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       # taz.de -- Hirnschäden im Rugby: Verschwiegenes Leid
       
       > Neuseelands Rugbyprofi Shane Christie erlitt etliche
       > Gehirnerschütterungen mit massiven Folgen. Sein mutmaßlicher Suizid
       > schreckt auf.
       
   IMG Bild: Shane Christie galt während seiner Laufbahn als Kämpfertyp
       
       Ein Jahr vor seinem Tod hat Shane Christie der Zeitung New Zealand Herald
       einen internen Report zugespielt. Es ging um Empfehlungen für einen
       besseren Umgang mit Kopfverletzungen im Rugby, finanziert vom
       neuseeländischen Rugbyverband. Denn der verweigerte damals eine
       Veröffentlichung – und Ex-Profi Christie konnte wegen einer
       Verschwiegenheitsklausel nicht sprechen. Also bat er den Herald, Teile des
       Reports nach seinem Tod öffentlich zu machen. Er hatte wohl so eine Ahnung,
       dass es nicht mehr lange gehen würde.
       
       Zu diesem Zeitpunkt litt Ex-Rugbystar Christie bereits schwer unter den
       Folgen seiner mindestens zehn Gehirnerschütterungen: Schwindel, Psychosen,
       Kopfschmerzen, Gedächtnislücken, Sprachstörungen, Depressionen. „Der
       Verband will nicht bloßgestellt werden“, sagte er 2024. „Sie behaupten,
       dass es ihnen um das Wohle der Spieler gehe, aber [der Report] zeigt, dass
       sie dieser Devise nicht gerecht werden.“ Und: „Tausende Spieler leiden an
       Kopfverletzungen. Nichts wird getan.“
       
       Rund ein Jahr später sind die Handlungsempfehlungen nun öffentlich und die
       Diskussion da – denn Shane Christie ist im Alter von nur 39 Jahren
       gestorben. Vermutet wird ein Suizid und [1][CTE (Chronisch Traumatische
       Enzephalopathie)], eine degenerative Hirnerkrankung, die durch wiederholte
       Kopfverletzungen verursacht wird. Betroffen [2][sind vor allem etwa
       Footballspieler], Boxer und Rugbyspieler. Sicher nachweisen lässt sich die
       Erkrankung bislang erst nach dem Tod.
       
       Es ist für das neuseeländische Rugby ein Moment, wie er zuletzt viele
       Kontaktsportarten erreichte, darunter American Football. Schon 2015
       verklagten dort rund 5.000 Ex-Spieler erfolgreich die NFL wegen chronischer
       Hirnschäden. Die [3][NFL musste eine Entschädigung von 1,2 Milliarden
       Dollar zahlen] und eine Kausalität zwischen Football und CTE einräumen.
       
       ## Je länger Karriere, desto höher Risiko
       
       Der neuseeländische Verband NZ Rugby indes bestreitet sie bis heute. Dabei
       erleiden Rugbyprofis im Schnitt alle 20 bis 25 Spiele eine
       Gehirnerschütterung. Der Neuropathologe William Stewart von der Universität
       Glasgow fand 2023 in mehr als zwei Drittel der untersuchten Gehirne von
       Ex-Rugbyprofis CTE. Und er wies nach: Je länger die Karriere dauerte, desto
       höher das Risiko. Mit jedem Karrierejahr um 14 Prozent mehr.
       
       Erschwerend kommt hinzu, dass Rugby in den vergangenen Jahrzehnten härter
       geworden ist: viel mehr Belastung durch das Vollprofitum, heftigere
       Kollisionen, weil die Spieler größer und schwerer sind, eine defensivere
       Spieltaktik. Neuerungen wie der Bluetooth-Mundschutz, der die Stärke des
       Stoßes meldet, und die veränderte Tackle-Höhe halten viele für Kosmetik.
       Und sie beklagen, dass Verbände junge Spieler:innen nicht transparent
       über Risiken informieren.
       
       ## „Blut an euren Händen“
       
       „Ein weiterer Tod mit Blut an euren Händen, World Rugby“, schrieb der
       walisische Ex-Spieler Alix Popham nun. „Zeit, mit dem Leugnen aufzuhören.“
       Popham, der bei sich CTE vermutet, ist einer von 1.100 ehemaligen Rugby
       Union und Rugby League-Spielern, die derzeit gemeinsam unter anderem World
       Rugby wegen Hirnschäden verklagen. Eine Welle rollt an. In Neuseeland
       beging erst 2023 Ex-Rugbyprofi Billy Guyton, der ebenfalls an CTE litt, im
       Alter von 33 Jahren Suizid.
       
       Shane Christie hat, solange er konnte, für Opfer wie Guyton gekämpft. Er
       war Mitbegründer der Billy Guyton Foundation, die unabhängige Forschung zu
       Gehirnerschütterungen fördern will. Er sprach offen über sein Leid, mit dem
       man ihn allein ließ. Und er hielt dem Druck der Branche stand, die sich vor
       allem sorgte, Nachwuchs zu verlieren. Der befreundete Neurophysiologe Alan
       Pearce sagte: „Shane ist nie davor zurückgeschreckt, zu sprechen, auch wenn
       er unter Druck stand, nicht zu sprechen.“ Nun, wo Christie nicht mehr kann,
       haben andere angefangen. Neuseeland diskutiert nicht nur über mögliche
       Versäumnisse von NZ Rugby, sondern auch über Regelreformen: Etwa Änderungen
       in der Tackle Area, wo es zu den meisten Zusammenstößen kommt, oder über
       kleinere Wechselkontingente, um das Spiel weniger dynamisch zu machen.
       
       In einem seiner letzten Interviews wurde Shane Christie gefragt, ob er
       etwas bereue. „Ich bereue nichts“, sagte er. „Ich habe meine Karriere
       geliebt, ich liebe diesen Sport. Und ich hoffe, es gibt ihn noch lange.
       Aber es wird ihn nicht mehr lange geben, wenn wir nichts ändern.“
       
       3 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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