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       # taz.de -- Doku über Männer: Radikale Privilegierte
       
       > „Shut Up, Bitch“ zeigt unbeabsichtigt, dass die These von der „Krise der
       > Männlichkeit“ auf wackligen Beinen steht. Gut ist die ARD-Doku trotzdem.
       
   IMG Bild: Die Ideologie der „Red Pill“ besagt, dass Feminismus für das Leiden von Männern verantwortlich sei
       
       Alex demonstriert mit Fridays for Future und schließt eine vegane Ernährung
       für sich nicht aus. Erst mit der Coronapandemie ändert sich das: Er
       verbringt viel Zeit zu Hause und – wie die meisten in dieser so
       aufwühlenden wie langweiligen Zeit – online. In den sozialen Medien
       begegnen dem 20-jährigen Münchner virale Kurzvideos, die ihm zunächst fremd
       erscheinen.
       
       In seinem Feed tritt er erstmals in Kontakt mit dem mutmaßlichen
       Vergewaltiger [1][Andrew Tate] und dem [2][Rechtsextremisten Maximilian
       Krah], kurzum: Protagonisten der „Manosphere“. Alex heißt eigentlich
       anders. Doch in der Dokumentation [3][„Shut Up, Bitch“ von ARD Story] tritt
       er nicht unter seinem Klarnamen auf, aus Angst vor „Gegenwind“, wie er
       sagt. Denn Alex gibt zu, mit den rechten Vordenkern und deren Inhalten zu
       sympathisieren. Die Doku sucht nach Gründen, warum junge Männer wie er dem
       Männlichkeits-Kult verfallen.
       
       Die Zwanziger sind für viele Menschen eine Lebenszeit der großen oder
       vermeintlich großen Entscheidungen; für einen Lebensentwurf, ein
       Selbstbild, eine Identität.
       
       So auch für Alex. Man trifft ihn in der 45-minütigen Sendung in einem
       Münchner Café, im Fitnessstudio und auf der freien Trainingsfläche im
       Olympiapark. Sequenzen von jungen, meist durchtrainierten Männern folgen.
       Sie führen ihre Fitnessübungen mit stoischer Konzentration aus. Auch Alex
       macht Sport und zieht scheinbar eine Verbindung zwischen körperlicher
       Ermächtigung und den übergeordneten Fragen „wie wird man erwachsen“ und
       „wie wird man ein richtiger Mann“. Im Subtext deutet sich die neoliberale
       Ideologie der Selbstoptimierung an.
       
       ## Geschlossen antifeministisch
       
       Eindrücklich ehrlich präsentiert „Shut Up, Bitch“ die misogynen Tiktoks und
       Botschaften der „Manosphere“: Männer sind die Verlierer moderner
       Gesellschaften, Frauen tragen die Schuld. Sie stehen angeblich vor der
       Wahl: Die „Blue Pill“ sei die Illusion einer Gleichstellung der
       Geschlechter, die „Red Pill“ der verborgene wahre Zustand, nämlich die
       männliche Dominanz über Frauen. Wie die Doku einordnet, findet die
       reaktionäre Position auch außerhalb der sozialen Medien Anklang. Neben
       persönlichen Geschichten zieht sie dafür die Leipziger
       Autoritarismus-Studie 2024 heran. Nach ihr vertritt ein Viertel der
       Befragten geschlossen antifeministische Haltungen.
       
       Nicht nur Alex schluckt in der Doku die „Red Pill“. Unter dem Pseudonym
       „Lea“ kommt auch eine 17-jährige Frau zu Wort. Ihr Zimmer ist gemütlich,
       mit Hängematte und Postern an der Wand. Anonym und mit verfremdeter Stimme
       erzählt sie von ihrem Freund, ihrer ersten großen Liebe. Allmählich
       verändert er sich, je öfter Andrew Tates Credo aus seinem Handy ertönt:
       „Frauen bestimmen nicht, wie du dich als Mann fühlst.“
       
       Was ihr Freund als Spaß abtut, wird für Lea zur Sorge: Er nimmt ihre
       Ansichten und Erfahrungen als Frau nicht mehr ernst. Und sie hat recht,
       denn die Influencer der „Manosphere“ radikalisieren ihre Zuschauer von
       Lifestyle-Themen bis hin zur lupenrein rechtsradikalen Weltanschauung. Bald
       darauf wartet auch auf Lea ein heftiger Streit um Weltanschauungen mit
       ihrem Freund. Der Anlass: Sie demonstriert am 8. März für mehr
       Gleichberechtigung.
       
       Männer, ist die These der Doku, verstünden schlicht nicht, dass der
       Feminismus sie mitmeine. Die jungen Leute steckten in einer Krise der
       Männlichkeit, der man progressiven Ideen entgegensetzen müsse. Damit steht
       „Shut Up, Bitch“ symptomatisch für einen Diskurs, der die entscheidende
       Erkenntnis versäumt: So etwas wie eine aktuelle Krise der Männlichkeit gibt
       es nicht.
       
       Um es in den Worten des Sozialpsychologen Rolf Pohl zu sagen: „Ein
       männlicher Krisendiskurs ist ein entkontextualisiertes, und damit
       scheinheiliges Gerede.“ Denn der Krisen-Mythos lässt außer Acht, dass
       Männern immer schon strukturelle Macht ausüben. Selbstverständlich leiden
       auch sie unter der unentwegten Selbstoptimierung in der „Manosphere“.
       Trotzdem darf man nicht dem Reiz verfallen, sie in gleicher Weise wie
       Frauen zu Opfern zu erklären.
       
       8 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ermittlungen-in-Grossbritannien/!6090896
   DIR [2] /Krah-sagt-im-Spionageprozess-aus/!6107975
   DIR [3] https://www.ardmediathek.de/video/story/shut-up-bitch-der-kampf-um-maennlichkeit/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIyNjIyMjU
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wlada Froschgeiser
       
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