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       # taz.de -- Gas-Arbeiter aus Texas: „Wir atmen all diese Gifte und Schadstoffe ein“
       
       > Die EU will den USA mehr fossile Energie abkaufen. John Beard hat in
       > einer Raffinerie an der Golfküste gearbeitet – und kämpft nun gegen die
       > Branche.
       
   IMG Bild: „Sacrifice Coast“: Die fossile Industrie an der Golfküste bietet gute Arbeitsverträge – aber hohe Risiken für die Gesundheit
       
       taz: Herr Beard, Sie kommen aus Port Arthur in Texas und damit einer
       Region, aus der seit Generationen Öl und Gas exportiert werden. Wie ist es,
       dort zu leben? 
       
       John Beard: Wir nennen die gesamte texanische Golfküste „Sacrifice Coast“
       (zu Deutsch „Opferküste“, Anmerkung der Redaktion). Denn das Leben und die
       Gesundheit der Menschen werden der fossilen, petrochemischen Industrie
       geopfert.
       
       Die Krebsrate hier ist hoch, Atemwegserkrankungen, Herzerkrankungen,
       Nierenerkrankungen treten überdurchschnittlich häufig auf. Eine Raffinerie
       von Total in Port Arthur zum Beispiel ist der landesweit drittgrößte
       Emittent von Benzol. Jede noch so kleine Menge dieses Stoffes kann Krebs
       verursachen und tödlich sein.
       
       taz: Trotzdem haben Sie jahrzehntelang in einer Raffinerie gearbeitet? 
       
       Beard: Wir wussten schon immer über den Krebs Bescheid, aber wir haben nie
       den Zusammenhang hergestellt. Öl und Gas liegen uns quasi im Blut. Mein
       Vater arbeitete in einer petrochemischen Anlage und einer Raffinerie. Meine
       Tochter arbeitet in einer petrochemischen Anlage als Labortechnikerin. Dort
       gibt es die Jobs, die gut bezahlt werden, mit guten Sozialleistungen und
       all dem.
       
       taz: Die Unternehmen sind noch immer die größten Arbeitgeber in der Region. 
       
       Beard: Sie sprechen über nichts anderes: Oh, wir schaffen Arbeitsplätze,
       Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Wie kommt es, dass wir in diesem südöstlichen
       Teil von Texas, in Beaumont und Port Arthur, die höchste Arbeitslosigkeit
       im Bundesstaat haben? Das Geld kommt nicht den Anwohnern zugute, die den
       Schadstoffen ausgesetzt und meistens schwarz sind. Die meisten der Arbeiter
       kommen entweder aus anderen Bundesstaaten oder aus dem weiteren Umkreis von
       Port Arthur und Beaumont, wo vor allem weiße Menschen wohnen.
       
       taz: Aber die Arbeiter müssen doch auch von den Schadstoffen betroffen
       sein. 
       
       Beard: Deutlich weniger: Wenn man in der Fabrik arbeitet, wird man über all
       diese Chemikalien und die richtige Schutzausrüstung unterrichtet, über
       Handschuhe, Schutzbrillen, Atemschutzmasken und alles, was man für die
       Arbeit mit einer bestimmten Chemikalie oder Substanz benötigt. Aber was ist
       mit den Menschen, die außerhalb der Anlage leben? Niemand sagt ihnen, dass
       dieser oder jener Geruch etwas Schädliches sein könnte. Niemand sagt ihnen,
       dass der Rauch oder die Dämpfe oder Explosionen oder Brände gefährlich sein
       können.
       
       Als ich in der Branche zu arbeiten begann, habe ich gelernt, dass man das
       Geschäft auch ohne Umweltverschmutzung betreiben kann: Indem man in
       Reinigungs- und Schutzmaßnahmen investiert. Aber dafür muss man die
       Menschen vor den Profit stellen.
       
       taz: Wer ist dafür verantwortlich, dass das nicht passiert? 
       
       Beard: Es sind die Buchhalter und Erbsenzähler in den Konzernen, die
       entscheiden: „Wir haben dieses Jahr oder nächstes Jahr oder im Jahr danach
       kein Geld dafür im Budget, aber vielleicht können wir in etwa drei oder
       vier Jahren etwas herausquetschen.“ In der Zwischenzeit atmen wir all diese
       Gifte und Schadstoffe ein. Ich will, dass diese Unternehmen erkennen, dass
       sie ein Problem geschaffen haben, das nur sie lösen können. Nicht die
       Regierung, niemand sonst. Sonst machen sie sich mitschuldig an einer
       Straftat, und diese Straftat ist Mord.
       
       taz: In der EU wird russisches Gas teilweise durch US-Flüssiggas ersetzt,
       das aus Ihrer Heimat exportiert wird. Die EU hat zudem [1][versprochen,
       noch mehr davon zu kaufen, um Donald Trump zu beschwichtigen]. 
       
       Beard: Warum sollte man mehr kaufen, wenn man versucht, vom Gas
       wegzukommen? Beschleunigt die Energiewende, damit ihr nicht so viel von
       diesem Gas kaufen müsst. Es geht bei diesen Deals nicht darum, eure
       Bedürfnisse zu befriedigen oder eure Wohnungen zu heizen. Es geht darum,
       dass jemand Geld verdient.
       
       Wir am Golf von Mexiko, in den Appalachen und an anderen Orten, wo diese
       LNG-Anlagen stehen, wo Gas gefördert wird – wir sind es leid, geopfert zu
       werden, damit ein paar Milliardäre einen goldenen Fallschirm bekommen, mit
       Hunderten von Millionen Dollar in den Ruhestand gehen und Aktionäre ihre
       Altersvorsorge aufbessern können. Noch schlimmer: In Deutschland ist
       Fracking verboten. Und doch holt ihr euch Fracking-Gas aus Texas, bringt es
       an die Golfküste, [2][um es zu euch zu verschiffen].
       
       taz: Wie erklären Sie sich das? 
       
       Beard: Ja, was ist der Unterschied zwischen schlechtem Fracking in Europa
       und gutem Fracking in den USA? Liegt es daran, dass Sie mich nicht kennen?
       Weil ich gesichtslos bin? Namenlos? Nun, ich möchte, [3][dass Sie wissen],
       dass es uns wirklich gibt.
       
       Vor etwa zwei Jahren ist ein guter Freund von mir verstorben. Terry wurde
       krank und erfuhr, dass er Krebs hatte. Die Ärzte gaben ihm sechs Wochen,
       nach vier Wochen starb er. Er arbeitete 30 Jahre lang in der Fabrik, hat es
       nicht bis zur Rente geschafft. Wer dort arbeitet, kann fünf Jahre Rente
       erwarten, wenn er überhaupt bis zum Rentenalter durchhält. Für mich ist
       dieses Jahr das achte.
       
       6 Oct 2025
       
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