URI: 
       # taz.de -- Rapper Disarstar: Der alltägliche Traum vom Sozialismus
       
       > Einer, der in kein Raster passt: Den Hamburger Rapper Disarstar
       > interessieren nicht Autos und Drogen, sondern Karl Marx und
       > Kapitalismuskritik.
       
   IMG Bild: Will sein Leben nicht dem Zufall überlassen: Gerrit Falius
       
       Da liegt eine tiefe Falte zwischen Gerrit Falius’ Augen und dennoch wirkt
       er kein Stück brüsk, im Gegenteil. Freundlich reicht er die Hand, stellt
       sich vor, gesteht, nervös zu sein. Das passt so gar nicht zur typischen
       Rapper-Attitüde, aber Falius [1][fällt als Disarstar in der Rap-Szene
       ohnehin aus dem Raster]. Er ist der linkspolitische Gegenpol, der über Karl
       Marx und Kapitalismuskritik spricht, statt über dicke Karren und Kokain zu
       rappen. Auf seinem neuen Album zeigt er sich so nahbar wie nie zuvor.
       
       Sieben Zigaretten raucht der 31-Jährige während des Gesprächs. Sein Körper
       ist durchtrainiert, die Haare kurz rasiert, Ringe stecken an seinen
       Fingern, auf dem linken Oberschenkel steht „Monster“ tätowiert. Er hatte
       lange das Gefühl, nicht dazuzugehören.
       
       „Ich bin nicht wie ihr, dabei wollte ich das immer“, rappt er in „[2][Saint
       Tropez]“, der ersten Single-Auskopplung seines neuen Albums „Hamburger
       Aufstand“. So eine Zeile ist schwer erträglich, wenn man an einen Jungen
       denkt, dessen Welt immer wieder zerbricht. Der auf dem Schulweg rumlungert
       und auf seine Freunde wartet, obwohl ihre Eltern ihnen den Kontakt zu ihm
       verboten haben. Wie schwer war es, so ehrlich zu sich zu sein? „Ging früher
       gar nicht,“ sagt Falius, der sich die letzten Jahre viel mit seiner
       Vergangenheit auseinandergesetzt hat.
       
       ## Geschichte eines Absturzes
       
       Seine Geschichte ist keine Schubladengeschichte, keine „Ich komme von
       unten“-Erzählung, sondern die eines Absturzes. Falius wächst finanziell gut
       situiert in Hamburg zwischen Schnelsen, Langenhorn und Niendorf auf, in
       einer „bürgerlichen Illusion“, wie er sagt. Doch der Vater trinkt, geht
       pleite und die Familie zerbricht. Mittendrin ein Junge, der irgendwo
       dazwischen seinen Weg zurücklegen muss und das nicht kann.
       
       Er fliegt mehrfach vom Gymnasium, bekommt Ärger mit der Polizei, wird zu
       Psychiatern geschleppt, mit 15 Jahren nimmt ihn das Jugendamt aus der
       Familie. Ein Betreuer zeigt ihm, wie man eine Idee von sich selbst
       entwickelt. Mit 18 zieht er in eine Wohnung auf St. Pauli mit Blick auf die
       Herbertstraße. „Ich hatte keinen Drive in meinem Leben“, sagt er über diese
       Zeit.
       
       13 Jahre lang lebt Falius auf dem Kiez, arbeitet bei verschiedenen
       Lieferdiensten und auf Baustellen. Er bringt parallel Album um Album raus,
       landet mit seiner Musik in den Charts. Er trinkt viel, nimmt Drogen. Vor
       allem Alkohol habe immer eine Funktion für ihn gehabt, weshalb es schwer
       gewesen sei, davon loszukommen. „Ich hab’s immer wieder versucht, nicht
       geschafft und mich dafür gehasst.“ Nach einer langen Partynacht habe es
       dann einfach Klick gemacht. Seit März 2023 hat er keinen Schluck getrunken.
       
       Wenn Falius erzählt, dribbelt er mit den Worten, setzt oft mehrfach an,
       wippt mit dem Bein. Man spürt einen hellwachen Kopf, der gedanklich viel in
       Bewegung ist. Man hört im erwachsenen Falius einen Jungen, der verstanden
       werden will. Wenn er über seine Geschichte spricht, dann wird seine Stimme
       bei den letzten Silben manchmal ganz weich. Und scharf, wenn er
       Ungerechtigkeit thematisiert.
       
       Die Pleite seines Vaters sei eine prägende Erfahrung gewesen. Dadurch habe
       er gemerkt, dass man „im Leben auf die Fresse fallen kann, obwohl man sein
       Bestes gibt“. Er habe die Oberflächlichkeit der Welt nie akzeptieren
       wollen, fragte sich stattdessen, warum Dinge so sind, wie sie sind. „Dann
       kommt man schnell zu politischen Antworten, würde ich behaupten.“
       
       Je länger das Gespräch dauert, desto deutlicher steht Falius der Tag ins
       Gesicht geschrieben. Ende 2023 beginnt er eine [3][Ausbildung zum
       Tischler]. Niemand rollt dort für ihn den roten Teppich aus, er arbeitet 40
       Stunden, geht zur Berufsschule, Promo-Termine finden abends oder am
       Wochenende statt.
       
       ## Ausbildung zum Tischler
       
       Holt man in seinen 30ern nach, was einem in der Jugend verwehrt blieb? „Ein
       bisschen“, sagt er, und ergänzt, dass er in den letzten Jahren nicht immer
       zufrieden mit sich gewesen sei. „Ich bin seit 18 Jahren Disarstar. Alle
       identifizieren mich darüber, auch ich. Wer bin ich, wenn ich das nicht mehr
       bin?“
       
       Schon sein Betreuer habe ihm beigebracht, Gedanken, Gefühle und Handeln
       zusammenzubringen. „Da bin ich ganz gut drin, ich kann eigentlich immer ich
       selbst sein in verschiedenen Nuancen.“ Das gibt ihm Sicherheit. Er weiß,
       dass sich die Kunstfigur Disarstar vielleicht nicht für immer trägt. Falius
       reflektiert ständig, denkt voraus, will sein Leben nicht dem Zufall
       überlassen.
       
       ## Studio statt Pause
       
       2024 wird Falius Vater. Die Musik rückt in den Hintergrund, er denkt ans
       Aufhören. Doch im Frühjahr kündigt er überraschend ein neues Album an.
       1.687 Aufnahmen hat er in zwei Jahren auf dem Handy gesammelt.
       
       „Ich hab so dagesessen und das gar nicht ausgehalten,“ sagt er lachend.
       Also [4][Studio statt Pause]. Falius bleibt ruhelos. „Ich habe krasse
       Sehnsucht nach innerer Ruhe, kriege das aber noch nicht hin. Ich arbeite
       daran.“ Er ist einer, der es besser machen will.
       
       Falius lebt alltäglich – und träumt von Weltrevolution und demokratischem
       Sozialismus.
       
       11 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Konzert-des-Rappers-Disarstar/!5967347
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=m2oR7f1enE4
   DIR [3] /Azubi-ueber-Handwerksbranche/!6106660
   DIR [4] /Quo-Vadis-Deutschrap-/!5984749
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karoline Gebhardt
       
       ## TAGS
       
   DIR Rapper
   DIR Deutscher Hip Hop
   DIR Rap
   DIR HipHop
   DIR Hamburg
   DIR Musik
   DIR Serien-Guide
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Deutschland
   DIR Konzert
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR ARD-Doku über Eva Ries: Die Ladenburgerin hinter dem Wu-Tang Clan
       
       Wie wurde der Wu-Tang Clan berühmt? Eine Doku porträtiert die Managerin Eva
       Ries, die hinter dem Erfolg der Musiker steht.
       
   DIR Ein Besuch in Konstanz am Bodensee: Unter Nimbys
       
       Beim Städtchen Konstanz im Süden Baden-Württembergs gibt es klares Wasser,
       reiche Menschen – und eine sehr dezente EU-Außengrenze zu besichtigen.
       
   DIR Quo Vadis Deutschrap: Ins Deutsche übersetzt
       
       HipHop ist hierzulande vielschichtiger als sein Ruf. Es gibt sogar
       Rolemodels für Künstlerinnen, Mackertum wird angeprangert. Ein
       Wasserstandsbericht.
       
   DIR Konzert des Rappers Disarstar: Nur irgendwie Melancholie
       
       „Rolex für alle“ lautet das Motto der Tour von Disarstar. Am Montag trat
       der linke Hamburger Rapper im Berliner Astra Kulturhaus auf.