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       # taz.de -- Verfahren gegen Klimaaktivismus: Protest ist doch wieder legal
       
       > Lange verfolgte die Staatsanwaltschaft Verden Aktivist*innen, die sich
       > von einer Autobahnbrücke abgeseilt hatten. Nun ist sie zur Einsicht
       > gekommen.
       
   IMG Bild: Kehret um! Autobahnen sind der falsche Weg! Die Verkehrswende-Demo in Bremen 2021 blieb ungestraft. Die umzu jetzt auch
       
       Bremen taz | Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Verden doch ein Einsehen:
       Vorm Amtsgericht Achim hatte sie vergangenes Jahr noch mit Ach und Krach
       einen stark abgespeckten, wackeligen Schuldspruch erwirkt. Den Glauben
       daran, dass die Verurteilung der Anti-Autobahn-Aktivist*innen zu einer
       Geldstrafe für eine Abseilaktion vorm Landgericht Verden hätte Bestand
       haben können, hat sie dann aber doch auch selbst verloren.
       
       Sie hat kurz vor der Berufungsverhandlung doch schnell die Einstellung
       beantragt, und zwar nach Paragraf 154 der Strafprozessordnung.
       
       Das bedeutet: ohne Strafbefehl und so ziemlich ohne Auflagen. Genau
       genommen haben die nun entlasteten Angeklagten nur versprechen müssen,
       keinen Schadenersatz für die weggenommenen Demo-Utensilien zu beantragen,
       ein paar Papierzettel und ein Seilstück. „Darauf haben wir verzichtet“,
       sagt Ruben, der zur Aktivist*innen-Gruppe gehört, der taz.
       
       Das sei aber auch das einzige Zugeständnis gewesen, das sie der
       Strafverfolgungsbehörde habe machen müssen. Vermutlich seien die Asservate
       in ihrer Obhut abhanden gekommen, versehentlich zerstört oder stark
       ramponiert worden. Die Staatsanwaltschaft selbst sieht sich nicht in der
       Lage, auf die Fragen der taz zum Vorgang zu antworten. Noch nicht einmal,
       ob sie sich für dieses Entgegenkommen bedankt hat, konnte sie in der Kürze
       der Zeit ermitteln.
       
       ## Grundrecht aus Versammlungsfreiheit
       
       Dieses Unvermögen kann vielleicht als symptomatisch für das gesamte
       Verfahren gelten. Mindestens wirft es ein Schlaglicht auf die Unsicherheit
       der Justizbehörden und der Gerichte des ländlichen Raums im Umgang mit dem
       Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn das Verfahren richtete sich gegen
       eine der Autobahn-Abseilaktionen im zeitlich-räumlichen Umfeld der
       Verkehrsminister*innenkonferenz am 15. April 2021. Die fand in
       Bremen statt.
       
       Die Teilnehmer*innen an gleich gelagerten Demonstrationen – unter
       anderem war auf einer Autobahn-Schilderbrücke temporär ein Abbiegezeichen
       mit Ziel Verkehrswende aufgebracht worden – waren in Bremen letztlich
       unbehelligt geblieben.
       
       Die Staatsanwaltschaft hatte dort Nötigung vermutet, aber sowohl Amts- als
       auch Landgericht hatten nach kurzer Prüfung die Klage für unzulässig
       erkannt. Das Bremer Kreuz jedoch liegt auf niedersächsischem Terrain und im
       Gerichtsbezirk Achim.
       
       Dort schwelte das Verfahren jahrelang, und die Zeit nutzte die
       Staatsanwaltschaft Verden offenbar nur – die Frage, welche Beweismittel
       genutzt wurden, ließ die Sprecherin der Staatsanwaltschaft unbeantwortet –,
       um sich möglichst drastische Vorwürfe auszudenken. „Es geht immer auch um
       Einschüchterung“, so Aktivist Ruben. „Aber wir haben uns halt nicht
       einschüchtern lassen.“
       
       ## Staatsanwaltschaft reagiert nicht
       
       Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft Verden im Akt, über der A 27
       Protestbanner aufzuhängen, sogar eine besonders schwere Nötigung gemeint
       erkennen zu können nach Paragraf 240, Absatz 4 des Strafgesetzbuchs. Das
       hat diesen speziellen Vorwurf allerdings für Fälle reserviert, [1][in denen
       entweder eine Frau zur Abtreibung gezwungen wird oder aber ein Amtsträger
       wie ein Staatsanwalt oder ein Polizist seine verliehene Macht missbraucht,
       um etwas zu erpressen].
       
       Zwar hatten die Unions-Fraktionen im Januar 2023 angeregt, den
       Anwendungsbereich zu erweitern – namentlich auf Straßenblockaden. Aber auch
       [2][dieser gescheiterte Versuch anderthalb Jahre nach den Achimer
       Ereignissen] belegt: Selbst Befürworter*innen härterer Strafen für
       Klimaproteste und Autobahn-Abseilaktionen hielten es für nötig, dafür das
       Gesetz zu ändern.
       
       Das wäre indes verfassungsrechtlich schwierig: Die Oberverwaltungsgerichte
       haben schließlich festgestellt, dass auch auf Autobahnen demonstriert
       werden kann, [3][wenn es einen inhaltlichen Zusammenhang gibt wie bei
       Klima- und Verkehrswende-Aktionen].
       
       Die Anklage der Staatsanwaltschaft Verden hatte 2024 dann aber einfach so
       getan, als hätte es eine Strafrechtsverschärfung gegeben. Und zugleich
       hatte sie die Besetzung einer öffentlichen Brücke als Hausfriedensbruch
       gewertet und angeklagt, ohne dass ein*e Brückenbesitzer*in in
       Erscheinung getreten wäre, die überhaupt hätte Anzeige erstatten und einen
       Strafantrag stellen können: Das aber wäre rechtlich zwingend Voraussetzung
       dafür gewesen, das vermeintliche Delikt zu verfolgen.
       
       Die am Mittwochmorgen übermittelte Frage, ob hier eine politische
       Motivation die Strafverfolgung beeinflusst hat, beantwortet die
       Staatsanwaltschaft Verden bis Redaktionsschluss nicht, obwohl sie dazu
       verpflichtet gewesen wäre.
       
       Das Amtsgericht Achim hätte die Anklage ebenso wenig wie die Bremer
       Gerichte zulassen dürfen. Stattdessen war es dort im August 2024 zu einem
       fünftägigen Prozess gekommen und sein Direktor hatte auch gleich noch
       versucht, eine durchs Grundgesetz geschützte Versammlung in Solidarität mit
       den Autobahn-Blockierer*innen vor dem Gericht zu verhindern. „Wenn Sie hier
       nicht runtergehen“, hatte er die Demonstrierenden angepflaumt, „hole ich
       die Polizei.“ Die kam dann auch, sodass die Kundgebung angemeldet werden
       konnte.
       
       Dieses kompetente Gericht hatte am Ende eine Geldstrafe verhängt, die nun
       natürlich hinfällig ist. „Es war uns klar, dass diese Anklage sehr viel
       heiße Luft enthält“, so Ruben. Gegen die Vorwürfe haben sich die
       Aktivist*innen mit ihren Laienkenntnissen und Erfahrungen verteidigt:
       „Ich stehe häufiger vor Gericht“, sagt er. „Das ist so ein bisschen
       Learning by doing.“
       
       3 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__240.html
   DIR [2] https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-2023-01-19-strafrecht-klimaaktivistinnen-bag-minijobberinnen-maassen-beck
   DIR [3] https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/a6e3fb79-5b4e-4b99-889c-f0899ffda9f0
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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