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       # taz.de -- Berliner Frauen-Rap: „Sei laut und lass dir nichts gefallen“
       
       > Ihre Musik trifft den Nerv der GenerationZ, irgendwo zwischen Flucht vor
       > Polykrisen und dem Bedürfnis, laut zu sein: Das Berliner Duo
       > 6euroneunzig.
       
   IMG Bild: Das Duo 6euroneunzig nutzt die Lücke von „Vocals mit Party-Mucke von einer Bad-Bitch-FLINTA-Artist“
       
       Ein karibischer Strand, auf eine Fototapete gedruckt, in der Nähe der
       Admiralbrücke in Kreuzberg. Zwei Frauen in Liegestühlen davor, ein Getränk
       in der Hand, zwei Männer wedeln ihnen mit Plastikblättern Luft zu. Das
       Musikvideo zu „Slutalarm“ des Rapduos 6euroneunzig sieht aus wie Ballermann
       in der Berlin-Version und klingt auch so. Auf tanzbare, simpel gehaltene
       Techno-Beats rappen Nina und Kat selbstironische, sexuell aufgeladene Texte
       wie „Schreibe dir nicht mehr zurück, ich knall lieber dein’n Nachbarn“ und
       „Willst ’n Date? Guter Witz, ich geh nicht ins Kino, Bitch/ Achtung,
       Achtung, Slut-Alarm.“
       
       Während Songs des Duos von 2024 sich mit dem Rechtsruck (Halz Maul) oder
       der Klimakrise (Sommer, Strand, Meer) befassen, ist die neue EP Slutalarm
       vor allem geprägt vom Gefühl, frei zu sein. Manche nennen das vulgär,
       andere oberflächlich. Kat und Nina nennen es „in-die-Fresse-Musik, die eine
       Message vermittelt und trotzdem tanzbar ist“. Inspiriert sind sie von
       Artists wie Partiboi69 oder MCR-T. „Ich war mir sicher, dass es
       funktionieren wird, weil es eine Lücke gab: Vocals mit Party-Mucke von
       einer Bad-Bitch-FLINTA-Artist“, so Kat.
       
       Seit 2023 sind sie gemeinsam als 6euroneunzig unterwegs. Betitelt nach dem
       Preis einer 6,90-Euro-Margherita in der Happy Hour. Schnell folgten erste
       Hits, kurz darauf Shows, sie gingen viral auf Sozialen Medien. Nicht nur
       ihr Sound, auch ihre Ästhetik ist geprägt von Berlin: Fake-Fell, moderne
       Tribal-Tattoos, kurze Röcke und Achselhaare. „Es wäre gar nicht zu
       6euroneunzig gekommen, wenn wir nicht in Berlin wohnen würden“, erzählt
       Nina. Die Menschen, die ihren Sound prägen würden, seien hier.
       
       Im Juni kam ihre erste EP: „Slutalarm“. Zwischen Beats und lasziven Lines
       versteckt sich vor allem eines: Weibliche Selbstermächtigung. „Nicht jeder
       Song muss politisch sein. Ideal ist es, wenn man unsere Werte und
       Einstellungen durch hören kann, aber manchmal darf Musik halt auch einfach
       Spaß machen“, erzählt Kat. Sexuelles Empowerment sei für sie jedoch
       politisch: Die Slut oder die Bitch als stolze Eigenzuschreibung und das
       Beschreiben, oft in unserer Gesellschaft mit Scham behafteter, weiblicher
       Lust. Oder wie Kat es sagt: „Ich werde von Männern sowieso sexualisiert und
       als Schlampe, Hure, Fotze bezeichnet. Wenn ich mir das zu eigen mache, tut
       es nicht mehr weh.“
       
       ## Absurdität der Geschlechterrollen
       
       6euroneunzig sind nicht die einzigen, die mit diesen Stilmittel spielen.
       Viele FLINTA-Artists wollen so den Male Gaze bewusst aufbrechen.
       Deutschrap, das bedeutete bis vor wenigen Jahren vor allem breitgebaute
       Straßenrapper, die das Klischee von Härte, Kriminalität und hegemonialer
       Maskulinität durch sexistische und homofeindliche Sprache aufrecht
       erhielten. „Wir wollen die Absurdität aufzeigen, die teilweise noch in den
       vorhandenen Geschlechterrollen herrscht“, so Kat.
       
       Mit dem Übertreiben von gesellschaftlich als problematisch angesehenem
       Exzess und Hypersexualisierung wollen sie ihre Stimme erheben. Natürlich
       würden auch sie nicht immer Party machen. Es seien überspitzte
       Kunstfiguren.
       
       6euroneunzig rappen auf „Auto“: „Ja, du machst, was du willst, siehst alle
       Frau'n so wie Till/ „Sie wollt es auch“, Dicka, heut ist nicht der erste
       April.“ Und „In Nackt für dich“ heißt es: „Ich bin nackt für dich,
       angezogen oder nicht.“ Ihre Message, so sagen sie: „Sei laut und lass dir
       nichts gefallen“.
       
       Im Deutschrap gibt es viele Geschichten über Frauen, aber nur wenige von
       ihnen selbst. [1][]Jetzt rappen sie über ihre sexuellen Erfahrungen und das
       bedeutet leider auch: Übergriffigkeit. „Das ist, glaube ich, nicht nur ein
       Antrieb, das ist halt leider die Realität und jetzt drehen wir das Ganze
       um.“ Sie wehren sich und reihen sich ein in die Geschichte weiblicher
       Rapperinnen, allen voran das [2][Duo SXTN, das sich bereits in den 2010er
       Jahren als „Fotzen“] bezeichnete. Auch Nina und Kat seien stark geprägt von
       SXTN, für Nina war es die Möglichkeit „diese Art von Auf-Die-Fresse-Rap zu
       feiern, ohne sich selbst durch die Unterstützung frauenfeindlicher Lyrics
       zu verraten.“ Ihre Fans vergleichen die beiden häufig mit dem bekannten
       Duo.
       
       ## Jugend ausleben
       
       Die Musik ist ein Spiegel einer Generation, die irgendwo zwischen
       Zukunftssorgen, Polykrisen und Nachrichtenflucht erwachsen wird und
       zeitgleich ihre Jugend ausleben, ausbrechen und frei sein will. „Und
       deswegen braucht es die Musik mehr denn je“, so Nina. Die junge Generation
       sei dabei Gesellschaftstereotype zu verändern.
       
       Doch diese befreite Art gefällt längst nicht jedem. Erst vor kurzem habe
       eine Person Nina nach einem Auftritt angesprochen, sie sei verstört
       gewesen, dass dies ja keine Weiblichkeit sei, die sie in ihren Songs
       porträtieren würden. Andere sagen, es sei nur Clickbait. Kat und Nina regt
       das auf. „Es muss nicht jeder unsere Musik feiern, aber bei Frauen sagen
       viel mehr Menschen, dass sie es scheiße fänden und dass man es anders
       machen sollte“. Schließlich würde niemand Filow oder Ski Aggu so zur
       Rechenschaft ziehen.
       
       6euroneunzig polarisieren, auch auf sozialen Medien. Songs wie „Zur Party“,
       der ein ikonisches Internet-Meme aufgreift, gingen viral. Aber auch der
       Song „Tittentraining“ als Angriff auf Schönheitsnormen, inspiriert durch
       Shirin Davids „bauch beine po“, zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Auf einem
       harten Beat rappen Kat und Nina: „Was für Bauch, Beine, Po, ich trainiere
       meine Titten“ und „Fick die Insta-Filter-Fressen“.
       
       Immer wieder werden ihre Instagram und Tiktok Accounts überflutet mit
       Kommentaren, die meisten negativ. Von AfD-Anhänger-Symbolen wie blauen
       Herzen, über noch harmlose Beleidigungen wie „SXTN auf Temu bestellt“ bis
       hin zu echten Drohungen.
       
       Und Nina und Kat? Distanzieren sich, wollen es gar nicht erst lesen,
       versuchen es positiv zu sehen: „Am Ende bringt uns der Hate halt
       Reichweite. Und alle FLINTA-Artists, die ich sehe, kriegen Hate. Wenn ich
       also sowieso gehatet werde, ist es egal was ich tue. Das ist irgendwie auch
       eine Freiheit“, so Kat.
       
       Sie polarisieren, weil sie die vielen Grenzüberschreitungen, die sie im
       patriarchalen System erleiden mussten, nicht hinnehmen, sondern laut sind
       und die Scham, die mit weiblicher Wut oft verbunden ist, überwinden und
       überspitzt über diese Klischees rappen. Sie nehmen sich den Raum, der ihnen
       zusteht. „Hinter dem Label der Bitch versteckt sich die Angst des
       Patriarchats vor weiblicher Gegenwehr“, schreibt Sophia Fritz in ihrem Buch
       „Toxische Weiblichkeit“. Das Wort beinhalte eine Abwertung von Frauen die
       sich gegen männliche Dominanz stellen, sowie eine bedrohliche weibliche
       Sexualität.
       
       6euroneunzig bezeichnen sich selbst als „2 Bitches auf dem Weg zur Party“.
       Ihr Entgegenstellen mag weniger eloquent sein als das von Sophia Fritz und
       Partymusik wird das Patriarchat nicht beenden, aber 6euroneunzig schaffen
       eine Eskapismus-Utopie für GenZ FLINTAs, um so ein bisschen Widerstand
       gegen heteronormative Dominanz zu fühlen.
       
       1 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Merle Zils
       
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