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       # taz.de -- Wohnungslosigkeit in Hamburg: „Der Dringlichkeitsschein bietet keine Sicherheit“
       
       > In Hamburgs öffentlichen Unterbringungen leben tausende Menschen, die
       > eigentlich Anspruch auf eine Wohnung haben. Das ergab eine Anfrage der
       > Linken.
       
   IMG Bild: Alle brauchen erstmal ein Dach über dem Kopf: Demo für bezahlbare Mieten in Hamburg 2024
       
       Hamburg taz | Die gute Nachricht vorweg. Hamburg hat sein [1][Modellprojekt
       „Housing First“] verstetigt. Das gab Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer
       (SPD) am Freitag im Sozialausschuss bekannt. Ab sofort kann jeder Träger
       der [2][Wohlfahrtspflege] einen Vertrag mit der Stadt abschließen und dann
       [3][Langzeitobdachlosen] eine Wohnung besorgen und sie eine Weile begleiten
       – die Kosten trägt die Stadt. In einem Modellprojekt war dies zuvor bei 39
       obdachlosen Menschen geglückt.
       
       Doch das Problem der Wohnungslosigkeit hat Hamburg längst nicht im Griff:
       Darauf macht die Fraktion Die Linke in einem Antrag aufmerksam, der am
       Mittwoch in der Bürgerschaft debattiert wird. Rund 32.400 Menschen leben
       laut Bundesstatistikamt in der Stadt ohne eigene Wohnung. Das ist im
       Verhältnis zur Bevölkerung der Großstadt eine vergleichsweise hohe Quote.
       Nach Auskunft des rot-grünen Senats auf eine [4][Anfrage der Linken] lebten
       Ende Dezember 2024 sogar 41.521 Menschen in „öffentlich-rechtlicher
       Unterbringung“, statt im eigenen Zuhause. Darunter waren 3.989 Wohnungslose
       und 26.580 Zuwanderer mit Anspruch auf eine Wohnung.
       
       Für diese Menschen sieht das Gesetz einen Dringlichkeitsschein vor. Die
       Stadt hat für diese Fälle ein Kontingent von Wohnungen mit
       „Wohnungsamtsbindung“ (WA-Bindung). Darüber gibt es Verträge mit der
       städtischen Saga und weiteren Wohngenossenschaften. Das Problem: Zum
       Jahresende galten 16.148 Haushalte als dringend berechtigt. Doch es wurden
       nur 2.404 mit einer Wohnung versorgt, also etwa jeder sechste. „Der
       Dringlichkeitsschein bietet überhaupt keine Sicherheit mehr“, kritisiert
       daher die Linke-Sozialpolitikerin Olga Fritzsche. „Doch, wer so einen
       Schein hat, hat Anspruch auf eine Wohnung. Ohne wenn und Aber.“
       
       ## 1.500 Dringlichkeitswohnungen gingen verloren
       
       Was auch durch die Anfrage heraus kam: Die Zahl der Dringlichkeitswohnungen
       insgesamt schrumpfte von 2024 auf 2025 um rund 1.500 Wohnungen, von 26.032
       auf 24.485. Das ist nun Anlass für die Linke gewesen, ihren Antrag zu
       stellen. Sie fordert, dass allein die städtische Saga künftig jährlich
       mindestens 3.000 vordringlich wohnungssuchende Haushalte mit einer Wohnung
       versorgt. Die Verträge zwischen der Stadt und ihrer Wohnungsfirma seien
       entsprechend anzupassen. Zur Zeit hält die Saga nur 2.100 WA-Wohnungen vor
       und die Genossenschaften 250.
       
       Auf eine Wohnung nach Housing-First-Prinzip haben Menschen Anspruch, die
       länger obdachlos sind und gemäß Paragraf 67 des Sozialgesetzbuch XII aus
       eigener Kraft nicht fähig sind, ihre Lage zu ändern. Die Träger müssen
       Wohnungen für sie auf dem Markt besorgen. Die Stadt bietet laut
       [5][Homepage] fünfstellige Zuschüsse und „attraktive finanzielle
       Absicherung“ damit das gelingt.
       
       Neben dem sozialen Gewinn, so [6][erklärte Sozialsenatorin Schlotzhauer],
       ergäbe sich aus dieser direkten Wohnraumversorgung auch „erhebliche
       monetäre Vorteile“. Denn durch Housing First spart die Stadt Geld, nämlich
       die deutlich höheren Kosten für die öffentlich-rechtliche Unterbringung.
       
       Doch dass „Wohnunglosigkeit die teuerste Form zu Wohnen“ ist, gelte auch
       für andere Gruppen, merkt Fritzsche an. „Egal ob in der Jugendhilfe oder
       bei den Frauenhäusern, das Hilfesystem ist verstopft, weil Wohnraum fehlt.“
       Der Senat müsse [7][endlich mehr Sozialwohnungen] bauen oder auch
       Bindungsrechte aufkaufen, findet die Linke. Jede Vermittlung entlaste die
       Stadt von den Kosten der öffentlichen Unterbringung.
       
       ## Hausbesuche gegen Zwangsräumungen
       
       Da zudem aber auch die Zahl der Zwangsräumungen 2024 zunahm, seien auch
       präventive Maßnahmen wie Hausbesuche durch die Fachstellen für
       Wohnungsnotfälle wichtig. Die Linke fordert in ihrem Antrag, diese
       auszuweitern und dafür 30 zusätzliche Stellen einzurichten.
       
       Fritzsches Antrag stößt bei den regierenden Fraktionen von SPD und Grünen
       auf Ablehnung. Der SPD-Sozialpolitiker Baris Önes erklärte, Hamburg stehe
       im sozialen Wohnungbau im Ländervergleich gut da. Die Saga habe unter ihren
       140.000 Wohnungen etwa 30.000 geförderte und 9.800 mit
       Wohnungsamts-Bindung. Angesichts der abnehmenden Fluktuation der Wohnungen
       der Saga sei die Versorgung von über 2.000 vordringlich Wohnungsuchenden im
       letzten Jahr eine gute Quote. Hamburg habe zudem im letzten Jahr 5.611
       Sozialwohnungen gefördert und gebe auch in 2025 und 2026 Fördergelder in
       Milliardenhöhe aus.
       
       „Dass die Zahl der WA-Wohnungen nicht ausreicht, ist uns bewusst“, sagt die
       Grüne Abgeordnete Kathrin Warnecke. Deshalb schaffe man hier seit Jahren
       neue Angebote. Doch die Forderung, allein bei der Saga 3.000 Wohnungen
       dafür vorzuhalten, sei kurzfristig nicht realistisch. Man setze stattdessen
       auf ein breiteres Programm, in das auch Genossenschaften und private
       Akteure einbezogen werden. Und die [8][aufsuchende Sozialarbeit der
       Fachstellen] sei „heute schon möglich“, sagt die Grüne. Den Antrag der
       Linken werde man ablehnen.
       
       9 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Housing-First-in-Hamburg/!6046585
   DIR [2] https://housing-first.hamburg/start/
   DIR [3] /Verelendung-in-Hamburg/!6062660
   DIR [4] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/90671/23_00072_zur_wohnungspolitik_fuer_benachteiligte_und_der_versorgung_von_vordringlich_wohnungssuchenden
   DIR [5] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/sozialbehoerde/themen/soziales/obdachlosigkeit/housing-first-1093260
   DIR [6] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/90561
   DIR [7] /Sozialer-Wohnungsbau-in-Hamburg/!5880755
   DIR [8] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/90562
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
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