
       
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