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       # taz.de -- Zwischen Avantgarde und Dancefloor: Es fehlte zum Genießen nur das heimische Sofa
       
       > Entdeckungsreisen durch Nebelschwaden: Das Festival Berlin Atonal ist ein
       > schwer greifbares Kulturmonstrum. Fünf Tage mit Sound, Club und mehr.
       
   IMG Bild: Verwunschen wirkte der in Schwarzlicht getauchte Garten des Dänen Kristoffer Akselbo, der hin und wieder seine Pflanzen wässerte
       
       Versucht man, das Festival Berlin Atonal in wenigen Worten zu erklären,
       findet sich die Charakteristik vielleicht im Mangel eigener treffender
       Begriffe; es fühlt sich stets wie ein unvollständiges Umreißen dieses
       schwer greifbaren Kulturmonstrums an. Tonflächen auf reichlich Fläche,
       Elektronische Musik verschiedenster Coleur und aus unterschiedlichen
       Jahrzehnten, sich irgendwie analog gestaltende Musik mit „echten“
       Instrumenten, gar nicht so musikalische Musik und mehr Ton, gar kein Ton.
       Dazu kommen Gemälde und Performances, Mitmachkunst und Videospiel,
       Videoinstallationen und Nebel noch und nöcher.
       
       Das klingt allzu, Achtung kulturjournalistisches Unwort, eklektisch.
       Vielleicht beschreibt auch die sehr bewegte Geschichte des Festivals
       selbiges am besten: 1982 ersonnen vom [1][Tresor-Gründer Dimitri Hegemann],
       1990 eingestellt, weil er sich gänzlich dem Club- und Labelbetrieb widmete,
       2013 von den beiden Australiern Laurens von Oswald und Harry Glass durch
       Hegemanns Initiative wiederbelebt, 2020 pandemisch niedergestreckt, 2021 in
       einen Megakunstparcours verwandelt, [2][2023 dann mit gleich elf Tagen]
       wiederbelebt, im Jahr darauf [3][in dreitägiger Miniatur], weil nur noch
       bi-jährlich und nun, 2025, wieder in fünftägiger Vollversion.
       
       In diesen fünf Tagen tummelten sich nun zahlreiche Geneigte bis Ahnungslose
       auf dem Veranstaltungsgelände vom Kraftwerk, Ohm und Tresor und kamen in
       den Genuss von dem Brutalismus umgenutzter Industriearchitektur und von
       Soundspuren, die mal mehr, mal minder harmonisch daherkamen.
       
       Das Selbsterklärendste war dabei noch die in Festival- und Bahnhofssprache
       Food Court genannte Reihe an kulinarischen Angeboten, die von
       nordamerikanischer Pfannenpizza über unvermeidliche Burger zu indonesischen
       Samosas auf an zwei Händen abzählbaren Ständen doch reichlich boten.
       
       ## Regen oder Stehparty
       
       Weniger bot sich Gelegenheit zum Verzehr im Sitzen. Der teilweise zum
       begrünten Veranstaltungsvorhof gewordene Parkplatz glich, wenn er nicht wie
       in den ersten beiden Tagen und Nächten vom Regen leergefegt war, einer rege
       besuchten Stehparty.
       
       In den gleichermaßen verschachtelten wie offenen Räumlichkeiten des
       ehemaligen Kraftwerks verlor sich die Masse etwas auf zahlreichen Ebenen
       und Flächen; im obersten Stockwerk die stets gut gefüllte Main Stage.
       Darunter, daneben und dazwischen bot die neu erdachte third surface
       Performancekunst, Video-, Videospiel und Soundinstallationen, Fotografie
       und Malerei, politische Ebene und vereinzelt ebenfalls Konzerte und
       Livesets.
       
       Tresor, Globus und Ohm versprachen mit DJ-Sets indes rhythmischen
       Eskapismus für das Partyvolk, dem das Festival bisweilen zu atonal wurde
       (oder das schlichtweg dachte, einer gewöhnlichen Nacht im Tresor
       beizuwohnen). Abseits des Tresors, in dessen vernebelten Katakomben
       markentreu Techno gespielt wurde, galt auch bei den Clubelementen das
       Mantra, sich nicht von Erwartungen leiten zu lassen: Im Ohm ersetzten
       zeitweise Air Horns den Übergang zwischen Afrobeats mit reichlich Bässen
       und von Autotune verzerrten Hooklines.
       
       Parallel versetzten die Berliner Techno-Legende DJ Pete und
       Drum’n’Bass-Elder Calibre den Globus kurzerhand mit einem Jump-Up-Set
       zurück in die Jahrtausendwende, wieder gefolgt von einem erratischen Set
       zwischen Bass Music und Broken Beats von Marylou.
       
       ## Durch die Genres wildern
       
       Das Dazwischen, die third surface, lockte zu Entdeckungsreisen in den
       Winkeln der riesigen Haupthalle, die täglich mit fortschreitender Stunde in
       beeindruckenden Mengen Nebelfluid versank, in dessen Schwaden sich die mit
       Bedacht gesetzten Lichtquellen umso schöner brachen. Umso verwunschener
       wirkte der in Schwarzlicht getauchte Garten des Dänen Kristoffer Akselbo,
       der hin und wieder seine Holzhütte verließ und seine Pflanzen liebevoll
       wässerte.
       
       Die Bühne nebenan beherbergte als Hightlight unter anderem Djrum, dessen
       improvisiertes Liveset zeigte, wie aufreibend auch Ambient sein kann, wenn
       sich ein durch Genres wilderndes Sampling-Genie ihm annimmt. Das weitaus
       treibendere Äquivalent lieferte er tags darauf mit einer zweiten
       Performance im Globus. Auch der zuvor bereits erwähnte Calibre spielte
       irritierenderweise gleich zweimal.
       
       Die Werke des Norwegers Steinar Haga Kristensen leiteten unmerklich durch
       das Gebäude, zentral aufgebaut mit einem freskoartig bemalten Raum im Raum,
       in dem immerhin zwei Bänke zum Videospiel mit seinen bunten
       schlafparalysedämonenhaften Figuren luden; neben der Hauptbühne luden
       starre, unter Bässen erzitternde Holzplateaus zum Niederlegen und
       Betrachten seiner Deckenmalerei in Kirchenschifflänge. Verweildauer bot
       auch der imposante Anblick nicht, zu unbequem die Härte der Plateaus, nur
       übertroffen von den metallenen Tribünen, die die Main Stage einrahmten.
       
       Eigentlich fatal, luden doch weltentrückte Sphären wie die Klänge der
       Französin Malibu umso mehr dazu ein, sich zu optimalem Hörgenuss
       niederzulassen. Den inneren Wunsch, die Bühne samt perfekt ausgesteuerter
       Anlage mit zum heimischen Sofa zu nehmen, brach vor allem die Performance
       von Bendik Giske und Sam Barker auf, deren metronomfreie Trance aus Synth-
       und Saxofonloops in gebührende Extase und die Frage mündete, was nach deren
       Eröffnungskonzert eigentlich noch kommen soll.
       
       Mit der überdimensionierten Warnleuchten-Installation mahnt [4][die
       polnische Künstlerin Joanna Rajkowska] zwar ähnlich den zunehmend
       irreversiblen Verfall der Welt an, es ließe sich aber auch als Warnung an
       allzu kritische Stimmen verstehen, sich mit dem Programm zu versöhnen,
       anstatt ein Festival inmitten von Stahl und Beton in eine Listening Bar mit
       Ohrensesseln verwandeln zu wollen.
       
       2 Sep 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ben Robin König
       
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