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       # taz.de -- Landwirtschaft in Brasilien: Mit der Kraft des Cupuaçu
       
       > Die RECA Cooperativa betreibt seit 1989 mitten im brasilianischen
       > Regenwald nachhaltige Agrarwirtschaft. Inzwischen hat sich die
       > Genossenschaft etabliert.
       
   IMG Bild: Cupuaçu oder Großblütiger Kakao ist sehr beliebt in Brasilien
       
       PORTO VELHO taz | Malaria war verbreitet, Infrastruktur kaum vorhanden, und
       der Staat keine Hilfe: Als Migrant*innen aus dem Süden Brasiliens vor 36
       Jahren inmitten des Amazonas-Regenwaldes eine landwirtschaftliche
       Genossenschaft gründeten, waren sie mit extremen Herausforderungen
       konfrontiert. Der damals neu gebildete Distrikt trug zwar den schönen Namen
       Nova Califórnia (Neues Kalifornien) – hatte sonst aber nichts mit der
       Traumwelt der Filme aus Hollywood zu tun.
       
       Heute steht die [1][RECA Cooperativa] im Herzen Amazoniens zwischen den
       brasilianischen Bundesstaaten Rondônia und Acre und Bolivien für Resilienz,
       Innovation, soziales und ökologisches Engagement. Die 1989 gegründete
       Kooperative ist inzwischen mehr als nur eine Genossenschaft von
       Familienbetrieben: Sie zeigt, wie landwirtschaftliche Produktion und
       Waldschutz Hand in Hand gehen können.
       
       Hamilton Condack, Präsident der Genossenschaft, erinnert sich an die
       Anfänge: „Der Amazonas war für uns ein Mysterium“, sagt Condack. Dazu kam
       die „institutionelle Vernachlässigung“ der Region. Also mussten sie sich
       selbst helfen und tauschten sich mit Kautschukpflückern und indigenen
       Waldbewohnern aus. „Von ihnen haben wir gelernt, die Zyklen der Natur zu
       respektieren.“
       
       ## Kooperation mit den Nachbarn
       
       Im Jahr 1984 wurde ihnen vom Nationalen Institut für Kolonisierung und
       Agrarreform (Incra) Land zugeteilt. Weitere Unterstützung vom Staat gab es
       damals nicht. Also holzten sie Wald ab, um die gerodeten Flächen zu
       bewirtschaften. Doch waren die Bedingungen andere als im gemäßigten Klima
       ihrer Heimat. Die Sonne schien erbarmungslos, die Erde verdorrte. Die
       Bauernfamilien entschieden, sich zusammenzuschließen – und mit ihren
       Nachbarn zu kooperieren. „Aus diesem Wissensaustausch heraus begannen wir,
       eine neue Form des Zusammenlebens und der Produktion zu planen“, sagt
       Condack.
       
       Derzeit zählt die RECA Cooperativa mehr als 300 Mitgliedsfamilien. Sie sind
       in zehn Produktionsgruppen auf über 1.000 Hektar Agroforstsystemen (SAFs)
       aufgeteilt, was einer Fläche von rund eintausend Fußballfeldern entspricht.
       SAFs sind Landnutzungssysteme, die Bäume oder Sträucher mit Ackerkulturen
       oder Tierhaltung auf derselben Fläche kombinieren. Das ist ökologisch wie
       ökonomisch sinnvoll.
       
       Zu den verarbeiteten und vermarkteten Produkten der Genossenschaft zählen
       Paranüsse, Palmenherzen, Pflanzenöle und Samen, aber auch köstliche
       exotische Tropenfrüchte wie Açaí, Acerola, Maracuja und [2][Cupuaçu].
       Letztere ist das wichtigste Produkt von RECA. Cupuaçu ist eine in Europa
       noch weitgehend unbekannte Pflanze aus der Familie der Malvengewächse und
       mit Kakao verwandt. Das Fruchtfleisch schmeckt süßsäuerlich, andererseits
       lässt sich Schokolade daraus herstellen. Auch in der Kosmetik findet es
       Verwendung; so eignet sich nährstoffreiche Cupuaçu-Butter für die
       Befeuchtung von Haut und Haar.
       
       ## Produktion das ganze Jahr über
       
       „Cupuaçu hat sich sehr gut an den Boden und das Klima der Region
       angepasst“, sagt Condack. Es sei die Kulturpflanze mit der größten
       Produktivität – und auch am Markt wurde sie „am besten angenommen“. RECA
       rechnet für 2025 mit einer Rekordernte von erstmals über 2 Millionen
       Kilogramm an Cupuaçu-Früchten.
       
       Bei allen RECA-Aktivitäten wird darauf geachtet, dass die Umwelt
       respektiert wird und nicht zu Schaden kommt. Insgesamt werden 40 Arten von
       Obst- und Nutzbäumen und Heilpflanzen angebaut, vorrangig einheimische
       Arten. So wird die Artenvielfalt erhalten, und es kann ganzjährig
       produziert werden. Alle organischen Abfälle aus der Landwirtschaft und
       Produktion werden zudem kompostiert und in hochwertigen Dünger umgewandelt.
       
       35 Produkte der Genossenschaft haben bereits nationale oder europäische und
       US-amerikanische Bio-Zertifizierungen erhalten. Doch noch ist die RECA
       Cooperativa ausschließlich auf dem regionalen und nationalen Markt tätig.
       Vorbereitungen für den Export laufen allerdings. Alle Anforderungen dafür
       würden bereits erfüllt, sagt Condack. „Das ist ein Schritt, den wir in den
       nächsten Jahren sicherlich gehen werden.“
       
       Das Engagement für Nachhaltigkeit geht über wirtschaftliche Aspekte hinaus:
       RECA setzt auf Bildung – als Grundpfeiler für die Zukunft kommender
       Generationen. Dafür wurde die Landwirtschaftliche Familienschule Jean
       Pierre Mingam gegründet – mit einem speziellen Konzept, der Pedagogia da
       Alternância (alternierende Pädagogik). Dadurch erhalten junge Menschen aus
       der Region Zugang zu einer auf die ländliche Realität zugeschnittenen
       Ausbildung: 15 Tage wird zur Schule gegangen, dann 15 Tage praktisch
       gearbeitet. So wird formale Bildung im Wechsel mit der Arbeit in den
       Familienbetrieben verbunden.
       
       ## Die Frauen entscheiden mit
       
       Auch die Gleichstellung der Geschlechter spielt eine wichtige Rolle: Jede
       der zehn Gruppen der Genossenschaft hat eine weibliche Vertretung, wodurch
       Frauen bei allen Entscheidungen mitreden können. Die Sicht der Frauen auf
       das Kollektiv mache „den Unterschied in unserer Entwicklung aus“, sagt
       Condack.
       
       Erste Hilfe nach ihrer Gründung erhielt die Genossenschaft durch die
       niederländische Stiftung Cebemo und die Diözese Rio Branco des berühmten,
       inzwischen verstorbenen Erzbischofs [3][Dom Moacyr Grecchi]. Inzwischen
       gibt es zahlreiche Kooperationspartner, darunter die deutsche GIZ, und
       Projekte in den Bereichen Wiederaufforstung, Ausbildung, Zertifizierung und
       Einkommensschaffung. Der brasilianische Kosmetikkonzern Natura & Co zum
       Beispiel kauft Cupuaçu-Butter von RECA und setzt vor Ort ein
       REDD+-Kohlenstoffprojekt um. Dadurch sollen mehr als 4.000 Hektar Wald
       geschützt werden.
       
       Trotz des Erfolgs bleiben Herausforderungen. Da sind einmal Probleme wie
       die Bekämpfung von Schädlingen. Zum anderen besteht die Notwendigkeit
       ständiger Modernisierung der Abläufe und Fertigungsprozesse. „Wir stehen
       vor vielen Herausforderungen, aber wir wissen genau, wo wir hinwollen“,
       sagt Condack. Ziel sei eine gerechte und solidarische Gemeinschaft, die ihr
       Leben im Einklang mit der Natur gestaltet. „RECA ist der lebende Beweis
       dafür, dass es möglich ist, zu produzieren, die Umwelt zu bewahren und
       Leben zu verändern – und das alles gleichzeitig.“
       
       Felipe Corona ist freier Journalist, unter anderem für die „ Folha de São
       Paulo“. Er lebt in Porto Velho, der Landeshauptstadt des
       Amazonasbundesstaats Rondônia. 
       
       Übersetzt aus dem Portugiesischen von Ole Schulz
       
       15 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.projetoreca.com.br/en/
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Cupua%C3%A7u
   DIR [3] https://www.jb.com.br/pais/artigo/2019/06/1006047-dom-moacyr-grecchi--representante-de-uma-geracao.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felipe Corona
       
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