URI: 
       # taz.de -- Krimi von Marie Hermanson: Hinter der bürgerlichen Fassade
       
       > Auf den ersten Eindruck bestimmt ein Cosy-crime-Feeling die Atmosphäre
       > von „Im Finsterwald“. Doch hinter der bürgerlichen Familienfassade steckt
       > mehr.
       
   IMG Bild: Im finsteren Wald steht vieles nicht zum Besten
       
       Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Marie Hermanson, Expertin für das
       verborgene Unheimliche im scheinbar Normalen (ihr raffinierter
       Psychothriller „Himmelstal“ wurde vor ein paar Jahren [1][als Serie
       verfilmt),] das Genre des Kriminalromans für sich entdecken würde. Und wie
       zu erwarten, ist es auch nur auf den ersten Eindruck ein
       Cosy-crime-Feeling, das die Atmosphäre von „Im Finsterwald“ bestimmt. Der
       Roman spielt in Göteborg im Jahr 1926, und als wichtigster Handlungsort
       fungiert eine touristische Attraktion der Stadt: Göteborgs
       Naturgeschichtliches Museum.
       
       Es ist Winter, und das 16-jährige Kindermädchen Maj hat sich mit ihren
       Schützlingen, den fünf Kindern der großbürgerlichen Familie Guldin, vor der
       Kälte ins Museum geflüchtet. Dort geht das älteste Kind, die neuerdings
       sehr renitente 9-jährige Alice, verloren und bleibt unauffindbar.
       
       Als das Mädchen auch am nächsten Morgen nicht wieder aufgetaucht ist,
       alarmiert ihr Vater die Polizei: Nun ist Alice ein Fall für den
       Kriminalpolizisten Nils Gunnarsson, der bereits in zwei anderen
       Hermanson-Romanen eine Rolle spielte („Die Pestinsel“, dt. 2022, und „Der
       Sommer, in dem Einstein verschwand“, dt. 2020).
       
       Die junge Journalistin Ellen, schon in den Vorgängerromanen Nils’
       weiblicher Gegenpart, ist nunmehr nur noch seine Ex-Verlobte und in „Im
       Finsterwald“ bereits mit einem anderen Mann verheiratet.
       
       ## Bürgerliche Scheinfassade
       
       Da sie als Ehefrau ihre einstige Berufstätigkeit aufgegeben hat, kann Ellen
       aber, während das Kindermädchen seine Aussage bei der Polizei macht, als
       Babysitter einspringen und im Folgenden der Familie Guldin gefährlich
       nahekommen, deren bürgerliche Scheinfassade aufrechterhalten wird, während
       dahinter vieles nicht zum Besten steht: Die Mutter der Kinder scheint
       dauerhaft das Bett zu hüten, von einer rätselhaften, vielleicht auch
       psychischen Krankheit geplagt; der Vater hockt in Wirtshäusern und macht
       Schulden, weil seine Geschäfte schlecht laufen.
       
       Das Kindermädchen Maj, selbst einer dysfunktionalen Familie entstammend,
       tut derweil sein Bestes, um den Kindern Liebe und Geborgenheit zu schenken,
       und verzaubert ihren Alltag mit Fantasie. Doch was so spielerisch scheint,
       ist tatsächlich eine Form der Realitätsflucht, die Maj während ihrer
       eigenen Kindheit als Methode zur Traumabewältigung entwickelt hat …
       
       Der Ermittler Nils Gunnarsson verbringt ziemlich viel Zeit im
       Naturhistorischen Museum und mit ihm wir alle. Lesend dürfen wir außerdem
       den Museumsdirektor bei einem Rundgang durch sein Reich begleiten, das –
       ganz in echt – unter anderem eine Reihe sehr sehenswerter Dioramen enthält,
       die vom Künstler und Zoologen Olof Gylling eigens für den Museumsneubau im
       Jahr 1923 gestaltet wurden und seitdem in unveränderter Form erhalten sind.
       Es ist offensichtlich, dass die Autorin eine große Faszination für diesen
       ungewöhnlichen Schauplatz entwickelt hat.
       
       Das ist menschlich nachvollziehbar und ein schöner Sightseeing-Tipp, den
       man sich mal merken kann; allerdings hemmt die ausführliche Gestaltung des
       Lokalkolorits den Handlungsfluss vor allem im ersten Romandrittel ein
       wenig. Dieses Defizit wird aber im weiteren Verlauf ausgeglichen. Insgesamt
       ist „Im Finsterwald“ ein atmosphärisch reizvoller Whodunit mit leicht
       schauerromantischer Anmutung.
       
       7 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Serie-Himmelstal-auf-DVD/!5724145
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Granzin
       
       ## TAGS
       
   DIR wochentaz
   DIR Kriminalliteratur
   DIR Schweden
   DIR Familiendrama
   DIR Social-Auswahl
   DIR Reden wir darüber
   DIR Kriminalroman
   DIR Krimi
   DIR wochentaz
   DIR wochentaz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kriminalroman von Susanne Tägder: Dunkle Nächte am Plattenbau
       
       Susanne Tägder hat mit Arno Groth einen ost-west-deutschen Ermittler mit
       viel Potenzial erschaffen. Nun erscheint der zweite Band.
       
   DIR Altern im Krimi: Das lange Leben der Detektive
       
       Wie alt sollten eigentlich ErmittlerInnen im Kriminalroman werden dürfen?
       Ein paar Gedanken aus Anlass der neuen Romane von Kate Atkinson und Sara
       Paretsky​.
       
   DIR Laurent Binets Krimi „Perspektiven“: Ein ermordeter Maler und freche Fakten
       
       Die Medici, ein Ermittler und die Intrige einer französischen Königin: die
       Spannung zwischen Historischem und Fiktiven macht dieses Buch so reizvoll.
       
   DIR Hannah Deitchs Roman „Killer Potential“: Unschuldig verfolgt in geklauten Autos durch die USA
       
       In ihrem hochspannenden Romandebüt, einem Sozialdrama-Thriller, schickt
       Hannah Deitch zwei Frauen quer durch die USA – in schäbige Motels und
       opulente Strandvillen.