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       # taz.de -- Protest in Lüchow-Dannenberg: Streit um die Flüchtlingskaserne
       
       > In Neu Tramm protestieren Flüchtlinge und ihre Helfer gegen die
       > Bedingungen in der Unterkunft. Dahinter steckt ein Konflikt um den Erwerb
       > der Kaserne.
       
   IMG Bild: In der Nazizeit gebaut, zur Tarnung im Stil eines Rundlingsdorfes, wie es für das Wendland typisch ist: Die Kaserne in Neu Tramm
       
       Hannover taz | Das Motto klingt auf den ersten Blick rätselhaft:
       „Kühlschränke gegen die soziale Kälte“ haben die Protestierenden über ihren
       Demo-Aufruf geschrieben. Der Hintergrund: In Neu Tramm protestieren
       Geflüchtete und ihre Unterstützer gegen die Lebensbedingungen in der
       Kaserne, die der Landkreis Lüchow-Dannenberg als Sammelunterkunft benutzt.
       Das tun sie nicht zum ersten Mal. Dieses Mal im Fokus: Das
       Kühlschrankproblem.
       
       „Es gibt schon länger einen Konflikt darum, dass die Geflüchteten mit der
       Essensversorgung nicht glücklich sind“, erklärt Uschi Overhage, die zu den
       engagierten Ehrenamtlichen gehört. In Neu Tramm gibt es
       Gemeinschaftsverpflegung, die von einem Caterer besorgt wird, der sonst
       auch Altenheime und Kitas beliefert.
       
       Die Geflüchteten würden lieber selber kochen. Nach langem Hin-und-Her hat
       der Kreis tatsächlich ein paar Kochmöglichkeiten in der Unterkunft
       geschaffen. Allerdings zunächst ohne Kühlschränke.
       
       „Es gibt keine Möglichkeit, auch nur mal einen Joghurt oder Getränke kalt
       zu stellen“, sagt Overhage. Die Geflüchteten haben ihre Lebensmittel meist
       draußen auf den Fensterbänken gelagert oder ans Fenster gehängt.
       
       Aber während der letzten Hitzewellen war das natürlich auch keine Option.
       „Das ist doch auch einfach unhygienisch, lockt Waschbären und Ratten an“,
       meint die pensionierte Französischlehrerin, die vor allem für Geflüchtete
       aus westafrikanischen Ländern dolmetscht.
       
       ## Die Liste der Beschwerden ist lang
       
       Deshalb wollen sie nun am Samstag, 30. August, um 13 Uhr vor der Unterkunft
       protestieren. Dabei soll auch ein Kühlschrank überreicht werden. Außerdem
       sollen die Bewohner kleine Kühltaschen bekommen und im benachbarten
       alternativen Kulturzentrum Raum2 eine Kühltruhe für die Kühlelemente
       eingerichtet werden.
       
       Aufgerufen haben dazu Flüchtlingsinitiativen, verschiedene
       Beratungsstellen, die Omas gegen rechts Wendland, der DGB und die Linke. Es
       ist nicht das erste Mal, dass diese Unterkunft in der Kritik steht. Schon
       im vergangenen Jahr protestierten die Bewohner mit einem Offenen Brief in
       mehreren Sprachen – unterstützt vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
       
       Damals ging es unter anderem um die Kochmöglichkeiten und damit verbunden
       auch die Auszahlung des Essengeldes, dass den Bewohner für die
       Gemeinschaftsverpflegung jeden Monat abgezogen wird.
       
       Aber die Liste der Beschwerden war noch erheblich länger und zum größten
       Teil hat sich daran nach Aussagen der Unterstützerkreise bis heute nicht
       viel geändert. So sind die Toiletten teilweise einsehbar, die Frauenduschen
       nicht abzuschließen, etliche Zimmer auch nicht. Das widerspricht eigentlich
       den Gewaltschutzkonzepten, auf die man sich landesweit geeinigt hat.
       
       Das W-Lan reicht nicht bis auf die Zimmer, die soziale und medizinische
       Betreuung wird als unzureichend empfunden. Dafür müssen sich die
       Geflüchteten zweimal pro Woche melden, um sicherzugehen, dass sie sich
       überwiegend in der Einrichtung aufhalten. Auch Besucher müssen beim
       Sicherheitsdienst im Voraus angemeldet werden. Im Winter gab es zudem
       Probleme mit der Heizung und regelmäßig sind die Abflussrohre verstopft.
       
       ## Kreistag zerlegt sich im Konflikt um Kauf der Kaserne
       
       Dahinter steckt aber eigentlich ein weiterer Konflikt, der noch etwas
       größer und älter ist. Der Kreis hat Teile des Kasernengeländes im Mai für
       rund 10 Millionen erworben, weitere drei Millionen wurden für sofortige
       Sanierungsmaßnahmen fällig, weitere 13 Millionen müssen langfristig noch in
       die Sanierung gesteckt werden.
       
       Für den chronisch klammen Landkreis ist das eine ziemliche Hausnummer,
       weshalb der Erwerb schwer umstritten war. Die Debatte darum zog sich über
       zwei Jahre lang hin.
       
       Der Kreistag hat sich dabei in zwei fast gleich große, gegnerische Lager
       gespalten: Auf der einen Seite CDU, UWG und Bürgerliste, die für den Kauf
       plädierten. Auf der anderen Seite SPD, Grüne und Soli, die dagegen waren –
       wie AfD und die Basis zeitweise auch.
       
       Zünglein an der Waage war die parteilose Landrätin Dagmar Schulz, die
       ursprünglich auf dem Ticket des progressiven Lagers ins Amt gekommen war,
       in dieser Sache jedoch mit den Konservativen stimmte.
       
       Der Erwerb der insgesamt acht Gebäude und des dazugehörigen 180 Hektar
       großen Geländes gilt als eines ihrer Herzensanliegen. Tatsächlich handelt
       es sich hierbei nicht um irgendein Kasernengelände, sondern um eine
       Liegenschaft mit einer wechselvollen und faszinierenden Geschichte, die
       vielleicht niemals in private Hände hätte gegeben werden sollen.
       
       ## Die wechselvolle Geschichte eines „Scheindorfes“
       
       Die Kaserne und Rüstungsfabrik wurde ab 1939 von Kriegsgefangenen und
       Zwangsarbeitern unter den Nazis errichtet. Um die Anlage zu tarnen, legte
       man sie mitten im Wald in Form eines der für das Wendland typischen
       Rundlingsdörfer an – inklusive Fachwerk und Verzierungen.
       
       Nach dem Krieg wurde dieses Scheindorf von der britischen Besatzungsmacht
       benutzt, außerdem entstanden hier zahlreiche Flüchtlingsbaracken. Später
       übernahm dann der Bundesgrenzschutz die Kaserne, für die Soldaten, die die
       innerdeutsche Grenze überwachen mussten. Auch die Luftwaffe nutzte einen
       Teil des Geländes.
       
       In den 90er Jahren wurde das Gelände vom Bund privatisiert. Seither sind
       immer wieder Teile vom Land oder vom Landkreis angemietet worden. So waren
       hier beispielsweise Polizeieinheiten untergebracht, die [1][für die
       Castortransporte zuständig] waren, zeitweise wurden hier auch
       Gefangenensammelstellen für Atomkraftgegner eingerichtet.
       
       Auch beim letzten Jahrhunderthochwasser diente das Gelände als Stützpunkt
       für verschiedene Einsatzkräfte vom Technischen Hilfswerk, auswärtigen
       Feuerwehrzügen und weiteren Organisationen.
       
       Der Landkreis hat sich hier ab Februar 2024 mit einer Sammelunterkunft
       eingemietet. Die wurde zunächst vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) betreut,
       im Juli 2025 übernahm das Deutsche Rote Kreuz (DRK).
       
       ## Schwierige Finanzierung und große Pläne
       
       Schon 2022 hatte es allerdings Diskussionen um einen Ankauf des Geländes
       gegeben. Ursprünglich hatte man gehofft, dafür Landesmittel einsetzen zu
       können, das zerschlug sich als klar wurde, dass das Land für die Vorhaltung
       von Unterkünften nicht zahlen würde, sondern nur eine Kopfpauschale für die
       tatsächlich untergebrachten Geflüchteten.
       
       Auch damit hatte man gehofft, einen Teil der Kosten wieder hereinholen zu
       können, indem man zum Beispiel dem überlasteten Hamburg nicht belegte
       Plätze anbietet. Doch auch daraus wurde nichts, man nahm vom Kauf zunächst
       wieder Abstand.
       
       Aber eben nur zunächst. Dabei spielte nicht nur die Überlegung eine Rolle,
       dass es doch besser wäre, das Geld bei der Geflüchtetenunterbringung lieber
       in eine eigene Liegenschaft zu stecken, als ständig neue Immobilien
       anzumieten.
       
       Über die Jahre kursierten darüber hinaus immer mal wieder viele große und
       kleine Ideen, was sich mit dem Gelände sonst noch alles anstellen ließe:
       ein Feriendorf, ein Campus, ein Kinderheim, Altenwohnungen,
       Gewerbeansiedlungen, Wohnraum, ganz neue Formen des Wohnens und Arbeitens.
       
       Sowohl unter dem alten, privaten Besitzer als auch in politischen Kreisen
       kursierten solche Ideen, die allerdings selten ein konkretes
       Planungsstadium erreichten.
       
       Es gibt auch einen Planungsverbund [2][der Gemeinde Jameln] und der Stadt
       Dannenberg, der sich aktuell mit einer Änderung des Bebauungsplanes befasst
       und für die Weiterentwicklung sorgen soll.
       
       ## Werden die Flüchtlinge instrumentalisiert?
       
       Aktuell ist die Flüchtlingsunterkunft aber vor allem massiv unterbelegt:
       Als die Kaserne [3][noch als Erstaufnahmeeinrichtung des Landes im Gespräch
       war], war von rund 650 Plätzen die Rede. Später wollte der Landkreis hier
       150 Menschen unterbringen, aktuell sind es gerade einmal 80.
       
       Das wirkt sich natürlich auch negativ auf das Budget und den
       Personalschlüssel aus. Und bei der Refinanzierung der teuren Liegenschaft
       hilft das auch nicht. Die Unterstützer der Geflüchteten befürchten, dass
       die Bewohner nun ausbaden müssen, dass der Landkreis sich bei der
       Anschaffung der Immobilie finanziell mächtig verhoben hat und bei allen
       anderen Ausgaben entsprechend geizig wird.
       
       Andersherum unterstellt das konservative Lager gern, das progressive Lager
       [4][würde die Geflüchteten] in Stellung bringen, um erneut gegen die
       ungebliebte Kaufentscheidung zu stänkern.
       
       Eigentlich [5][hatte der Kreistag] ja auch beschlossen, Geflüchtete
       möglichst dezentral unterzubringen – weil man sich da noch einig war, dass
       dies der Integration am besten dient.
       
       Auch diese Entscheidung, befürchten SPD, Grüne und Soli werde nun durch die
       Hintertür aufgehoben, um möglichst viele Geflüchtete möglichst lange in der
       teuren Kaserne zu behalten. Der Kreis wollte zur durchschnittlichen
       Verweildauer der Geflüchteten dort keine Angaben machen.
       
       29 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR [5] https://www.luechow-dannenberg.de/portal/seiten/kommunalpolitik-900000029-38100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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