# taz.de -- Grünen-Abgeordnete über Steuerpolitik: „Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, muss keine Steuer zahlen“
> Reiche stärker zu besteuern, sei eine Frage der Gerechtigkeit, sagt
> Katharina Beck. Was Merz und Söder fordern, hält sie für „Unfug“.
IMG Bild: Katharina Beck, MdB, Wirtschaftsexpertin und Sprecherin für Finanzpolitik
taz: Die Regierung [1][debattiert über Streichungen beim Bürgergeld und
weitere Kürzungen.] Ist der deutsche Sozialstaat zu teuer?
Katharina Beck: CDU-Kanzler Friedrich Merz liegt mit seiner Abbau-Rhetorik
falsch. Ja, es muss sich etwas ändern, aber anderes. Die Sozialsysteme sind
hochbürokratisch, häufig völlig ineffizient, verschiedene Ämter machen
Dinge doppelt und dreifach, Familien verzweifeln. Da kann man Geld sparen
und als Land besser funktionieren. Es braucht in der Tat Reformen, aber die
richtigen, genau wie in der Rente.
taz: Was würden Sie bei der Rente ändern?
Beck: Zum Beispiel war das Generationenkapital in der Ampelregierung eine
gute Idee, die die Lage für jüngere Generationen verbessert hätte.
Schwarz-Rot macht hier nichts und bleibt einfach bei der reinen
Steuerquerfinanzierung – enttäuschend. Riester ist gescheitert, aber die
Kapitalmärkte klug zu nutzen, bleibt wichtig gerade bei der privaten
Altersvorsorge. Etwa über einen Bürgerfonds oder ein Altersvorsorgedepot.
taz: Die derzeitige Koalition hat so viel Geld zur Verfügung wie keine
andere Regierung zuvor. Trotzdem kämpft sie schon wieder mit [2][riesigen
Löchern in den Bundeshaushalten ab 2027.] Wie würden Sie die stopfen?
Beck: Wir richten den Scheinwerfer auf die großen Gerechtigkeitslücken im
Steuersystem. Da verliert der Staat jedes Jahr zweistellige
Milliardenbeträge. Nehmen Sie zum Beispiel Ausnahmen bei riesigen
Erbschaften oder den organisierten Steuerbetrug nach dem CumEx- oder
CumCum-Modell.
taz: Wie funktioniert der noch mal?
Beck: Vereinfacht erklärt: Stellen Sie sich vor, Sie haben digital ein
Kino-Ticket gekauft. Weil Sie plötzlich verhindert sind, bitten Sie den
Kinobetreiber, das Geld zurückzuerstatten, was der freundlicherweise auch
tut. Dann schicken Sie die digitale Kopie an diverse Freunde, die sich alle
den Preis ebenfalls auszahlen lassen. Das ist Betrug. So ähnlich erstatten
Finanzämter bei CumEx einmal entrichtete Steuern an Betrüger, die sie nie
gezahlt haben. Bei CumCum kommen noch internationale Kniffe hinzu. Der
Unterschied zum Kinobetrug: Es geht um viel höhere Beträge und um Geld, das
uns allen gehört.
taz: Was wollen sie dagegen tun?
Beck: Immerhin haben wir SPD-Finanzminister Lars Klingbeil schon überzeugt,
dass die Belege im Finanzsektor auch nach Ende 2025 weiter länger
aufgehoben werden müssen, nämlich zehn Jahre. Dadurch hat man mehr Zeit,
verdächtige Fälle zu entdecken. Nun müssen die Betriebsprüfung, die
Abteilungen für Wirtschaftskriminalität bei den Staatsanwaltschaften und
die Steuerfahndung diese großen Fälle priorisiert angehen und ihre
Kapazitäten in diesem Bereich stärken. Der vermutete Schaden allein der
CumCum-Steuerhinterziehung beläuft sich auf circa 28,5 Milliarden Euro.
taz: Sie argumentieren, es gebe ungerechte Ausnahmen bei der Besteuerung
von Erbschaften und Immobilien. Zum Beispiel?
Beck: Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, muss heute keine Steuer zahlen.
Diese Regelung hat null Sinn. Es gibt keine plausible Begründung dafür. Die
Grenze von 300 Wohnungen muss weg.
taz: Will der Gesetzgeber größere Unternehmen vielleicht nicht durch zu
hohe Zahlungen gefährden?
Beck: Ich nehme an, da hat sich eine Lobby durchgesetzt. Warum sollen Erben
von 299 Wohnungen Erbschaftsteuer abführen, solche ab 300 aber nicht? Das
ist doch verrückt. Übrigens kann die Steuer auch gestundet und in Raten
überwiesen werden. Das wollen wir stärken, so bringt sie Erben auch von
Betriebsvermögen nicht in Schwierigkeiten. Wohlgemerkt: Das Familienheim zu
erben ist steuerfrei, und das soll auch so bleiben. Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) behauptet da Unfug. Bei kleineren
Erbschaften könnte man die Freibeträge sogar erhöhen, wenn die ungerechten
Ausnahmen für sehr große Erbschaften abgeschafft werden. Wenn im Übrigen
Firmenerben ab 26 Millionen Euro Erbe die Steuer komplett umgehen können,
ist das ebenfalls ungerecht und muss enden.
taz: Sie waren drei Jahre an der Regierung. Punkte wie diesen aber konnten
Sie gegen SPD und FDP nicht durchsetzen?
Beck: Leider nein. Anfangs zeigte sich FDP-Finanzminister Christian Lindner
offen. Denn steuerliche Ausnahmen kann man auch als Subventionen
beschreiben. Sie abzuschaffen, ist keine Steuererhöhung. Später aber drehte
sich der Wind.
taz: Der Ruf, Steuern anheben zu wollen, hat den Grünen in der
Vergangenheit eher nicht zu Wahlerfolgen verholfen.
Beck: Es geht ja nicht um Steuersatz-Erhöhungen, sondern um die Beseitigung
ungerechter Ausnahmen für sehr hohe Vermögen, die selbst in konservativen
Kreisen für Kopfschütteln sorgen. In Deutschland zahlt großes Kapital
deutlich weniger Steuern und Abgaben als die Mitte. Es handelt sich um eine
Aushöhlung des Steuersystems, die wir glattziehen wollen.
taz: Ist Steuergerechtigkeit jetzt so etwas wie die finanzpolitische
Hauptforderung der Grünen?
Beck: Gerechtigkeitslücken im Steuersystem zu schließen, ist eines unserer
zentralen Anliegen.
taz: Nach dem Ende der Ampel sucht Ihre Partei nach einer neuen
Positionierung. Ordnet sich das Thema in den Versuch ein, ein schärferes
Mitte-links-Profil zu gewinnen?
Beck: Das betrifft die gesamte Gesellschaft. Mit dem binären
Links-rechts-Gegensatz kann ich nicht viel anfangen.
taz: Der grüne Co-Parteivorsitzende Felix Banaszak [3][definierte die
Partei kürzlich als Mitte-links.]
Beck: Diese Diskussion lenkt uns ab. Von dem, was ich vorschlage, würden
der Mittelstand und die Breite der Bevölkerung profitieren. Die Demokratie
muss faire Beiträge von allen einfordern. Warum sollten extrem reiche
Personen weniger beitragen als die Mitte? Es geht um Gerechtigkeit und
darum, gute öffentliche Leistungen wie Kitas, Bildung und Sicherheit für
alle anbieten zu können. Dann nimmt hoffentlich auch die Zufriedenheit
wieder zu.
4 Sep 2025
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## AUTOREN
DIR Hannes Koch
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