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       # taz.de -- Sexuelle Gewalt in der Leichtathletik: Massive Schutzlücken im System
       
       > Kurz vor der Weltmeisterschaft in Tokio muss sich der deutsche Verband
       > mit Missbrauchsfällen auseinandersetzen, die eine ZDF-Doku offenlegt.
       
   IMG Bild: Betroffene von sexualisierter Gewalt: die deutsche WM-Teilnehmerin Eileen Demes
       
       Große Vorfreude auf die Weltmeisterschaft in Tokio verspürt Malaika
       Mihambo. Das war die Top-Meldung auf der Website des Deutschen
       Leichtathletik-Verbandes (DLV) am Dienstag, die unter der Rubrik Flash News
       ganz oben aufgeführt wurde. Klar, es gilt, positive Stimmung vor dem
       Großereignis zu verbreiten. Am Samstag beginnen die ersten Wettkämpfe. Und
       wer wäre dafür geeigneter als die deutsche Vorzeigeathletin, [1][die im
       August 2021 am selben Ort im Weitsprung Gold gewann.]
       
       Konkrete Hinweise auf das große Thema, mit dem der DLV sich in den
       vergangenen Wochen vor der WM befassen muss, die Missbrauchsfälle
       minderjähriger Sportlerinnen und Sportler, gibt es auf dem verbandseigenen
       Portal aber nicht zu finden. Lediglich ein Link [2][am Ende der Flash News
       „Zentrale Fragen zum DLV-Schutzkonzept“] lässt erahnen, dass es da ein
       grundsätzliches Problem gibt.
       
       Konkret hat das gerade die Redaktion von [3][ZDF-„Frontal“ in der
       Dokumentation „Gold, Silber, Machtmissbrauch – die dunkle Seite der
       Leichtathletik“] offengelegt und Fälle aus Darmstadt, Hannover, Mannheim
       und Berlin zusammengetragen.
       
       Mit der 400-Meter-Hürdenläuferin Eileen Demes hat auch eine prominentere
       Sportlerin von ihren Erfahrungen berichtet. Für die anstehende WM
       qualifizierte sich die 27-Jährige Ende Juli beim Istaf in Berlin mit
       persönlicher Bestzeit (54,29 Sekunden) und wurde kurz darauf in Dresden
       zudem Deutsche Meisterin. Im Alter von 17 Jahren, erzählte Demes, erhielt
       sie von ihrem auf die 50 Jahre zugehenden Trainer unangemessene
       Textnachrichten. Und von seinem Geburtstag berichtete sie: „Da hat er
       gesagt, dass er mich liebt. Dass er es schön fände, jeden Tag neben mir
       aufzuwachen, er würde mich sofort heiraten. Das war für mich unangenehm.“
       
       ## Gefühl der Ohnmacht
       
       Andere Leichtathletinnen zeigten dem ZDF ebenfalls übergriffige
       Textnachrichten, die sie von ihren Trainern erhielten, und erzählen von
       körperlichen Übergriffen: „Er wollte, dass ich mich ausziehe. Und daraufhin
       hat er sich ausgezogen. Und hat mich dann angefasst.“ Sie beschrieben ihr
       Gefühl der Ohnmacht, weil sie ihre sportliche Karriere nicht aufs Spiel
       setzen wollten.
       
       Im Zuge der ZDF-Recherchen hat der DLV im Fall eines niedersächsischen
       Landestrainers ein Verfahren zum Entzug der A-Lizenz eingeleitet. Der
       Landesverband hat Strafanzeige gegen den Mann gestellt. Der Trainer selbst
       streitet alle Vorwürfe ab.
       
       Kerstin Claus, die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, sagt: „Aus
       meiner Sicht hat der Sport massive Schutzlücken. Das liegt genau auch
       daran, dass Tatpersonen, die letztlich das Ziel der sexuellen Ausbeutung
       haben, sehr leicht in einen anderen Verband wechseln können.“ Dieses
       Problem legt auch die ZDF-Doku an konkreten Beispielen offen.
       
       Der DLV selbst weist darauf hin, dass es ihm aus personen- und
       datenschutzrechtlichen Gründen juristisch nicht möglich ist, problematische
       Fälle, die unter der Strafbarkeitsschwelle bleiben, zu dokumentieren und
       ein Warnsystem aufzubauen.
       
       Wortreich hat der DLV als Reaktion auf die ZDF-Recherche seine
       grundsätzliche Haltung hervorgehoben: „Der Schutz der Athletinnen und
       Athleten hat für uns allerhöchste Priorität. Missbrauch im Sport ist ein
       zutiefst erschütterndes Vergehen, das für uns alle unvereinbar mit den
       Werten des Sports ist. Kinder und Jugendliche verdienen unseren besonderen
       Schutz, denn sie sind uns anvertraut und auf unser verantwortungsbewusstes
       Handeln angewiesen.“
       
       Wenn es darum geht, diese konkreten Geschichten selbst in den Vordergrund
       zu rücken und ihnen Bedeutung zu verleihen, hält sich der Verband eher
       wortkarg zurück. Irritierend war ebenso der Umgang des DLV mit der
       ZDF-Redaktion. Für die Deutschen Meisterschaften in Dresden, wohin der
       TV-Sender seine Protagonistin Eileen Demes begleiten wollte, wurde keine
       Drehgenehmigung erteilt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der DLV den
       Themen eher hinterherzulaufen scheint als diese selbst zu setzen. Eine
       transparente verbandsinterne Aufarbeitung der Missbrauchsfälle wäre nun für
       die Verbesserung von Präventionskonzepten hilfreich.
       
       10 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Weitsprunggold-fuer-deutsche-Athletin/!5787593
   DIR [2] https://www.leichtathletik.de/aktuelles/news/news-detail/81104-flash-news-am-dienstag
   DIR [3] https://www.zdf.de/video/dokus/frontal-doku-100/doku-gold-silber-machtmissbrauch-schattenseite-der-leichtathletik-100
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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