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       # taz.de -- Nachruf auf Hans Stimmann: Der die Stadt plante
       
       > Er hat Berlin nach der Wende geprägt wie kein anderer. Aber kaum einer
       > war auch so umstritten. Hans Stimmann ist im Alter von 84 Jahren
       > gestorben.
       
   IMG Bild: Hans Stimmann wusste, wo er hinwollte
       
       Eines kann man mit Sicherheit sagen, ohne dem am vergangenen Freitag im
       Alter von 84 Jahren verstorbenen Hans Stimmann zu nahe zu treten: Er war
       der mit Abstand umstrittenste Berliner Senatsbaudirektor und Stadtplaner.
       
       Stimmann war aber auch der international einflussreichste Planer seit den
       Zeiten des Stadtbaurats Martin Wagners, der in den 1920er Jahren den Bau
       der „Berliner Moderne“ organisierte. Seine Bücher sind heute Lehrmaterial,
       seine Entscheidungen zum Zusammenflicken der durch die Mauer und den
       Autowahn geteilten Berliner Innenstadt längst Normalpolitik.
       
       Der Mann hatte Charisma mitsamt kernig-weißem Schnauzbart à la Albert
       Schweitzer, knarriger Stimme, ruppigem Ton, auch mal ausfallend und
       sicherlich wenig bemüht um irgendwelche Art von sprachlich-politischer
       Korrektheit. Dabei konnte Stimmann privat sensibel und nahbar sein. Sein
       öffentliches Bild aber war das des Raubauz in der Senatsbauverwaltung.
       
       Stimmann sagte sehr offen, was er meinte – gerade auch den in den 1990ern
       gefeierten „Stars“ des internationalen „Architekturzirkus“. Jede Planung
       müsse auf den Ort abgestimmt sein. Nur nicht noch mehr von Daniel
       Libeskinds weltweit verkauften Zick-Zack-Projekten, Wellenbauten à la Zaha
       Hadid, nicht noch ein Panorama wie in Frankfurt oder technoide Türme von
       Rem Koolhaas.
       
       Als Koolhaas mit der Bemerkung, Berlin sei provinziell, 1991 aus der
       Jurysitzung für den Wettbewerb um die Neugestaltung des Potsdamer Platzes
       stürmte, sah Stimmann das als Bestätigung seiner Position: Die Stars
       interessieren sich nur für das Setzen von Marken. Die Stadt aber müsse ihr
       eigenes Gesicht, ihren Charakter wahren, gewachsen aus der Geschichte.
       
       ## Er hatte viele Gegner
       
       Seine Gegner warfen ihm alles Mögliche vor: Er sei Diener kapitalistischer
       Investoren, sozialistischer Planungsdiktator, deutschnationaler Teutonist,
       visionsloser Bürokrat, Feind des Erbes der DDR und generell der
       Nachkriegsmoderne, Gegner des ökologischen Stadtumbaus.
       
       Dabei wurde zu Stimmanns Zeiten – mit Ausnahme des Palastes der Republik
       und des Ahornblatts – vor allem einmal das Westberliner Architekturerbe der
       Nachkriegszeit abgerissen, bis hin zum quer über die Kantstraße gespannten
       Schimmelpfeng-Hauses.
       
       Der Verlust des Palastgerüsts dagegen war eine Entscheidung des Bundes, der
       des Ahornblatts eine Folge der Bezirkspolitik. Aber an Stimmann, dem
       Verehrer der gründerzeitlichen, dichten, sozial gemischten Stadt, blieb der
       Ruch der Modernefeindlichkeit hängen.
       
       Er schmähte lustvoll die Hochhäuser auf der Fischerinsel oder die
       Gropiusstadt in Marzahn als „danebengegangene Siedlung“. Gleichzeitig
       lenkte er atemberaubend viel Geld in die Großsiedlungen vor allem
       Ostberlins, aber auch nach Buckow und ins Märkische Viertel, um sie zu
       sanieren und neu zu gestalten.
       
       Die Lehren des ökologischen Stadtumbaus hin zu einer verkehrsarmen und
       grünen Innenstadt, die in den 1980ern voll entwickelt waren und uns manches
       heutige Problem erspart hätten, verwarf er kurzsichtig. Nicht, weil
       Stimmann Ökologie und Nachhaltigkeit als überflüssig betrachtete. Er wollte
       aber erst die Stadt bauen, die dann angepasst werden kann. So wie er auch
       fest daran glaubte, dass Häuser umgenutzt werden können – also die immer
       wieder gestellte Frage, wie flexibel denn die von ihm genehmigten vielen
       Bürobauten seien.
       
       Was auch vergessen ist: Stimmann setzte das damals sensationelle
       Wettbewerbswesen Berlins durch. Mit vielen „Werkstätten“ und
       Veranstaltungen, Vorträgen, Interviews, Büchern kämpfte er für eine
       Veröffentlichung des Planungsgeschehens, die den alten Westberliner Filz
       aus Bauwirtschaft und Politik zur Weißglut brachte. Wer heutige
       Planungsveranstaltungen erlebt, in der Fachleute unter sich debattieren,
       kann nur sentimental an die 1990er denken.
       
       ## Ein stolzer Lübecker
       
       Stimmann war stolzer Lübecker, Arbeiterkind, lernte Maurer, studierte
       Architektur an der Fachhochschule, dann um 1970 an der TU Berlin. Die
       marxistischen Klassiker gehörten damals dazu. Aber vor allem wurde er
       geprägt vom Kampf gegen den modernistischen Abriss der Gründerzeitviertel,
       den Autowahn, der Bürgerinitiative Westtangente, dem Aufstieg der
       Alternativen Liste. Man könnte hinzufügen: von den Wohnungsbaureformen der
       Niederlande und Skandinaviens, den Bürgerbewegungen überhaupt.
       
       Und die Erinnerung an das altlübisch-bürgerliche Erbe. 1986 wurde er in der
       Hansestadt Baustadtrat und begann mit der Wiedergewinnung der Altstadt als
       bürgerlichem Wohnort. Der radikale Abbruch und Umbau des
       „Gründungsviertels“ an der Marienkirche in den vergangenen Jahren begann in
       Stimmanns Zeit. Stadtplanung ist ein Geschäft mit langem Zeithorizont.
       
       Sein größter Erfolg aber war sicherlich die Stutzung der
       Investorenmachtansprüche in Berlin, mitten in einer Zeit, in der der
       Neoliberalismus sich als allmächtig ansah. Und das gelang ihm sofort nach
       Amtsantritt 1991.
       
       Daimler-Benz und Sony hatten 1990 gegen massive Proteste vom Senat den
       Zuschlag für die Grundstücke zwischen Potsdamer Platz und Kulturforum
       erhalten. 1991 legten die Investoren ohne jede Absprache ein Hochhaus- und
       Shoppingmall-reiches Gesamtbebauungskonzept von Richard Rogers vor. Der
       galt als einer der britischen „High Tech“-Architekten, als kapitalistische
       Speerspitze gegen die Herausforderung der Modernisten durch die
       Postmoderne.
       
       Stimmann setzte dagegen auf die Stadt als einzig demokratisch legitimierten
       Planer. Und er hatte außergewöhnliche Machtmittel: Die Investoren standen
       Schlange vor seinem Büro, getrieben von hohen Bauzinsen. Stimmann konnte
       über den damals noch großen Bestand an Grundstücken im Eigentum der
       öffentlichen Hand Druck ausüben.
       
       Und er hatte die Verwaltungshoheit: Wenn die Investoren taten, was er sich
       vorstellte – Häuser an der Straße und um den Block herum, 22 Meter hoch
       plus zwei Staffelgeschosse maximal, Fassaden aus Putz oder Naturstein mit
       Fenstern statt Glaswänden – dann wurden die Anträge schnell bearbeitet.
       
       Feuilletons, lokale Medien Berlins, auch viele Fachleute (auch viele
       Studierende wie der Autor dieser Zeilen) waren fasziniert von Rogers
       Entwurf und dem millionenteuren Modell. Da wusste doch jemand, was er
       wollte. Vielleicht wäre der Rogers-Plan, der die Mischung von Wohnen,
       Büros, Gewerbe und Shopping versprach, bei einer Verbindung mit einer
       kleinteiligen Grundstücksgliederung sogar der bessere, flexiblere, offenere
       für Berlin gewesen.
       
       Aber das war nicht die Frage. Es ging darum, wer die Planungsmacht in einer
       Demokratie hat. Doch, einen wie Stimmann könnte Berlin auch heute durchaus
       brauchen. Und sei es nur, damit wir mit ihm oder ihr streiten könnten, das
       die Fetzen fliegen.
       
       2 Sep 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nikolaus Bernau
       
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