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       # taz.de -- Kunst-Dialog mit Fotograf Sascha Weidner: Totholz, Tränen und geschliffene Jeans
       
       > Der Kunstverein Wolfenbüttel bringt Sascha Weidners Fotografie und drei
       > junge Künstler:innen in einen Dialog.
       
   IMG Bild: Wie Tränen an der Fassade: Hui-Chen Yun bespickte die dunkle Holzverschalung einer Brandwand mit kleinen Konvexlinsen
       
       Der [1][Kunstverein Wolfenbüttel] feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges
       Bestehen. 1975 wurde er maßgeblich durch Professor:innen der
       Kunsthochschule Braunschweig aus der Taufe gehoben. Und weil er bis heute
       so ein aktives Netzwerk in die akademische Landschaft hat, wird das nun
       laufende Jubiläumsprogramm mit Ausstellungen vieler namhafter
       Künstler:innen und aktuell wie ehemals Lehrender bestritten.
       
       Zu diesem Braunschweiger Dunstkreis zählte auch [2][Sascha Weidner]
       (1974–2015). Er hatte, neben anderem, an der HBK freie Kunst mit dem
       Schwerpunkt Fotografie studiert und mit dem Meisterschuljahr abgeschlossen.
       Er debütierte zu Beginn seiner internationalen Projekt- und
       Ausstellungskarriere in Wolfenbüttel. Das war 2008, der Titel: „Bis es weh
       tut“. Weidner gab ein 140-seitiges Katalogbuch heraus, scheute nicht zurück
       vor dem Griff ins familiäre Fotoalbum. 2009 überließ er im
       [3][Braunschweiger Museum für Photographie] 1.001 postkartengroße
       Originalabzüge zur freien Entnahme, einzige Gegenleistung: eine
       schriftliche Äußerung, weshalb das jeweilige Bild Interesse weckte und
       mitgenommen wurde.
       
       „Was übrig bleibt“ hieß es in Braunschweig, und man erkannte, dass Weidners
       existenzielle wie künstlerische Triebkraft eine, wenngleich verschlüsselte,
       äußerst angespannte emotionale Dramatik, Leben und Tod sowie die
       Familiengeschichte sind. Das wurde sein Markenzeichen, seine Fotografie ein
       flirrendes „autobiografisches Protokoll“, so die Eigenaussage. Seine
       Botschaft scheint zeitlos, aktuell bereichert eine Arbeit Weidners die
       [4][Edvard-Munch-Ausstellung „Angst“ in den Kunstsammlungen Chemnitz].
       
       ## Ganz leise Töne
       
       Wie passt aber nun ein viel zu jung verstorbener Künstler ins
       Wolfenbütteler Jubiläumsjahr? Der Kunstverein entschied sich gegen den
       klassischen Rückblick und für einen offenen Erinnerungsraum als Dialog
       zwischen ausgewählten fotografischen Arbeiten Weidners aus seinen gut
       verwalteten Nachlässen und zeitgenössischen Positionen junger
       Künstler:innen.
       
       Und wie so oft bei Ausstellungen des Kunstvereins Wolfenbüttel wird auch
       dessen Außenbereich (zumindest temporär) einbezogen und eine Arbeit im
       öffentlichen Raum realisiert. Als Vermittler fungierte Florian Glaubitz,
       Fotograf und Künstler, der 2023 in Wolfenbüttel ausgestellt hatte und jetzt
       sein Netzwerk aktivierte. Und das speist sich mal nicht aus Braunschweig.
       
       [5][Lennart Cleemann], Jahrgang 1990, ausgebildeter Architekt und Künstler,
       erschuf eine robuste, rund vier Meter lange Installation aus
       Gitterbehältern, wie sie zum Kompostieren verwendet werden. Darin lagert
       malerisch arrangiertes Totholz. „Living with the Dead“ versteht sich als
       Chiffre für den ewigen Kreislauf aller, auch menschlicher Substanz, dem er
       in Indien nachgespürt hatte. Eine „luftige Sperrigkeit“, so Cleemann,
       durchfährt so den großen Eingangsraum des Kunstvereins mit sechs von
       insgesamt zwölf Arbeiten Weidners.
       
       ## Tränen an der Holzfassade
       
       Fast substanzlose Eingriffe in dessen Räume steuert [6][David Behrens] bei,
       ebenfalls 1990 geboren. Der Hamburger versah alle Fensterflächen mit farbig
       schillernd bedruckten, halbtransparenten Folien. Sie schaffen eine
       traumhafte Lichtatmosphäre, wie er sie typisch findet für Weidners
       Fotografie. Behrens’ großes Triptychon, eine „mechanische Zeichnung“ aus
       Schleif- und Bleichvorgängen auf Jeansstoff, beschäftigt sich mit dem
       menschlichen Körper, dessen Inneres es zu schützen gilt.
       
       [7][Hui-Chen Yun], 1985 in Taiwan geboren, bevorzugt ganz leise Töne. Die
       Ziegel einer kleinen, mit Bleistift gezeichneten Mauer belegte sie mit
       getrockneten Kirschblütenblättern, inspiriert durch Weidners magische
       Bildnisse blühender Kirschbäume in Japan. Und die dunkle Holzverschalung
       einer Brandwand an einem nahen Parkplatz bespickte sie mit gut 20 kleinen
       Konvexlinsen: Bestandteile eines Kameraobjektivs, Sternenhimmel,
       Blütenblätter – Tränen?
       
       Begonnen hatte das Jubiläumsjahr mit Bjørn Melhus, ein Absolvent der HBK
       Braunschweig und seit 2003 Professor für Virtuelle Realitäten an der
       Kunsthochschule Kassel, zusammen mit Julia Neuenhausen. Aus Braunschweig
       gebürtig, hat auch sie dort ihr Kunststudium absolviert. Im Frühsommer war
       der „Ideenkünstler“ Timm Ulrichs dran, der von 1972 bis 2005 „Bildhauerei
       und Totalkunst“ an der Kunstakademie Münster lehrte. [8][Christiane Möbus],
       lange Jahre Professorin an der HBK Braunschweig, wird ab Ende Oktober das
       Jubiläumsjahr beschließen. Die beiden Älteren, Ulrichs und Möbus, hatten in
       den frühen Jahren des Kunstvereins in Wolfenbüttel ausgestellt, Möbus
       bereits 1976.
       
       2 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR [5] https://www.lennartcleemann.de/
   DIR [6] https://artfacts.net/artist/david-behrens-1990-de
   DIR [7] https://artfacts.net/artist/huichen-yun-1985-tw
   DIR [8] /Erinnerung-an-die-Goettinger-Sieben/!5951365
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
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       Fotos aus der Ausstellung mit nach Hause nehmen - wenn sie eine Begründung
       zurücklassen.