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       # taz.de -- Roman „Heimat“ von Hannah Lühmann: Den Zeitgeist korrigieren
       
       > Hannah Lühmann hat einen Roman über konservative Hausfrauen, sogenannte
       > Tradwives, geschrieben. Warum sehnen sich junge Frauen nach Heim und
       > Herd?
       
   IMG Bild: Die Autorin und ehemalige Welt-Redakteurin Hannah Lühmann
       
       Sie zeigen sich, wie sie ihre Kinder unterrichten und sich um den Haushalt
       kümmern, wie sie beten, gärtnern, kochen und immerzu backen. Dazu schreiben
       sie Losungen, die von wörtlichen Bibelauslegungen bis hin zu radikal
       konservativer Ideologie reichen, in deren Zentrum aber fast immer eine
       Fundamentalkritik an der modernen Gesellschaft und dem Feminismus steht.
       
       Tradwives, also traditionelle Hausfrauen, sind Influencerinnen, denen nicht
       nur in den USA, sondern mittlerweile auch in Deutschland Tausende auf
       Instagram und Tiktok folgen. In kurzen Videos erzählen die jungen Mütter,
       dass sie sich gegen einen Job entschieden haben, um ihrer Familie und ihrem
       Mann „dienen“ zu können, wie sie es bezeichnen.
       
       Tradwives seien eine „Korrektur des Zeitgeistes“, schrieb Hannah Lühmann
       vor einiger Zeit in der Welt, wo sie als Kulturredakteurin auch einen
       Newsletter mit dem Namen „Kulturkampf To Go“ verantwortete. Auch Bücher hat
       Lühmann bereits veröffentlicht: [1][einen Roman,] ein „antifaschistisches
       Heft“ über neue alte rechte Denker und (gemeinsam mit Anne Wizorek) ein
       Debattenbuch zum Gendern, in dem sie die Kontraposition einnimmt.
       
       Nun also einen Roman über die Tradwives: „Heimat“. In einem Interview mit
       dem Verlag sagt Lühmann, sie habe selbst zwei Jahre lang Tradwife-Accounts
       „mit größter Faszination“ verfolgt, „wie da Brotboxen für Ehemänner gepackt
       und nebenbei Werte wie ‚Selbstbestimmung‘ und ‚Gleichberechtigung‘ in Frage
       gestellt und auseinandergenommen werden“.
       
       ## Vermeintliche Alternative
       
       Weil [2][der Feminismus] diese Werte falsch verstanden habe, so scheint
       Lühmanns Kritik anzusetzen, würden Frauen nicht weniger, sondern viel mehr
       Druck verspüren, alles gleichzeitig zu schaffen: Karrierefrau und Mutter,
       Familienmensch und selbstständiges Individuum zu sein. Ihr Roman will nun
       offenbar aufräumen mit der Faszination für die Tradwives und die
       vermeintliche Alternative, die sie anbieten.
       
       Die Geschichte handelt von Jana, einer jungen Mutter, die mit ihrem Mann
       und ihren zwei Kindern raus aus der Großstadt gezogen ist. Als ihre Chefin
       sich wenig begeistert von Janas dritter Schwangerschaft zeigt, kündigt sie
       kurzerhand und kümmert sich fortan um Haushalt und Kinder.
       
       Sie bespricht die Kündigung nicht mit ihrem Mann, setzt ihn vor vollendete
       Tatsachen, ihre Ehe beginnt zu kriseln. Dazu kommen Geldsorgen und die
       Einsamkeit im neuen Umfeld auf dem Land. Der Druck ist also groß, nicht
       zuletzt auch der soziale, sich am neuen Wohnort zu integrieren.
       
       Lühmann trifft sie gut, diese Mischung aus Ödnis und Repression der
       zubetonierten Kleinstadt, in der alle über alle reden, aber niemand jemals
       hinter seine Haustür blicken lässt. Dort wird selbst die banalste Situation
       zur Probe für die Protagonistin, etwa, als sie beim Bezahlen im Supermarkt
       nicht gleich die Bankkarte findet. „Früher hatte sie sich kaum darüber
       Gedanken gemacht, was die Leute über sie dachten. Aber in letzter Zeit
       fühlte sie sich ständig taxiert und bewertet. Als hätte sie ihren Platz
       hier unter Vortäuschung falscher Tatsachen bekommen.“
       
       ## Typische Trad-Codes
       
       Demgegenüber erhaben wirkt die Tradwife-Influencerin Karolin, die Jana in
       einem Café kennenlernt. Wer einmal einen Blick auf entsprechende Accounts
       geworfen hat, erkennt sofort die typischen Trad-Codes: Das hochgeschlossene
       Kleid mit blauen Applikationen, der Jeep und dann die notorische
       Barbour-Jacke, die genauso wenig fehlen darf wie der Kaiser unter den
       Vornamen ihrer Kinder. Trotzdem gelingt es Lühmann, Karolin frisch und
       authentisch darzustellen, sie wirkt interessant in der sonst eher
       eintönigen Erzählwelt.
       
       Für Jana wird sie von Beginn an zum Referenzrahmen, zum Beispiel als sie
       ihren Sohn in der Schlange im Supermarkt anschreit: „Die ältere Dame hinter
       ihr zog die Augenbrauen hoch und schüttelte verständnislos den Kopf. Auch
       Jana war nun den Tränen nah. Kannte Karolin solche Momente? Verlor sie
       jemals die Ruhe? Jana dachte an ihren aufrechten Gang, sie konnte es sich
       nicht vorstellen.“
       
       Die Protagonistin wird abhängig, sowohl von Karolins Instagramvideos als
       auch von ihrer realen Gunst. Ihr gesamtes soziales Umfeld im Ort orientiert
       sich an ihr, bei der so vieles vermeintlich natürlicher, sogar befreiter
       wirkt.
       
       Dabei ist Karolins eigenes Leben streng patriarchal organisiert,
       hierarchisch auf ihren womöglich gewalttätigen Ehemann an der Spitze
       zulaufend. Das offenbart sich aber erst in der zweiten Hälfte, als der
       Roman mit Janas bevorstehender Geburt plötzlich Fahrt aufnimmt, ihre Ehe
       zerbricht, sie ihre Familie verlässt und sich freiwillig Karolins Mann
       unterwirft.
       
       ## Alltag einer überforderten Mutter
       
       Das mormonische Gruselende ist es dann, was einen wieder daran erinnert,
       dass das Buch in erster Linie von Tradwives handelt. Vorher liest es sich
       wie eine recht detaillierte Beschreibung des Alltags einer überforderten
       Mutter, in der die Schnipsel aus Karolins Leben eine willkommene kleine
       Weltflucht darstellen.
       
       Dabei scheint vor allem die wahnsinnige Skepsis durch, die ihr als Mutter
       von allen Seiten entgegenschlägt: Sei es die ältere Dame in der
       Kassenschlange oder ihre eigene Hippie-Mutter, die Janas Lebensstil nicht
       nachvollziehen kann; sei es ihr distanzierter Ehemann Noah, dem als Ausweg
       nur ein Umzug nach Neuseeland einfällt.
       
       Eigentlich kann sie es niemandem recht machen, so scheint es. Die Mahnung
       Lühmanns stellt sich hier als Kritik an der Gesellschaft und ihrem
       Frauenbild heraus. Fast möchte man fragen, ob es denn überhaupt verwerflich
       wäre, bei all dem Druck von einer heimeligen Welt zu träumen, in der alles
       stressfreier zu sein verspricht, glaubt man nur den einfachen Wahrheiten
       der Ideologie.
       
       Ein ähnlich fataler Kurzschluss findet sich beim Lesen auch in einem
       Seitenstrang der Handlung. Lühmann erzählt von einem Anschlag auf ein
       Familienfest in der Region, bei dem ein Autofahrer in die Menschenmenge
       rast und mehrere Menschen tötet, darunter Kinder. Die Protagonistin bemerkt
       zwar anfangs noch den „schärfer gewordenen“ Ton in der sofort einsetzenden
       rassistischen Debatte darüber. Trotzdem lässt sie sich von irrationaler
       Angst um ihre eigenen Kinder übermannen und beteiligt sich später an einer
       Gedenkaktion, die die AfD offen für sich instrumentalisiert.
       
       ## Es läuft auf eine Polemik hinaus
       
       Wie Jana tatsächlich denkt, ob sie zweifelt oder was sie sich erhofft, das
       erfährt man nicht. Stattdessen reihen sich Feststellungen aneinander: dass
       ein Kind schreit oder die Straße vor dem Haus anders aussieht, dass ihr
       Leben sich auf den Kopf gestellt hat und dass sie „das Gefühl hatte,
       bereits in einer Art Kriegszustand zu leben“, das alles wird in kurzen,
       einfachen Hauptsätzen abgehandelt.
       
       Beschreibung, Gefühl und Urteil sind in Lühmanns Erzählung deshalb häufig
       schwer voneinander zu trennen. Und so läuft auch ihre Kritik an der
       Lebenssituation von jungen Müttern letztlich auf eine Polemik hinaus, die
       besagt: So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Tradwife zu werden, ist nur
       einer, vielleicht sogar einer der weniger gefährlichen Schlüsse, die daraus
       gezogen werden könnten.
       
       30 Aug 2025
       
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