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       # taz.de -- Politisch aktive Schwarze in Hamburg: Unsichtbare, wohin man nur schaut
       
       > Josephine Akinyosoye und Johannes Tesfai erinnern in dem Buch „Sichtbar
       > werden“ daran, wie politisch aktiv Schwarze in Hamburg seit den 1980ern
       > sind.
       
   IMG Bild: Frühe politische Organisierung: Afrikanische Geflüchtete wehren sich 1996 auf den Wohnschiffen in Hamburg-Altona gegen Rassismus
       
       Hamburg taz | Vor diesem Buch hat es keinen einzigen publizierten Nachruf
       auf Olajide Akinyosoye gegeben. Auch in der taz nicht. Das ist peinlich.
       Denn Akinyosoye war ja, 1938 im südwestlichen Nigeria geboren, mehr als 40
       Jahre lang [1][politisch aktiv in Hamburg gewesen], als er 2017 starb.
       
       Er war als Ingenieur, Performer, Flüchtlingsbetreuer, Berufsschullehrer und
       aus strategischen Erwägungen heraus Ultralangzeitstudent, als Musiker und
       als Künstler eine bedeutende Figur der linken Bewegungen der Freien und
       Hansestadt. Aber eben eine, die von der verfassten Politik und den sie
       begleitenden Medien mit geübter Geste an den Rand gedrängt und dort
       [2][dann übersehen und vergessen werden konnte]. Und auch von denen, die
       sich für widerständig und kritisch halten.
       
       Damit ist er nicht allein. Das ist auch heute noch ein Muster, wie die
       weiße Dominanzgesellschaft Deutschlands mit Schwarzer Kultur und Politik
       umgeht, die gerade in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen besondere Präsenz
       entfaltet hat. Das soeben erschienene Buch „Sichtbar werden“ lässt sich
       selbst als ein Protest gegen diese systemische Nichtwahrnehmung lesen, die
       es zugleich darstellt.
       
       Josephine Akinyosoye und Johannes Tesfai erzählen in dem Buch eine
       „Geschichte der Selbstorganisierung von Schwarzen linken
       Hamburger*innen aus Afrika“. Eben von der fehlen im Gedächtnis der
       Stadt fast alle Spuren: Während in den USA das Regime von Donald Trump
       deren Tilgung erst mühsam durchsetzen muss, sind sie hier durch
       Nichtwahrnehmung schon vorab aussortiert. Unter dieser Voraussetzung muss
       die Rekonstruktion lückenhaft bleiben.
       
       ## Privatarchiv als wichtigste Quelle
       
       Und subjektiv: Josephine ist Tochter von Olajide Akinyosoye. Klug
       thematisiert sie beim Schildern seines Lebenslaufs ihr Verhältnis zum
       Vater. Sie verschweigt nicht, wie ihr als Teenager seine Bühnenarbeit
       peinlich und die politische Dimension verborgen gewesen sei. Das ist
       wichtig. Akinyosoyes Privatarchiv ist die Hauptquelle des Buchs.
       
       Und neben Lincoln Marais, dem einstigen offiziellen Vertreter des ANC, der
       die Hamburger Proteste gegen das südafrikanische Apartheidsregime
       koordinierte und dabei Teile der staatstragenden SPD, DKP-Spießer,
       kirchliche Gruppen und Autonome zusammenbrachte, ist Akinyosoye Hauptfigur
       des Werks: Immerhin ist er Gründer der Afrikanischen Union Hamburg gewesen.
       
       Dieser – panafrikanisch ausgerichtete – Verein, der noch immer als aktiv im
       Register steht, entsteht 1985. Sehr schnell etabliert er sich als
       übergreifende Interessenvertretung. „Olajide Akinyosoye war der politische
       Sprecher und er kann sehr gut reden“, so erinnert sich der von den
       Autor*innen als Zeitzeuge befragte Patrick Agyemang an gemeinsame
       Aktionen der supranationalen Community. Agyemang hatte Anfang der 1990er
       den Dachverband „Sokoni“ gegründet, der längst erloschen ist.
       
       Die Aktivitäten der AUH reichten von der Hausaufgabenbetreuung auf
       Stadtteilebene über das landespolitische Lobbying, ausländerrechtliche
       Hilfestellung und die Organisation von Demos zu kulturellen
       Veranstaltungen. Als frustrierend hat Olajide Akinsoye die Kontaktversuche
       zu Hamburger Politiker*innen einmal in der taz geschildert: „Wenn wir
       sie einladen, glänzen sie durch Abwesenheit“, so sein Resümee. „Meistens
       haben sie kein Interesse.“
       
       Überboten wird die Ignoranz der politischen Akteur*innen allerdings
       damals wie heute durch die der Medien. Besonders greifbar wird die, wo
       weiße zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Regierung die Anliegen von
       Schwarzen oder migrantisierten Organisationen mittragen, sich mit ihnen
       verbündet haben – und dadurch umgehend selbst unsichtbar werden.
       
       Ein markantes Beispiel aus Bremen: das jährliche Gedenken an den Völkermord
       deutscher Truppen an Ovaherero und Nama. Das von ihr mitgeprägte Gedenken
       an den Völkermord an Ovaherero und Nama am Antikolonial-Mahnmal.
       
       Es ist, vom Bremer Afrika Netzwerk, vom Verein der Elefant und der
       Landeszentrale für politische Bildung organisiert, auch in diesem Jahr
       wieder die einzige Veranstaltung für die Opfer dieses ersten Völkermords
       des 20. Jahrhunderts gewesen. Die Landespolitik war dort hochrangig durch
       Vize-Bürgermeister Björn Fecker (Grüne) vertreten, der Präsident des Senats
       Andreas Bovenschulte (SPD) hatte selbstverständlich die Schirmherrschaft
       übernommen.
       
       Medial aber hat der Gedenkakt nicht stattgefunden. Dabei hat doch auch der
       Bundestag das Thema seit Juni mehrfach aufgegriffen – und die
       Bundesregierung die Forderung nach Entschädigung [3][erneut
       zurückgewiesen], mit der Begründung, das begangene Unrecht habe keine
       „internationale Verpflichtung“ verletzt. „Das Konzept der Wiedergutmachung
       ist daher im Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands
       nicht anwendbar“, so das Auswärtige Amt.
       
       ## Selbstexotisierung als künstlerische Strategie
       
       Im Zentrum der Bremer Veranstaltung stand die Rede der Sängerin und
       Performerin Natascha Kitavi. „Ich bin eine Herero-Frau“, sagte sie. „Ich
       stehe hier als Nachkomme derer, die durchgehalten haben, und als Zeugin
       einer Geschichte, die im Innersten meines Volkes lebt.“ Beim Gedenken gehe
       es nicht bloß um einen Rückblick, sondern darum, „eine Brücke zwischen dem,
       was war, und dem, was sein kann“ zu bauen: Erinnern, so gesehen hat auch
       ein utopisches Potenzial.
       
       Das ist die Stärke des Buches von Josephine Akinyosoye und Johannes Tesfai.
       Zwar sind die beiden ganz entschieden zu nachsichtig mit den Medien: Es ist
       ja bemerkenswert, dass die von in der „Werkstatt 3“ in Altona jährlich
       veranstalteten Afrika-Kultur-Tage so gar kein Presseecho hatten.
       
       Und es ist kritikwürdig, dass die Rezensionen des Films „Hölle Hamburg“ von
       Ted Gaier und Peter Ott 2011 zwar die Regie, die weiße Schauspielerin
       Martina Schiesser und ihr Spiel mit Schamanismus [4][thematisieren], aber
       kein einziger der Schwarzen Darsteller, die es beglaubigen: Akinysoyes
       künstlerische Strategie war die Selbstexotisierung.
       
       Dafür aber macht das Buch klar: Hier schlummert ein reiches lokales Erbe:
       Bewegungen, wie 2013 der selbstorganisierte Protest der
       Lampedusa-Geflüchteten, sind in Hamburg nicht ohne Vorgänger. Sie können
       auf ein gewachsenes Wissen der Community bauen, wie sich Rechte einfordern
       lassen, also: wie man sich sichtbar macht, wenigstens für einen Moment. Dem
       Dauer zu verleihen, also: die eigene Geschichte zu schreiben, ist ein
       Schritt dahin.
       
       23 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hilfe-nur-noch-ehrenamtlich/!722930&s=Olajide+Akinyosoye/
   DIR [2] /Jahrhundertleben-als-Schwarze-Deutsche/!6085907
   DIR [3] https://dserver.bundestag.de/btd/21/012/2101238.pdf
   DIR [4] /Der-Weltgeist-schwimmt-im-Elbwasser/!852889&s=H%C3%B6lle+Hamburg/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
   DIR Krischan Meyer
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwarze Deutsche
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