# taz.de -- Angriff auf den Sozialstaat: Bloß keine Agenda 2030
> Bei Ärmeren zu kürzen, ist ökonomisch unklug, denn sie konsumieren viel.
> Höhere Steuern für Reiche sind dagegen ein taugliches Anti-Krisen-Mittel.
IMG Bild: Belebte Einkaufsstraße in Gelsenkirchen: Wer bei den Ärmeren kürzt, handelt ökonomisch unklug, denn die konsumieren viel
„Wir werden die Leistungen des Staates kürzen.“ Das hatte Gerhard Schröder
2003 verkündet. Friedrich Merz’ Attacken auf den Sozialstaat klingen
derzeit sehr ähnlich. Die CDU will eine Agenda 2030. Dass auch SPD-Chef
Lars Klingbeil kürzlich die Agenda 2010 lobte, ist ein ungutes Zeichen.
Wenn Schwarz-Rot sich bei der Sozialstaatsreform die Agenda zum Vorbild
nimmt, wird sie scheitern. Denn das im Rückblick rosarote Agenda-Bild
kaschiert zwei Irrtümer. Erstens: Der Sozialstaat ist nach 2003 nicht
billiger geworden. Die Ausgaben sind nach der Einführung von Hartz IV
gestiegen, nicht gesunken.
Zweitens ist es ein Irrglaube, dass die Effekte der Agenda – der
explodierende Niedriglohnsektor und mehr Ungleichheit – den langen
Aufschwung in Deutschland bewirkt hätten. Der deutsche Exportboom nach 2003
hatte nichts damit zu tun, dass Jobcenter Arbeitslose zu sinnlosen
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verdonnerten – aber sehr viel mit der
Turboglobalisierung nach Chinas WTO-Beitritt 2001. Deutschland importierte
billige Rohstoffe aus Russland und exportierte in rauen Mengen teure
Qualitätsprodukte nach China.
Dieses Geschäftsmodell wackelt nun. Es gibt in Deutschland nach drei Jahren
Rezession drei Millionen Arbeitslose. Das hat auch strukturelle Gründe.
[1][Wir steuern auf eine Phase der Deglobalisierung zu, mit Zöllen und mehr
Resilienz.]
## Keine gute Idee: Deutsche Wirtschaft schlechtreden
Was tun? Erst mal wäre es nützlich, etwas zu lassen – nämlich Ressentiments
gegen Arbeitslose zu schüren, wie Merz es tut. Bürgergeldempfängern das
Leben sauer zu machen, mag ökonomisch sinnvoll sein, wenn es genug Jobs
gibt. Die fehlen aber: Es gibt nur 700.000 offene Stellen.
Angesichts der zunehmend prekären Lage der deutschen Exportwirtschaft gibt
es ein naheliegendes Mittel, die Krise abzufedern – den Konsum hierzulande
zu stärken. [2][Auch eher neoliberale Ökonomen sehen derzeit die Gefahr
einer Spirale nach unten]: Weil die Arbeitslosigkeit (und die Angst davor)
wächst, kaufen die Leute weniger. In dieser Lage ist es keine gute Idee,
Sozialtransfers an Ärmere resolut zu senken – denn das Geld wird sofort
ausgegeben.
[3][Der Sozialstaat ist auch nicht explodiert und unbezahlbar geworden, wie
Merz behauptet. In Bezug auf das BIP sind die Ausgaben für Soziales seit
2000 ziemlich gleich.] Und es ist auch keine gute Idee, den Untergang der
deutschen Wirtschaft an die Wand zu malen. Denn dann kaufen sich noch
weniger ein neues E-Auto.
Sinnvoll hingegen ist es, wenn der Staat Reiche mehr zur Kasse bittet. Denn
Reiche sparen viel und konsumieren wenig – der Staat hingegen investiert.
Höhere Steuern für Reiche sind derzeit ein brauchbares Anti-Krisen-Mittel.
Leider fehlt dieses Werkzeug im Instrumentenkasten der Konservativen.
Schwarz-Rot hat auch einiges richtig gemacht. Der Mindestlohn steigt
Richtung 15 Euro. Das wird der Nachfrage nutzen. Der Investitionsbooster,
die verbesserte Abschreibung für Unternehmen, wird positiv wirken. Doch
wenn Schwarz-Rot jetzt die Agenda wiederbelebt, vertieft das die Krise.
6 Sep 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.fes.de/wissen/deglobalisierung
DIR [2] https://www.geldfuerdiewelt.de/p/rekord-arbeitslosigkeit-wer-ist-schuld
DIR [3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/ausgaben-sozialstaat-bip-100.html
## AUTOREN
DIR Stefan Reinecke
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