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       # taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm: Die Sehnsucht nachProvinz-Vibes stillen
       
       Freitagabend in Zehlendorf. Als ich mein Fahrrad vor dem Gemeindezentrum
       der Emmauskirche anschließe, scheppert rumpeliger Post-Punk durch die
       Nacht, die hier erstaunlich still ist. Der Ausflug fühlt sich an wie eine
       Zeitreise in meine Kleinstadt-Jugend. Die liegt lange zurück, doch die
       spärlichen kulturellen Highlights kündigten sich ähnlich an. Zehlendorf ist
       offenbar nicht nur ein Ort mit Badeseen, an dem sich Besserverdienende so
       manch innerstädtische Zumutung vom Hals halten – auch die Sehnsucht nach
       Provinz-Vibes lässt sich hier stillen. Selbstredend würde sich dafür auch
       Frohnau oder Friedrichshagen anbieten. Doch heute ist Zehlendorf the place
       to be – genauer gesagt: die im Bauhausstil gehaltene Waldsiedlung aka
       Papageiensiedlung.
       
       Veranstaltet wird das Konzert im Siebziger-Jahre-Gemeindesaal von Musiker,
       [1][DJ und Kurator Yves Fontanille]. Der wohnt in der Ecke und will den
       popmusikalisch unterversorgten Südwesten zurück auf die
       Veranstaltungslandkarte bringen. Neben Point No Point, die für den schön
       rumpeligen Empfang sorgten, spielen auch die überbordend schrägen 13 Year
       Cicada. Ein bisschen ist’s wie in der Schulaula – aber in vergnüglich. Das
       Ganze mündet in eine Aftershow-Party im Hockey-Club. Noch so ein blast from
       the past. Die Leute sitzen, wie es sich für ein Vereinsheim gehört, auf
       Bierbanken statt drinnen zu den fünf (!) DJs zu tanzen, die Fontanille
       gebucht hat.
       
       Allzu lang bleibe ich nicht, Samstag lockt das UM-Festival in die
       Uckermark. Es gibt Kunst, Literatur und Musik. Eigentlich wollte ich eine
       Nacht hier zelten, habe es mir aber von der Wetterprognose ausreden lassen
       – und nun wartet der Samstag doch mit bestem Spätsommerwetter auf. Immerhin
       führt die Radstrecke vom Bahnhof nach Fergitz an einem See vorbei, in den
       ich reinspringe.
       
       An einem anderen See, dem Wrietzensee, sind Kunst-Installationen aufgebaut
       – das diesjährige Festivalthema lautet „Wasser.“ Die Künstlerinnen sind vor
       Ort. Stephanie Lüning etwa hat einen ausrangierten Kahn mit glitzerndem
       Schaum gefüllt. Aus der Ferne sieht der irritierenderweise aus wie ein
       Schneehaufen, der dank des Windes immer neue Formen annimmt.
       
       Wir schließen uns trotzdem, statt ausführlich Kunst zu gucken, einer
       Naturführung an, die ebenfalls geboten wird. Die durchaus interessanten
       Details habe ich bestimmt bald vergessen. Über die giftige Lorbeerkirsche
       etwa und Neophyten, also nicht-heimische Pflanzen, die durch menschliches
       Zutun nach Europa kamen. Eindrücklich dagegen, dass dieser nette See einst
       schlackiger Karpfenteich war und renaturiert wurde. Wenigstens geht es
       nicht allerortens nur bergab.
       
       Per Shuttle geht es zum zweiten Spielort. In Pinnow spielt neben der Kirche
       die Musik. Chillige verspulte Electronica von Yvois liefert den passenden
       Soundtrack dazu, dass man im Gegenlicht des Sonnenuntergangs kaum etwas
       sieht und Leute allenfalls an ihrer Silhouette erkennen kann. Am besten
       also auf den Rücken legen und gen Himmel gucken. Der UMton-Chor mit Special
       Guest [2][Gudrun Gut] (die auch den Musikteil des Festivals kuratiert hat)
       präsentiert Wasser-Songs von „Moon River“ bis „Kaltes klares Wasser“.
       
       Die Suche nach einem Klo führt mich in eine schick sanierte Scheune um die
       Ecke – eine der sogenannten „Inseln“, teils an privaten Orten, auf denen
       ebenfalls Kunst präsentiert wird. Toiletten gibt es hier zwar nicht, aber
       tolle Bilder von Iris Schomaker. Bei ihren Figuren ist da, wo das Gesicht
       wäre, meist ein schwarze Fläche – was einige Leute, denen ich Fotos davon
       zeigen, eher düster finden. Ich finde die Bilder toll. Vielleicht weil ich
       mir Gesichter oft schlecht merken kann. Der Künstlerin, so stellt sich beim
       kurzen Plausch heraus, geht es ganz ähnlich.
       
       9 Sep 2025
       
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