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       # taz.de -- Queersensible Medizin: Wenn Patient*innen erst mal selbst aufklären müssen
       
       > Beim Ärzt*innenbesuch erleben queere Menschen regelmäßig
       > Diskriminierung. Die Plattform Queermed soll dabei helfen, die richtige
       > Praxis zu finden.
       
   IMG Bild: Ausbildung und Forschung orientierten sich an weißen, nicht-behinderten, cis-männlichen Körpern, sagt Samson Gryzbek von Queermed
       
       Für Daniela Schubert kostet jede Terminvereinbarung bei einer neuen Praxis
       Überwindung: „Ich muss mich innerlich darauf einstellen, zuerst selbst
       aufklären zu müssen, noch bevor ich überhaupt behandelt werde“, erzählt
       Schubert im Gespräch mit der taz. Denn bei Arztbesuchen erlebt Schubert, so
       wie viele queere Menschen, regelmäßig Diskriminierung.
       
       Schubert bat zum Beispiel vor einem Termin in einer Hausarztpraxis
       telefonisch darum, genderneutral angesprochen zu werden, musste sich im
       Behandlungsgespräch aber dafür rechtfertigen. Die Praxis habe zudem einen
       falschen Geschlechtseintrag hinterlegt, der nicht mit den
       Krankenkassendaten übereinstimmte. Und in vielen Praxen gebe es
       Anamnesebögen, in denen nur die Optionen „männlich“ oder „weiblich“ zur
       Auswahl stünden, meint Schubert.
       
       Selten oder nie eine kompetente medizinische Beratung zu erhalten, gaben
       mehr als 20 Prozent der Befragten in [1][einer Studie zu Lebenslagen
       queerer Menschen von 2024 an, durchgeführt im Auftrag der
       nordrhein-westfälischen Landesregierung]. Das Risiko, an Depressionen zu
       erkranken, ist [2][laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft
       von 2021] bei queeren Personen fast dreimal so hoch wie bei cis-hetero
       Menschen. Diskriminierung und Minderheitenstress können demnach ein
       Gesundheitsrisiko sein, insbesondere für psychische Erkrankungen.
       
       [3][Forscher*innen aus Stanford haben außerdem festgestellt,] dass
       Brustkrebs-Diagnosen bei queeren Personen im Durchschnitt später gestellt
       werden. Das kann negative Auswirkungen auf den Behandlungserfolg haben. Und
       auch bei Kinderwunschbehandlungen erhalten homosexuelle Paare oft weniger
       Unterstützung als heterosexuelle Paare. Die Behandlungskosten müssen sie
       häufig selbst tragen.
       
       Geschlechtsangleichende Behandlungen, die für trans* Menschen oftmals von
       zentraler Bedeutung sind, werden zudem nicht immer von den Krankenkassen
       bezahlt. Die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Operationen
       beispielsweise müssen Patient*innen zuerst beantragen, die Kassen
       entscheiden im Einzelfall, ob sie übernehmen. Aus Sorge vor anhaltender
       Diskriminierung meiden trans* Personen ohnehin besonders oft medizinische
       Behandlungen. [4][Denn bis 2018 wurden trans* Identitäten von der
       Weltgesundheitsorganisation noch als psychische Erkrankung klassifiziert.]
       
       ## Queeres Gesundheitswissen fehlt in der Ausbildung
       
       Auch bei ganz alltäglichen Kontrollterminen gibt es Diskriminierung und
       mangelnde Sensibilität. Etwa wenn queere Menschen mit den falschen Pronomen
       angesprochen werden, ihre Symptome verharmlost werden – oder ihre sexuelle
       oder geschlechtliche Identität pathologisiert wird.
       
       Viele Mediziner*innen arbeiten unter Zeitdruck und Personalmangel,
       eine individuelle und sensible Versorgung gibt es nicht überall. Manchmal
       fehlt es Ärzt*innen auch schlicht an Wissen, zum Beispiel über
       Hormonreferenzwerte, die bei der hormonellen Behandlung von trans* Personen
       wichtig sind. Entscheidend sei deshalb, die richtige Praxis zu finden, sagt
       Samson Gryzbek, Gründer*in der [5][Plattform Queermed]. Auf der Website
       werden Empfehlungen für rund 1.900 diskriminierungssensible
       Mediziner:innen und Psychotherapeut:innen gelistet. Auch
       Schubert nutzt inzwischen Queermed, um geeignete Praxen zu finden.
       
       Wer zusätzlich außerdem von Rassismus, Ableismus, Misogynie oder anderen
       Diskriminierungsformen betroffen ist, erlebe oft eine noch schlechtere
       Versorgung, sagt Grzybek. Ein Grund dafür sei, dass sich Ausbildung und
       Forschung immer noch meist an weißen, nicht-behinderten und cis-männlichen
       Körpern orientiere. Queeres Gesundheitswissen sei im Medizinstudium kaum
       verankert. Queermed bietet deshalb auch Workshops, Schulungen und einen
       Leitfaden für medizinisches Fachpersonal für einen sensibilisierten und
       diskriminierungsfreien Umgang mit Patient:innen.
       
       Auch einige [6][studentische Initiativen], wie zum Beispiel die
       Veranstaltungsreihe „Queere Medizin“ des AStA der Medizinischen Hochschule
       Hannover, setzen sich für eine bessere Ausbildung und Versorgung ein.
       Allerdings hängen solche Initiativen häufig von Einzelpersonen ab. Das
       Wissen ist nicht verpflichtend für medizinisches Fachpersonal. Dabei
       könnten diskriminierungssensible Ausbildung, Forschung und Praxis im
       Zweifel Leben retten, betont Grzybek – und sie seien entscheidend für
       gerechte, diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung.
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.lsvd.de/media/doc/14329/queer-durch-nrw-gesamtfassung_bf.pdf
   DIR [2] https://www.diw.de/de/diw_01.c.810358.de/publikationen/wochenberichte/2021_06_1/geringere_chancen_auf_ein_gesundes_leben_fuer__lgbtqi_-menschen.html
   DIR [3] https://jamanetwork.com/journals/jamaoncology/fullarticle/2800989
   DIR [4] /Bundesvereinigung-Trans-ueber-WHO/!5514747
   DIR [5] https://queermed-deutschland.de/
   DIR [6] https://www.mhh-asta.de/queere-medizin/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leyla Roos
       
       ## TAGS
       
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